Saarbruecker Zeitung

„Wir sind nicht Burka“

Innenminis­ter de Maizière fordert Debatte über Leitkultur. Nicht nur die Opposition wittert rechte Stimmungsm­ache.

- VON RUPPERT MAYR

BERLIN (dpa) Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) hat die Bundesbürg­er aufgerufen, sich selbstbewu­sst zu einer deutschen Leitkultur zu bekennen und sie vorzuleben. „Wer sich seiner Leitkultur sicher ist, ist stark“, schrieb de Maizière in der „Bild am Sonntag“. Wenn diese eigene Kultur „uns im besten Sinne des Wortes leitet, dann wird sie ihre prägende Wirkung auf andere entfalten. Auch auf die, die zu uns kommen und bleiben dürfen“. Dafür erhielt der Innenminis­ter aus den eigenen Reihen viel Zustimmung. Der politische Gegner sieht in der von de Maizière angestoßen­en Debatte um eine deutsche Leitkultur dagegen vor allem Wahlkampf und rechte Stimmungsm­ache.

De Maizière nannte einen Katalog von zehn Punkten, der jenseits von Grundrecht­en und Grundgeset­z nach seiner Einschätzu­ng die Leitkultur ausmacht. Dies seien keine Rechtsrege­ln, „sondern ungeschrie­bene Regeln unseres Zusammenle­bens“, die durchaus um weitere Punkte ergänzt werden könnten, argumentie­rte der Innenminis­ter. Unter anderem hob er hervor, dass Deutschlan­d eine „offene Gesellscha­ft“sei. „Wir zeigen unser Gesicht. Wir sind nicht Burka.“

In Deutschlan­d sei „Religion Kitt und nicht Keil der Gesellscha­ft“. Kirchliche Feiertage „prägen den Rhythmus des Jahres. Kirchtürme prägen unsere Landschaft“. Gleich wohl sei Deutschlan­d weltanscha­ulich neutral. „Für uns sind Respekt und Toleranz wichtig.“Zum Mehrheitsp­rinzip gehöre der Minderheit­enschutz. Gewalt werde grundsätzl­ich nicht akzeptiert. „Wir verknüpfen Vorstellun­gen von Ehre nicht mit Gewalt.“Die Deutschen „sind aufgeklärt­e Patrioten. Ein aufgeklärt­er Patriot liebt sein Land und hasst nicht andere.“Zur Leitkultur gehörten auch ein Bildungsid­eal, der Leistungsg­edanke, das Erbe der deutschen Geschichte mit dem besonderen Verhältnis zu Israel und der Kulturreic­htum, so de Maizière.

Aus den Reihen von SPD, FDP und Grünen kam Widerspruc­h. SPD-Generalsek­retärin Katarina Barley erklärte: „Unsere Leitkultur heißt Grundgeset­z. Darin sind alle wichtigen Aspekte des Zusammenle­bens in Deutschlan­d geregelt. Die Gleichstel­lung von Mann und Frau, die Presse-, Meinungsun­d Religionsf­reiheit sowie das Gewaltmono­pol des Staates.“De Maizière bediene mit seinen Thesen „nur rechte Ressentime­nts“. Für FDP-Chef Christian Lindner will de Maizière lediglich Wahlkampf machen: „Der Beitrag von Herrn de Maizière ist ein Ablenkungs­manöver. Die CDU bringt eine moderne Einwanderu­ngspolitik mit gesetzlich­er Grundlage nicht zustande. Stattdesse­n werden jetzt alte Debatten aufgewärmt.“Der frühere Umweltmini­ster Jürgen Trittin (Grüne) nannte im Kurznachri­chtendiens­t Twitter den Vorstoß „pure rechte Stimmungsm­ache“. Aus Sicht von Grünen-Chefin Simone Peter braucht Deutschlan­d keine Debatte über eine Leitkultur, sondern „eine neue Innenpolit­ik, die Integratio­n voranbring­t, rechte Netzwerke prüft und islamistis­che Gefährder im Auge hat“.

Die AfD-Vorsitzend­e Frauke Petry ging den Innenminis­ter über Twitter persönlich an: „Modell de Maizière: Deutsche Leitkultur während der Legislatur torpediere­n, zwei Wochen vor der Wahl den großen Kulturvert­eidiger spielen“.

Zustimmung kam aus der Union. CDU-Vize Thomas Strobl sagte der „Heilbronne­r Stimme“: „Der Einwurf des Bundesinne­nministers ist goldrichti­g.“Er fügte hinzu: „Wenn ich mir anschaue, wie die in Deutschlan­d lebenden türkischen Staatsbürg­er beim Referendum abgestimmt haben, muss ich sagen: Das ist auch eine Folge gescheiter­ter Integratio­n.“Deutschlan­d habe in der Vergangenh­eit Integratio­n zu wenig eingeforde­rt. CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer sagte der „Passauer Neuen Presse“: „Es ist überfällig, dass die Debatte über Leitkultur endlich auch in Berlin geführt wird.“Ohne gemeinsame Selbstvers­tändlichke­iten zerfalle eine Gesellscha­ft; die deutsche Leitkultur sei viel mehr als das Grundgeset­z.

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FOTO: DPA De Maizières Zehn-Punkte-Plan zur Leitkultur teilt die Republik in glühende Befürworte­r und erbitterte Gegner.

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