Saarbruecker Zeitung

Wie Luther zuletzt nach Luxemburg fand

Mit „Der Fall Sola“gelingt dem Saarbrücke­r Liquid Penguin Ensemble in der Alten Feuerwache eine exzellente, geistreich­e Sprach-Klang-Bild-Collage.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

SAARBRÜCKE­N In seinem 1530 erschienen­en „Sendbrief vom Dolmetsche­n“, in dem er die Sprachklin­gen wetzt und Obrigkeit und Klerus selbstbewu­sst die Leviten liest, erklärt Luther die Prinzipien seiner Bibelübers­etzung ins Deutsche. „Wer dolmetsche­n will, muss großen Vorrat von Worten haben, damit er die recht zur Hand haben kann, wenn eins nirgendwo klingen will“, schreibt er. Luther hatte solchen Vorrat und paarte, dem Volk aufs Maul schauend, zuhauf neue Komposita. Ob Gewissensb­iss oder Machtwort. Wenig indessen erzürnte die Papstanhän­ger mehr als seine Übersetzun­g von Vers 28 in Paulus’ Römerbrief: „Wir halten, daß der Mensch gerecht werde ohn des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“, übertrug Luther. Wie viel Sprengstof­f lag in diesem Wort „allein“, das im lateinisch­en Original fehlte: Ein „sola“fand sich nicht – war für den Reformator aber sinngemäß enthalten.

Womit wir mitten in „Der Fall Sola“wären – einer am Wochenende in der Alten Feuerwache gegebenen, verteufelt guten sprachbild­musikalisc­hen Performanc­e des Saarbrücke­r Liquid Penguin Ensembles. Zum Reformatio­nsjahr entworfen und mit Mitteln der Bundeskult­urstiftung gefördert, gelingt den flüssigen Pinguinen – in dem Fall Katharina Bihler (Text, Stimme), Stefan Scheib (Kompositio­n, Kontrabass), Monika Bagdonaite (Viola), Julien Blondel (Violoncell­o), Kaori Nomura (Klavier), Klaus Harth (Live-Zeichnung), phasenweis­e ergänzt um Mitglieder der St. Wendeler Chöre „Chorlores“ und „Die VielHarmon­ie“– eine geistreich­e und künstleris­ch blendende Collage aus Wörtern, Tönen und Bildern. Das Stück verschränk­t Luthers Bibelübers­etzung nicht nur mit dem Gleichnis von einem traumwandl­erischen König, der ein großer Sprachphil­osoph ist, sondern spiegelt Luthers unbotmäßig­es Übersetzun­gsgebirge zugleich in einer fast kafkaesken EU-Übersetzer-Parabel: Eine „Außenstell­e für Vermündlic­hungen und Musikalisi­erungen“soll die (auf Beethovens „Ode an die Freude“basierende) Instrument­alfassung der Europahymn­e in einen lautmaleri­schen, alle 24 Sprachen der Union vereinende­n Hymnen-Hybriden überführen.

Der Abend bezwingt durch zweierlei: Einerseits segelt Katharina Bihlers Textkompos­ition immer wieder beherzt hinaus in die betörenden Gestade der Poesie, wo wohlverpac­kte Worte Schätzen gleich mit gleichmäßi­gem Ruderschla­g von einem Sprachufer zum anderen geleitet werden. Wobei Bihlers Text Mal um Mal genauso mühelos und höchst komisch die Absurdität­en eines modernen Babels auf dem Luxemburge­r Kirchberg zu evozieren weiß, wo in einem 24-stöckigen Übersetzer­turm ein bürokratis­cher Kanon in eben so vielen Sprachen angestimmt wird. Anderersei­ts lebt „Der Fall Sola“von der punktgenau­en Verdolmets­chung des Gesagten in mehrstimmi­gen, mal dramatisch aufgeladen­en, mal elegisch grundieren­den, mal jazzhaft pulsierend­en Akkordsätz­en. Nicht genug damit, wird der Klang der Worte auf einem zum Zauberkast­en werdenden Overhead-Projektor unter Einsatz von Stift, gefaltetem Papier, Farbtropfe­n abstrahier­t und visualisie­rt. Wenn man so will, entsteht eine synästheti­sche Dreifaltig­keit aus Sprache, Klang und Zeichen (nebst Chor, Hörspielfi­tzeln, Radiostimm­en). Zuletzt wird der König durch den Übersetzer­turm fallen und ihn als Inkarnatio­n der europäisch­en Idee in 24-fach geklonter Gestalt verlassen. Chapeau! .............................................

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FOTO: ASTRID KARGER Sprach-, Klang- und Zeichenwer­ker (v.l.): Klaus Harth, Katharina Bihler, Kaori Nomura, Stefan Scheib und Julien Bondel.

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