Saarbruecker Zeitung

„Scheitern heisst sterben“

Ueli Steck war einer der weltbesten Extremberg­steiger. Auf dem Weg zu einem neuen Rekord ist er nun tödlich verunglück­t.

- VON CHRISTOPH SATOR Produktion dieser Seite: Pascal Becher Joachim Wollschläg­er

KATHMANDU (dpa) Im letzten Oktober feierte Ueli Steck seinen 40. Geburtstag. Kein gutes Alter für einen Extremberg­steiger. Steck, weltweit einer der besten, hatte sich mit dem Thema genauer beschäftig­t. Dabei stellte der Schweizer fest, dass ungewöhnli­ch viele Kletterpro­fis zwischen 40 und 45 am Berg den Tod finden. Weil der Körper eben doch schwächer wird, das Risiko aber bleibt.

Mehrfach erzählte er seither: „Ich bin erschrocke­n, wie viele nach dem 40. Geburtstag verunglück­t sind.“Steck feierte den Tag trotzdem. So wie Bergsteige­r eben feiern: zusammen mit seiner Frau Nicole, hoch droben in einem Zelt am Shivling, einem Berg im nordindisc­hen Teil des Himalaya. Kein großes Fest, aber immerhin gab es frische Kartoffeln.

Vielleicht hatte er tatsächlic­h eine Todesahnun­g. Im Himalaya, am Fuß des höchsten Bergs der Welt, des Mount Everest, ist Steck nun ums Leben gekommen. Auf einer Vorbereitu­ngstour für sein neuestes Rekordproj­ekt – der Doppelbest­eigung des Everest (8848 Meter) und des Nachbarber­gs Lhotse (8516 Meter) – stürzte er tausend Meter in die Tiefe. Er war allein unterwegs. Er wurde 40 Jahre, sechs Monate und 26 Tage alt.

Der Schweizer gehörte zu den prominente­sten Extremberg­steigern der Welt. Die Eiger-Nordwand durchstieg er schon mit 18 das erste Mal – und dann viele Male wieder. Sein Rekord steht noch immer: zwei Stunden und 22 Minuten. Im Sommer 2015 kletterte er auf alle 82 Viertausen­der der Alpen. Die Strecken dazwischen legte er zu Fuß, mit dem Fahrrad oder per Gleitschir­m zurück.

Steck bezwang aber auch die Klassiker in anderen Weltregion­en, den Everest, die Annapurna, den Mount Dickey in Alaska oder El Capitan in Kalifornie­n. Immer ohne Flaschensa­uerstoff, meist in enormem Tempo, manchmal geradezu irrsinnig schnell. Er rannte geradezu durch die Berge. Über Leistung und Rekorde definierte er sich. In der Szene trug er den Spitznamen „Swiss Machine“, die „Schweizer Maschine“. Steck mochte ihn nicht. Aber von den Schlagzeil­en lebte er.

Der Schweizer schrieb Bücher, hielt Vorträge, hatte mehrere Sponsoren. „Fast and light“war sein Motto, schnell und leicht, ohne viel Material. Auf dem Auto, das ihm ein deutscher Konzern zur Verfügung stellte, stand rechts und links ganz groß seine InternetAd­resse: www.uelisteck.ch. Sein letzter Eintrag auf Facebook stammt vom 26. April. Steck schrieb dazu: „Ich liebe es hier, es ist so ein schöner Ort.“Ganz in der Nähe starb er.

Gefährlich­e Situatione­n hatte er schon mehrere überstande­n. 2007, an der Annapurna, traf ihn ein Stein. Er verlor das Bewusstsei­n, rutschte Hunderte Meter ab, blieb aber heil. 2013 wurde er am Everest von wütenden Sherpas fast erschlagen. Angeblich hatte er mit seinem Team einen Eisschlag ausgelöst und die Sherpas in Gefahr gebracht. Die Geschichte machte als „Krieg am Everest“Schlagzeil­en. Steck gab später zu, er habe damals eine „rote Linie“überschrit­ten. Jüngstes Projekt war nun, innerhalb von 48 Stunden auf den Everest und dann über die Westschult­er auf den Lhotse zu kommen, was überhaupt nur eine einzige Seilschaft und ohne künstliche­n Sauerstoff noch nie jemand geschafft hat. Dem Schweizer „Tages-Anzeiger“gab er dazu ein Interview – vermutlich das letzte. Darin sagte er: „Irgendwann riskierst du so viel, dass es knallt.“Der letzte Satz lautete: „Scheitern heißt für mich: Wenn ich sterbe und nicht heimkomme.“

Steck, der in Ringgenber­g bei Interlaken zuhause war, hinterläss­t seine Frau. Kinder wollte er keine. Er war der Meinung, dass sich das mit seinem Beruf nicht vereinbare­n ließ. Im Interview zu seinem 40. sagte er: „Es ist schon schwierig genug, das Risiko vor sich zu verantwort­en – und vor seiner Frau.“Bestattet wird er nun vermutlich in Nepal. In der Heimat ist eine Trauerfeie­r geplant.

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FOTO: IMAGO „Irgendwann riskierst du so viel, dass es knallt“: Die Aussagen und dieses Foto aus seinem letzten Interview wirken wie ein Vermächtni­s.
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FOTOS: AFP/DPA Sanitäter und Freunde brachten den Verunglück­ten noch in ein Krankenhau­s nach Kathmandu.

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