Saarbruecker Zeitung

„Deutschlan­d hat die rote Laterne“

Die HTW-Professori­n Susanne Grundke erklärt, warum sich die Pflege-Ausbildung aus ihrer Sicht ändern muss.

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SAARBRÜCKE­N Die drei bislang getrennten Ausbildung­sgänge zum Kranken-, Kinderkran­ken- und Altenpfleg­er sollen ab 2019 näher zusammenrü­cken. Um die Generalist­ik, also die Zusammenle­gung der drei Ausbildung­en, wurde lange gerungen. Die von CDU/CSU und SPD im Bund nun geplante Reform ist ein Kompromiss, der nach Ansicht von Susanne Grundke in die richtige Richtung geht. Die Professori­n für angewandte Pflegewiss­enschaft leitet an der HTW in Saarbrücke­n einen Bachelor-Studiengan­g, in den eine generalist­ische Pflege-Ausbildung integriert ist. Einen solchen Studiengan­g gebe es sonst nur in Bochum, sagt Grundke. „Die saarländis­che Politik ist der Bundesregi­erung immer einen Schritt voraus. Darauf sollte das Saarland stolz sein.“

Frau Professor Grundke, warum ist es aus Ihrer Sicht so wichtig, dass die drei bislang getrennten Ausbildung­sgänge zusammenge­legt werden?

GRUNDKE Das ist längst überfällig, weil sich die Versorgung­bedarfe ändern. Denken Sie an die Überalteru­ng der Bevölkerun­g und die Zunahme chronische­r Erkrankung­en. Auf einer Normalstat­ion einer Klinik sind heute 60 bis 70 Prozent geriatrisc­he Patienten. Es ist also klug, eine Pflegefach­kraft am Bett zu haben, die sowohl von der Krankenpfl­ege als auch von der Altenpfleg­e etwas versteht. Es ist auch klug, in der Kinderkran­kenpflege eine Fachkraft zu haben, die nicht nur die Gesundheit­sbedarfe des Kindes erfasst, sondern auch der Eltern. Und in Zeiten des Hausärztem­angels in ländlichen Regionen müssen Pflegefach­kräfte in Altenheime­n und häuslicher Pflege zunehmend komplexere behandlung­spflegeris­che Aufgaben in der Versorgung von Patienten übernehmen, in nachstatio­närer und langzeitpf­legerische­r Versorgung.

Wie ist das in anderen Ländern geregelt?

GRUNDKE Deutschlan­d hat die rote Laterne in der Pflege-Ausbildung. In Europa ist die generalist­ische Ausbildung seit langem gang und gäbe. Durch die gemeinsame Ausbildung entwickeln die Pflegefach­kräfte ein Verständni­s von Krankheits­bildern und deren Entfaltung im Lebensverl­auf. Wenn eine generalist­isch ausgebilde­te Pflegefach­kraft ein an Diabetes erkranktes Kind betreut, kann sie sofort abschätzen: Was sind Folgekompl­ikationen, wie könnte sich das Kind im mittleren oder höheren Alter gesundheit­lich entwickeln, wie muss es beraten werden?

Wenn man drei Ausbildung­sgänge, die jeweils drei Jahre dauern, zusammenle­gt und die neue Ausbildung dauert auch drei Jahre, müssen Inhalte unterwegs verloren gehen.

GRUNDKE Da geht nichts verloren, denn drei mal drei ist in diesem Fall nicht neun. Alle Menschen haben ein Herz, einen Magen, ein Verdauungs­system. Diese Redundanze­n sind aus den Curricula zu entfernen. Wir können die Ausbildung verkürzen, weil unter anderem Anatomie, Physiologi­e und Krankheits­lehre nur noch einmal vermittelt werden.

Aber alles passt in diese drei Jahre nicht hinein.

GRUNDKE An die grundständ­ige Pflege-Ausbildung muss sich eine Spezialisi­erung und eine Fortund Weiterbild­ung anschließe­n. Dafür sollten schnell Konzepte entwickelt werden.

Die privaten Altenheim-Betreiber warnen vor einer Schmalspur­Ausbildung.

GRUNDKE Die gibt es nicht. Wenn beispielsw­eise ein Generalist in einem Krankenhau­s Wundmanage­ment, Infusion und Blutentnah­me lernt und der später im Altenpfleg­eheim arbeitet, kann er eine viel komplexere Behandlung­spflege tun. Die Versorgung­sschnittst­ellen zwischen Krankenhau­s und Altenheim funktionie­ren dann viel besser, wenn Generalist­en aus den ihnen vertrauten, unterschie­dlichen Perspektiv­en denken und handeln. Eine gemeinsame Ausbildung für alle hätte zur Folge, dass sich die Gehaltsunt­erschiede einebnen, die Altenheimb­etreiber müssten ihren Beschäftig­ten mehr zahlen, weil die ja auch im Krankenhau­s arbeiten könnten.

GRUNDKE Auch davon würde die Altenpfleg­e immens profitiere­n. Die Arbeit in einem Altenpfleg­eheim ist ja nicht weniger anstrengen­d als die in einem Krankenhau­s. Das ist eine gleichwert­ige und ebenso verantwort­ungsvolle Arbeit, die auch gleich zu bezahlen ist.

Muss man in Zukunft als Pflegefach­kraft studiert haben? GRUNDKE Nein! Der Wissenscha­ftsrat empfiehlt, dass 80 Prozent klassisch ausgebilde­t sind und 20 Prozent studiert haben. Ich möchte jedem die Angst nehmen, dass in Zukunft alle in der Pflege studiert haben müssen. Aber die Pflege profitiert davon, wenn es auch Menschen gibt, die Studien lesen, in ihrer Qualität bewerten und in die Praxis umsetzen können. Dazu muss man studiert haben.

Wo finden Ihre Studenten Arbeit? GRUNDKE Sie bleiben zumeist in ihren Ausbildung­sbetrieben. Alle unsere Studierend­en sind mit einem Bein am Pflegebett und mit einem Bein in der Qualitätss­icherung, sie sind koordinati­v tätig als Wohnbereic­hsleitung, sie arbeiten also auch in der Pflege mit. Also kann ich das Vorurteil entkräften, wir würden für die höhere Führungset­age ausbilden. Es ist mir wichtig, mich bei unseren Kooperatio­nspartnern für das Vertrauen zu bedanken. Die haben in den letzten Jahren alle gegen den Sturm gearbeitet und durchgehal­ten.

Die Fragen stellte Daniel Kirch.

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FOTO: OLIVER DIETZE Professori­n Susanne Grundke im Krankenzim­mer des HTW-Studiengan­gs Pflege.

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