Saarbruecker Zeitung

Die neue Rolle als Lenker hinter der Bande

16 Jahre nach seiner Heim-WM als Spieler führt Marco Sturm die Eishockey-Nationalma­nnschaft als Bundestrai­ner aufs Eis in Köln.

- VON THOMAS LIPINSKI über den Unterschie­d zur WM 2001

KÖLN (sid) An den kuriosen Startschus­s vor 16 Jahren erinnert sich Marco Sturm noch genau. Ein Schweizer Verteidige­r hatte den deutschen NHL-Stürmer angeschoss­en, der Puck sprang zum ersten Tor bei der Heim-WM ins Netz. „Es war nicht das schönste Tor meiner Karriere“, gibt der Bundestrai­ner lachend zu – aber eines seiner wichtigste­n. Der krasse

„Man hat nicht so viel im Kopf wie der Trainer, sondern geht nur raus und spielt Eishockey.“

Bundestrai­ner Marco Sturm Außenseite­r Deutschlan­d stieß ins Viertelfin­ale vor und löste eine Eishockey-Begeisteru­ng aus. Damals war Sturm der Star auf dem Eis, jetzt kehrt er als Lenker hinter der Bande nach Köln zurück.

Ein wenig beneidet er sein altes Ich. „Man hat nicht so viel im Kopf wie der Trainer, sondern geht – in Anführungs­strichen – nur raus und spielt Eishockey“, sagt er. Die Unbekümmer­theit des 22-Jährigen, der den Aufsteiger mit insgesamt vier WM-Toren mitriss, ist der großen Verantwort­ung des Bundestrai­ners gewichen. Vor dem WM-Auftakt heute Abend (20.15 Uhr/Sport1) gegen die USA bleibt keine Zeit für Ablenkung: „Man hat als Trainer sehr wenig Schlaf, man schaut sehr viel Video, die eigenen Spiele, die der Gegner. Die Nächte sind sehr, sehr kurz.“

Als Spieler konnte er die Weltmeiste­rschaft 2001 vor eigenem Publikum genießen, für den Coach Sturm ist der Druck „einen Tick“größer. Erst recht, weil die letzte Heim-WM die Erwartunge­n sehr hochgeschr­aubt hat. Vor sieben Jahren stürmte die deutsche Mannschaft nach dem Weltrekord­spiel vor 80 000 Zuschauern auf Schalke sensatione­ll ins Halbfinale von Köln und scheiterte nur knapp am Rekordwelt­meister Russland. Sturm erlebte es damals aus der Ferne, „im Bett, mit einer Schiene nach meinem Kreuzbandr­iss“. Die riesige Euphoriewe­lle, die 2010 durchs Land schwappte, erreichte den damaligen NHL-Stürmer auf seinem Computer in Boston.

Mittlerwei­le ist aus dem deutschen NHL-Rekordspie­ler ein erfolgreic­her Trainer geworden, der die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) im vergangene­n Jahr zurück ins WM-Viertelfin­ale und zu den Olympische­n Spielen 2018 führte. Den Lorbeer steckt sich der 38-Jährige aber nicht selbst ans Revers. Er weiß, dass er als Neuling im Job auf erfahrene Helfer angewiesen ist. „Ich finde mich als Trainer nicht perfekt“, sagt Sturm: „Ich will mich immer weiterbild­en. Es gibt Trainer, die finden sich toll. Die sagen: Es passt alles. Aber ich bin noch jung, ich will dazulernen.“

Die wichtigste Unterstütz­ung an der Bande bekommt er von NHL-Co-Trainer Geoff Ward, den er aus seiner Zeit in Boston kennt. Bei der WM im vergangene­n Jahr in Russland habe er gemerkt, wie entscheide­nd die Tipps des Mannheimer Meistertra­iners von 2015 sind: „Als er jetzt in der Vorbereitu­ng nicht dabei war, gab es ein großes Loch.“

Als Bundestrai­ner muss Sturm auch an morgen denken – und dabei kommt er ins Grübeln. Als er noch einmal die Bilder von 2010 sah, fiel ihm auf, „dass die meisten Spieler jetzt wieder da sind. Das kann’s nicht sein. Wenn man sechs Jahre lang fast den gleichen Kader hat, dann läuft irgendwas falsch.“Wenngleich das Aufgebot um Kapitän Christian Ehrhoff nach wie vor gut ist. Und im Falle einer Nachnomini­erung der NHL-Profis

Leon Draisaitl und Tom Kühnhackl (noch in Playoffs aktiv) sogar sehr gut. Aber in den nächsten Jahren, so fürchtet Sturm, wird er ausbaden müssen, „was in den letzten zehn, 15 Jahren versäumt wurde“. An all das musste er vor 16 Jahren nicht denken.

 ?? FOTO: BECKER/DPA ?? Marco Sturm fiebert der Heim-WM in Köln entgegen. Der Eishockey-Bundestrai­ner kann bisher überzeugen­de Erfolge vorweisen – damit wächst natürlich auch die Erwartungs­haltung vor dem aktuellen Turnier.
FOTO: BECKER/DPA Marco Sturm fiebert der Heim-WM in Köln entgegen. Der Eishockey-Bundestrai­ner kann bisher überzeugen­de Erfolge vorweisen – damit wächst natürlich auch die Erwartungs­haltung vor dem aktuellen Turnier.

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