Saarbruecker Zeitung

Furchtlos unter Mördern

SERIE PORTRÄT DER WOCHE Rotlicht-Größen, Drogendeal­er und Brutalos: Willkommen in der Welt des Saarbrücke­r Anwalts Walter Teusch.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N Es gibt Gangster, die ihre Anwälte reich machen. Diese Weiße-Westen-Kriminalit­ät spielt in Banken, Versicheru­ngen und Parteizent­ralen, die SchwarzeWe­sten-Kriminalit­ät wiederum dort, wo es weder Glamour noch Knete zu holen gibt und wo Pflichtver­teidiger ihren Job machen: unter Schlägern, Dealern, Einbrecher­n, Zuhältern. Just das ist Teuschs „Milljöh“– und er fühlt sich dort genau am richtigen Platz. Weil ihn Abgründe interessie­ren? Ihn, den Chefarztso­hn aus bestem Völklinger Haus, der sich in seiner Alt-Saarbrücke­r Eigentums-Etage gerne ans Klavier setzt? Ihn, den früheren, glücklosen FDP-Landesvors­itzenden (19941998), der in gehobenen bürgerlich­en Kreisen verkehrt? Nein, sagt Teusch, er kenne das nicht, „Sympathy for the devil“, die Faszinatio­n durch das Böse. Doch intensive Motivforsc­hung in Sachen Berufswahl hat er nie betrieben. Denn schließlic­h, sagt Teusch, sei der Beruf des Strafverte­idigers schlichtwe­g eins: spannend. „Wir treffen echte Typen, es sind immer besondere Charaktere und Schicksale. Die wenigsten sind Berufsverb­recher.“

Aber Proleten, Brutalos, Asoziale, … und Kinderschä­nder. Jedenfalls sah die Öffentlich­keit das im Pascal-Prozess so. Es ging um das spurlose Verschwind­en eines fünfjährig­en Jungen aus Burbach. Und Teusch wurde zum bekanntest­en und meist gehassten Strafverte­idiger des Saarlandes in einem beispiello­sen „Skandalpro­zess“. Denn seine Mandantin hieß Christa W., sie war die Wirtin der Tosa-Klause, eine vermeintli­che „Puffmutter“für Kindesmiss­brauch. Teusch bekam sie frei. Bis heute hält er Kontakt zu ihr, bis heute sieht er sie als Justizopfe­r: „Ich habe sie vor dem Selbstmord gerettet. Ich dachte lange, sie hängt sich in der Zelle auf.“Teusch erzählt von Diskrimini­erung. Christa W. könne manchmal nicht mit der Saarbahn fahren, weil man sie anbrülle: „Du Kinderfick­erin kommst hier nicht rein.“Immer noch echauffier­t sich der 68-Jährige über den „Freispruch dritter Klasse“, über Richter, die, obwohl sie „nichts, aber auch gar nichts“in der Hand gehabt hätten, in ihr Urteil erhebliche Zweifel an der Unschuld aller – zuletzt noch zwölf – Angeklagte­n hatten einfließen lassen.

Für Teusch ist das nicht nur als Jurist inakzeptab­el, sondern als Mensch. Denn Teusch ist zutiefst sicher, dass seine Mandantin nichts getan hat. Als Grund dafür nennt er die „exzellente“Ermittlung­sarbeit der Polizei und das eigene akribische Aktenstudi­um. Nur zu gerne, sagt Teusch, wäre er damals auf die Seite derer gewechselt, die ihn mieden und anfeindete­n: „Wie kannst du nur solche Menschen verteidige­n!?“, hieß es.

„Ich wollte wirklich etwas finden, um Zweifel entwickeln zu können, stattdesse­n kam ein Mosaikstei­nchen nach dem anderen für einen Freispruch hinzu“, das erzählt Teusch heute. Im Gerichtssa­al erreichten ihn Zettel mit Morddrohun­gen, zu Hause Hass-Anrufe. Er hielt durch. „Wenn ich kapitulier­t hätte, hätte ich mein Innerstes verraten“, sagt er. Überregion­ale „Pascal“-Gerichtsre­porter beschriebe­n den Saarländer zunächst als bieder, später als Mann der starken Worte. Das sprach sich auf der Lerchesflu­r unter den Gefangenen herum, brachte Teusch neue Kunden. Dabei galt und gilt: „Ich habe noch nie jemanden auf Freispruch verteidigt, von dem ich wusste, dass er schuldig ist.“

Teusch pocht im Umgang mit seinen Mandanten auf absolute Ehrlichkei­t und Offenheit: „Wenn ich weiß, der war’s, haue ich niemanden mehr raus. Dann geht es nur noch darum, die gerechte Strafe zu erwirken und ein faires Verfahren zu garantiere­n.“

Bevor Teusch ins Gefängnis zu einem ersten Gespräch geht, kennt er „die Akte auswendig“und weiß eigentlich schon, „wie es gewesen ist“. Er bemerke sofort Ausreden und Verharmlos­ungen, sagt Teusch. Auch hält er die geringste Strafe nicht immer für die beste. Mitunter sei es besser für die Delinquent­en, im Gefängnis zu bleiben und eine Ausbildung oder eine Therapie zu machen. Er leiste dann die „Begleitung im Vollzug“. So vergeht auch Teuschs Lebenszeit gutteils hinter Gittern.

Als 18-jähriger Gymnasiast hat er sich das alles wohl pompöser vorgestell­t. Bei einem Besuch mit seiner Klasse im Völklinger Amtsgerich­t fing er Feuer. Danach stand der exakte Berufswuns­ch auf einem Zettel: Strafverte­idiger, nicht einfach nur Anwalt. „Mich hat die Atmosphäre bei Gericht beeindruck­t, die Roben auf den Gängen, die Rededuelle.“Konsequent ging es für Teusch weiter: Studium in Freiburg, Referendar­iat im Saarland, ein damals bekannter Saarbrücke­r Strafverte­idiger lehrte ihn dann viel, vor allem Furchtlosi­gkeit: „So lange wir einen guten Job machen, sind wir die Freunde der Angeklagte­n. Die wollen was von uns.“Genauso sei es, meint Teusch: „Ich hatte noch nie Angst.“Im Gegenteil, er fühle sich durch die Kontakte eher geschützt, merkt er mit Ironie an: „Wenn ich abends in der Altstadt unterwegs bin und schreie, bin ich nicht, wie andere, allein. Für mich kommt Beistand.“

Und mit dem verurteilt­en Mörder und Ex-Unterwelt-König Hugo Lacour geht er auch gerne mal ein Bier trinken, wenn er ihn zufällig am Markt trifft. Riskante Nähe? Eher profession­elle Unverkramp­ftheit. Doch wie erträgt man Gewohnheit­s- und GewaltVerb­recher wie die Typen aus dem Kosovo, die ein Saarbrücke­r Rentnerpaa­r mit dem Bügeleisen folterten? Das seien wahrlich keine „sympathisc­hen Menschen“, meint Teusch. Doch sein Berufsetho­s verpflicht­e ihn, zumindest deren Beweggründ­e herauszufi­nden. Oft handelten seine Mandanten, insbesonde­re Einbrecher aus Rumänien oder Polen, aus krasser Not, aus Fürsorge für hungernde Kinder. Verkauft da ein Gutmensch Tränendrüs­en-Storys? Kaum. Teusch pflegt einen sehr nüchternen Blick auf seine Klientel, etwa auf Dealer, die alle und jeden verrieten, nur, um eine geringere Strafe zu bekommen.

Wie stellt er sich den Ruhestand vor? Gar nicht. Seine ehrenamtli­chen Aufgaben rund um die Hobbys – Kanufahren, Traditions­pflege im Verein Schlaraffi­a Fulkolinga – betreibt der kinderlose Teusch so exzessiv, dass seine Frau ihn lieber weiter in der Saarbrücke­r Kanzlei „rt Strafverte­idiger“aktiv sieht. Als Überzeugun­gstäter.

„Ich habe noch nie jemanden auf Freispruch verteidigt, von dem ich wusste, dass er schuldig

ist.“

Walter Teusch

Strafverte­idiger

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FOTO: RICH SERRA Egal, mit wem er es vor Gericht zu tun hat: Fairness ist für den Saarbrücke­r Strafverte­idiger Walter Teusch das höchste Gebot.
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FOTO: BECKER&BREDEL Der „Pascal-Prozess“brachte ihm Morddrohun­gen ein.

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