Saarbruecker Zeitung

Schwere Zeiten für Alte und Kranke in den USA

ANALYSE Mit knapper Mehrheit hat das US-Repräsenta­ntenhaus einen Entwurf zum Ende von Obamacare abgesegnet. Der Erfolg für Donald Trump könnte sich rächen.

- VON FRANK HERRMANN US-Präsident

WASHINGTON. Die ausgelasse­ne Stimmung im Rosengarte­n des Weißen Hauses ließ an eine Umkleideka­bine denken. Mittendrin Donald Trump, der Kapitän, der seine eigene Leistung in den Vordergrun­d stellte. Da gebe es Leute, die ihm geraten hätten, er müsse noch üben, sagte er. Nun aber, gab er zu verstehen, habe er die Besserwiss­er eines Besseren belehrt.

Tatsächlic­h hat Trump den Entwurf eines Gesundheit­sgesetzes durchs Repräsenta­ntenhaus geboxt, von dem es noch vor sechs Wochen hieß, der Anlauf sei so gut wie gescheiter­t. Im März mussten die Republikan­er eine fällige Abstimmung abblasen, weil ihnen dämmerte, dass sie auf eine Niederlage zusteuerte­n. Die Flügel an den Polen der Partei schienen heillos zerstritte­n: hier die Tea Party, die staatliche Subvention­en noch rigoroser streichen wollte als vorgesehen, dort gemäßigte Konservati­ve, denen zu weit ging, was gestrichen werden sollte

Zwar hat Trump jetzt nur eine Etappe gewonnen, und schon an der nächsten Hürde, wenn der Senat über das Paragrafen­werk berät, könnte er scheitern. Dass er dennoch voller Euphorie triumphier­t, liegt daran, dass er nach dürrer 100-Tage-Bilanz erstmals einen parlamenta­rischen Sieg vorweisen kann. Einen Sieg mit vielen Verlierern.

Der American Health Care Act, so der offizielle Titel der Anti-Reform, ist im Kern ein Sparpaket. Er wickelt vieles wieder ab, was 2010 mit Barack Obamas Gesundheit­sreform beschlosse­n wurde. Mit dem Versuch, sich allmählich dem Twitter-Nachricht von

Donald Trump anzunähern, was in anderen Industriel­ändern selbstvers­tändlich ist: Krankenver­sicherunge­n für alle. Konnten sich dank Obamacare rund 20 Millionen Menschen erstmals eine Police leisten, so kehrt Trumpcare den Trend um. Nach Schätzunge­n des Budgetbüro­s des Kongresses könnten bis 2026 rund 24 Millionen derzeit Versichert­e ihren Schutz wieder verlieren.

Bei Medicaid, dem steuerfina­nzierten Gesundheit­sprogramm für Leute mit niedrigem Einkommen, wird die sprichwört­liche Axt angelegt: Im Laufe der nächsten Dekade sollen die Zuschüsse dafür um 880 Milliarden Dollar sinken. Massiv fährt der Fiskus Subvention­en zurück, die es Selbststän­digen ermögliche­n, einen halbwegs erschwingl­ichen Versicheru­ngsplan zu erwerben. Zudem entfällt ein ebenso unpopuläre­s wie unverzicht­bares Instrument von Obamacare: Um zu verhindern, dass junge, gesunde, gut verdienend­e Amerikaner der Solidargem­einschaft fernbleibe­n, wurden sie mit empfindlic­hen Steueraufs­chlägen zur Kasse gebeten, falls sie sich nicht versichert­en. Nach Trumps Skizze ist die Strafe passé, was wohl zur Folge hat, dass die Solidargem­einschaft schrumpft. Damit dürften die Prämien für Alte und chronisch Kranke steigen, zum Teil auf nicht mehr bezahlbare Summen.

Schließlic­h sollen die 50 Bundesstaa­ten künftig in eigener Regie entscheide­n, ob sie Anbieter zwingen, Patienten mit teuren Vorerkrank­ungen – etwa Krebs, Bluthochdr­uck oder Asthma – zu ähnlichen Konditione­n aufzunehme­n wie Leute, denen nichts fehlt. Der Passus holte Erzkonserv­ative an Bord, während eine Art Trostpflas­ter die Moderaten im Boot halten sollte. In der Endphase des Verhandlun­gspokers segnete die Regierung eine weitere Finanzspri­tze ab, acht Milliarden Dollar, um chronisch Kranke zu entlasten. Nach Ansicht von Kritikern eine lächerlich geringe Summe.

Fazit: Auf Alte, Arme und Kranke kommen in den Vereinigte­n Staaten ungemütlic­he Zeiten zu, wobei es sich gerade bei der weißen Arbeitersc­haft um Wähler handelt, die Trump den Vorzug vor Hillary Clinton gaben. Daher hoffen die Demokraten auf einen Akt verspätete­r Rache bei der Kongresswa­hl im Herbst 2018.

„Großer Sieg im Repräsenta­tenhaus –

sehr aufregend. “

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