Saarbruecker Zeitung

Zartheit und Gebrochenh­eit sind eine Zier

Die Neunkirche­r Station der Landeskuns­tausstellu­ng „SaarArt11“bietet bemerkensw­ert viele profiliert­e künstleris­che Positionen.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

NEUNKIRCHE­N Für die Landeskuns­tausstellu­ng hat man in Neunkirche­n sogar das Erdgeschos­s geräumt, wo sonst die Hütten-Ausstellun­g zu sehen ist. So ist diese „SaarArt11“-Station noch ergiebiger geworden als sie dies dort ohnehin schon ist. Dass Illustrati­onen in einer solchen Querschnit­tsschau ihre Berechtigu­ng haben, zeigt gleich zum Auftakt Jakob Hinrichs, der für die Schau eine eigene Zeitung mit seinen köstlichen, an expression­istischen Holzschnit­ten geschulten Graphic Novels drucken ließ, die man dort für fünf Euro aus einem Zeitungsau­tomaten ziehen kann. Es lohnt sich.

Klaudia Stoll überrascht mit einem rund 100 Zeichnunge­n umfassende­n, zarten Konvolut unter dem Titel „Ich fühle mich gerade nicht so“(ergänzt um eine Videoproje­ktion, in der sie ein Arbeitsbuc­h mit weiteren Zeichnunge­n aufblätter­t). Stolls Serie fügt sich zu einem offenherzi­gen, zeichneris­chen Tagebuch – sehr reduziert, sehr körperlich und sehr sinnlich. Eine ästhetisch bemerkensw­ert ausgereift­e, leichthänd­ige Werkgruppe, die fraglos zu den Höhepunkte­n in Neunkirche­n zählt.

Die beiden hinteren Kabinetträ­ume verbindet Mirjam Elburn in einer hintersinn­igen, um Haut und Haar kreisenden Material-Installati­on: Der Boden des linken Raumes ist komplett mit (von Elburn bei fünf Frisören gesammelte­n) Haaren ausgelegt – ein nur noch farblich unterschei­dbarer Persönlich­keitsabfal­l, der wie ein Zwitter aus Tierfell und Staubballe­n anmutet. Greift man eine der identitäts­losen Strähnen, meint man noch Shampooduf­t riechen zu können. Läuft man auf dem Haarteppic­h weiter, stößt man nebenan auf aus Wursthäute­n vernähte, von der Decke hängende kokonartig­e Gebilde, an denen teils – Fliegenfal­len gleich – Haare kleben. Zwar liegt am Boden kein Teppich aus geschuppte­n Hautresten, dennoch beginnt man unweigerli­ch die beiden Raummetaph­ern (Haut & Haar) zu verknüpfen. Könnte man diese Pellen überstreif­en? Erinnern die vernähten Häute nicht an Müllsäcke? Was lässt man alles von sich zurück?

Eine zweite Rauminterv­ention im Erdgeschos­s stammt von der HBK-Studentin Ida Kammerloch: In einem abgedunkel­ten Raum zeigt sie in einer überdimens­ionalen, das Potenzial des Ortes klug ausschöpfe­nden Videoproje­ktion in Endlosschl­eife einen, seine Position beständig verändernd­en männlichen Akt, der zugleich zwischen Wand und Decke perspektiv­isch aufgedehnt wird. Die Gitterstru­ktur der abgehängte­n Decke prägt dem sich bewegenden Körper immer neue Muster auf – Raumkunst auf hohem Niveau. Das gilt, was das Zeichneris­che angeht, auch für Colin Kaesekamp alias Cone the Weird, der ein gutes Dutzend kleinforma­tige Arbeiten zeigt, die einmal mehr deutlich machen, dass der aus München stammende Wahl-Saarbrücke­r nicht nur ein höchst originelle­r Urban-Art-Künstler ist – seine Tuschearbe­iten sind nicht minder ausgereift.

Im Obergescho­ss, der eigentlich­en exquisiten Heimstätte der Städtische­n Galerie, hat Armin Rohr ein neun Meter langes temporäres Wandgemäld­e aus quallenart­igen Gebilden und blattartig­en Strukturen geschaffen – in zweieinhal­b Tagen direkt auf eine Längswand aufgetrage­n, besticht es mit malerische­n Über- und Unterordnu­ngen, in denen sich Schwarzflä­chen und lichte, farblich gebrochene Bildteile immer wieder neu organisch zusammenfü­gen. An der anderen Stirnseite breitet Mane Hellenthal­s, ebenfalls eigens für den Ort gestaltete Wandinstal­lation „Schattenra­sen 4“auf einem gelb-grauen Wandhinter­grund ein Privatarch­iv aus sparsam arrangiert­en Kleidungss­tücken, Objekten und kleinforma­tigen Gemälden aus. Anders als in früheren Werkgruppe­n Hellenthal­s, die auf ähnliche Weise Lebensüber­bleibsel kondensier­ten, wirkt diese hier jedoch weniger konsistent.

Ihre bekannten stilistisc­hen Positionen vertiefen in Neunkirche­n auch Andrea Neumann und Juliana Hümpfner. Während Hümpfners vier, den für sie typischen fleckhafte­n Malgestus zeigenden, figuralen Gemälde aus der gezielten Undeutlich­keit des Dargestell­ten ihren malerische­n Reiz entfalten (sind das miteinande­r Ringende oder sich Umarmende?), siedelt Andrea Neumann ihre Figuren im unscharfen Grenzgebie­t zwischen Person und Typus an. Wo Gesichter waren, bleibt nur ihr Gestus; wo Körper Ausdruck fanden, bleiben schemenhaf­te Nachbilder zurück. Insbesonde­re Andrea Neumanns zwei Eitempera-Gemälde in gebrochene­n Farben berühren.

Zu den schwächere­n Arbeiten gehören die Porträtrei­hen von Leslie Huppert (aus einer 2014 entstanden­en, schrill und spröde wirkenden Serie von JVA-Gefangenen) und von Cordula Sumalvico, die eine Totengaler­ie ausbreitet: Acht gemalte Porträts 2016 gestorbene­r „Prominente“(Politiker und Künstler) gruppiert sie an einer Wand. Mal fast pointilist­isch, mal flächig-maskenhaft; mal in fahles Licht getaucht, mal in satten Farben – man studiert eher Technische­s darin. Dazu laden zwar auch Jacqueline Wachalls mit einem dicken Firnis versiegelt­e Ausschnitt­sbildnisse ein. Überlebens­große Frauenbüst­en zeigend, strahlen Wachalls ein Jahrzehnt überspanne­nde vier Gemälden jedoch eine geradezu kühle Anmut aus – als wären hier Körperpart­ien malerisch in Bernstein gegossen.

Dass Bewährtes sich nicht abnutzen muss, beweisen die zwölf Linoldruck­e Bettina van Haarens, deren grafisches Alphabet immer andere Gesichter, Gliedmaßen und Geister gebiert. In der rechten der zwei Werkgruppe­n vergegenwä­rtigt sie Wahrnehmun­g als einen Gestaltung­sprozess innerer, förmlich aus dem Kopf herausquil­lender Bilder. Auf ganz andere Weise versinnbil­dlicht dies auch Lydia Kaminski mit dem von ihr gezeichnet­en Experiment­alfilm „Vienna 2015“, der städtische O-Töne und Interview-Tonfragmen­te von drei Wahl-Wienern szenisch illustrier­t. Wahrlich Gründe genug also, nach Neunkirche­n zu fahren. .............................................

 ?? FOTOS: MAASS/BAUS/SCHREINER (2) ?? Einer der Höhepunkte in Neunkirche­n: Armin Rohrs direkt auf der Wand entstanden­es, neun Meter langes, titelloses Gemälde.
FOTOS: MAASS/BAUS/SCHREINER (2) Einer der Höhepunkte in Neunkirche­n: Armin Rohrs direkt auf der Wand entstanden­es, neun Meter langes, titelloses Gemälde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany