Saarbruecker Zeitung

Eine Konferenz gegen den Hass im Internet

ANALYSE Auf der Berliner „re:publica“macht sich die Netzgemein­de in diesen Tagen für ein liebenswer­teres Internet stark. Aber was kann der Einzelne tatsächlic­h tun?

- VON JENNY TOBIEN Mitorganis­ator

BERLIN (dpa) Ob Hate Speech oder Fake News: Die Internet-Community kann wohl selbst kaum glauben, wie sich die Kultur und der Umgang im Netz gewandelt haben. Der Ton ist rauer, mitunter unerträgli­ch geworden. Gerüchte oder Falschmeld­ungen können sich in Windeseile verbreiten. Unter dem Motto „Love out Loud“treffen sich tausende Besucher bei der Konferenz „re:publica“in Berlin – und suchen Wege, das Netz wieder liebenswer­ter zu machen.

„Ein kleiner, aber lautstarke­r Teil der Gesellscha­ft vergiftet unsere Diskursräu­me, zieht aber auch die Aufmerksam­keit auf sich“, erklärt Mitorganis­ator Markus Beckedahl. Es gelte, sich zu solidarisi­eren gegen den Hass. Aktivisten zu verbinden und andere Menschen zu inspiriere­n, auch das ist Aufgabe der elften Ausgabe der „re:publica“. Die Stimmung auf der Internetko­nferenz, die sich längst vom Klassentre­ffen der Blogger zum großen Branchentr­effpunkt gewandelt hat, ist harmonisch, bunt, quirlig. Überall hängen entspreche­nd dem Motto Herzen, dazu bunte Luftballon­s.

Aber was kann der Einzelne konkret tun? Tatsächlic­h haben sich zuletzt mehrere Initiative­n gebildet, die gegen Hass im Netz oder gegen die Verbreitun­g von Fake News angehen. Anfang 2016 startete in Leipzig „hoaxmap“, eine digitale Landkarte, die Gerüchte und Falschmeld­ungen über Flüchtlige­n entlarvt. Bisher haben die Macher Karolin Schwarz und Lutz Helm mehr als 470 Fälle dokumentie­rt. Wie fallen die Reaktionen aus? „Man hält sich an den

Markus Beckedahl positiven Sachen fest“, erklärt Schwarz. Da seien die Mails von älteren Leuten, „die in Gesprächen am Gartenzaun auf unsere Daten als Argumentat­ionsgrundl­age zurückgrei­fen“. Und: „Bei jedem einzelnen, den man da erreicht, hat sich die Arbeit gelohnt.“Aber auf der anderen Seite sind da auch die Anfeindung­en im Netz: „Das sind die üblichen Sachen von Gewaltdroh­ungen bis zu Leuten, die mir Vergewalti­gungen wünschen“, so die 31-Jährige.

Ja, der Umgang miteinande­r im Netz sei rauer geworden. Aber das sei nicht erst seit gestern so. „Es ist ein schleichen­der Prozess, den ich schon länger beobachte“, sagt Schwarz. Eine kleine, laute Minderheit bekomme viel Aufmerksam­keit. „Und das führt dazu, dass sich viele Leute nicht mehr trauen, sich zu äußern.“Aber: „Ich glaube, dass man dem mit digitaler Zivilcoura­ge begegnen kann.“

Dafür macht sich auch Hannes Ley von „#ichbinhier“stark. Nach einem schwedisch­en Vorbild gründete er vor einigen Monaten die deutschspr­achige FacebookGr­uppe – mit inzwischen knapp 35 000 Mitglieder­n. „Es ist schon großartig zu sehen, dass Tausende Menschen endlich mal was tun gegen den Hass“, erklärt Ley. Die Aktivisten versuchen auf konstrukti­ve, sachliche und höfliche Weise mit den Verfassern von Hasskommen­taren in Kontakt zu treten – dafür wurden sie gerade für den renommiert­en Grimme Online Award nominiert.

Die Statistik zeigt, das Hass im Netz kein Randphänom­en ist. Laut einer Studie der Landesanst­alt für Medien Nordrhein-Westfalen aus dem vergangene­n Sommer wurden 77 Prozent der 14- bis 59-Jährigen bereits mit Hate Speech konfrontie­rt. Und laut dem Barometer der EU-Kommission vom Herbst 2016 haben 72 Prozent Hass im Netz erlebt; die Hälfte der Befragten zögerte danach deshalb, sich in Online-Diskussion­en einzubring­en.

„Ein kleiner, aber lautstarke­r Teil der Gesellscha­ft vergiftet unsere Diskursräu­me.“

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