Steinmeier kritisiert „Sprechverbote“
Bundespräsident bekräftigt seine Haltung bei Treffen mit Netanjahu und lobt Projekt zu Zwei-Staaten-Lösung.
TEL AVIV (afp) Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat auch nach seinen Treffen mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Kritik an dessen Gesprächsverboten bekräftigt. „Es bleibt dabei, dass ich sage, wir brauchen da keine neuen Regeln, keine neuen Übungen“, sagte er gestern in Tel Aviv. Dort traf sich der Bundespräsident mit regierungskritischen Intellektuellen, zuvor besuchte er ein jüdisch-arabisches Friedensprojekt.
Steinmeier hatte Netanjahu tags zuvor in Jerusalem gesprochen. Hintergrund der Debatte ist, dass der israelische Regierungschef vor zwei Wochen ein Treffen mit dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) platzen ließ, weil dieser bei seinem Besuch in Israel auch Aktivisten von Breaking the Silence traf. Die Gruppe befasst sich kritisch mit dem Verhalten israelischer Soldaten in den besetzten Gebieten – und ist der rechtsgerichteten Regierung Netanjahus schon lange ein Dorn im Auge. Steinmeier selbst machte auf seiner Israel-Reise das Zugeständnis, Breaking the Silence nicht zu treffen. Zugleich übte er Kritik an der Gesprächsabsage. „Sprechverbote helfen nicht beim Verstehen, und sie schaffen kein Verständnis.“
Der Bundespräsident rief auch gestern dazu auf, sich gegenseitig die Freiheit der Gesprächswahl, „wie sie in der Vergangenheit bestanden hat, auch weiterhin gegenseitig zu erlauben“. Ob er Netanjahu überzeugen konnte, blieb offen. „Welche Schlüsse daraus jetzt in Israel gezogen werden, das muss man in Israel entscheiden, das kann ich nicht tun.“Israels Ministerpräsident hatte bereits unmittelbar vor seinem ersten Gespräch mit Steinmeier die Streitkräfte seines Landes demonstrativ gelobt. Mit Blick auf die Kritik von Breaking the Silence hob er hervor, die „moralischen Standards“der israelischen Armee würden „von niemandem übertroffen“.
Ex-Botschafter Avi Primor nannte die israelische Innenpolitik und Spannungen in der Regierungskoalition als Grund für die Querelen. Es handele sich „nicht allzu sehr um ein Problem zwischen Deutschland und Israel“, sagte er nach einem Mittagessen mit Steinmeier. An dem Treffen nahmen auch weitere Intellektuelle und Schriftsteller teil – auch solche, die in einer anderen umstrittenen Nichtregierungsorganisation mitarbeiten, die Gabriel getroffen hatte. Steinmeier nannte seine Gesprächspartner „Stimmen, von denen ich finde, dass sie Gehör verdienen“. Mit dem Treffen wollte er sein Interesse an kritischen IsraelÄußerungen signalisieren, ohne Netanjahu zu provozieren.
Am Morgen besuchte Steinmeier ein jüdisch-arabisches Bildungsprojekt. Die Begegnungsstätte Givat Haviva zwischen Tel Aviv und Haifa zählt zu den ältesten und größten derartigen Institutionen. Dort verbringen jüdische und arabische Jugendliche gemeinsame Sommercamps. Außerdem laufen Austauschprogramme zwischen arabischen und jüdischen Lehrern, die die strenge Trennung in Schulen aufbrechen sollen. Steinmeier lobte, das Projekt bereite den Weg zum Frieden. „Während die Politiker bei der Zwei-StaatenLösung versagen, halten Sie das Fenster zu einer Lösung offen.“
Heute trifft Steinmeier auf Palästinenerpräsident Mahmud Abbas in Ramallah. Auch hier wird es um die Zwei-Staaten-Lösung gehen.