Saarbruecker Zeitung

Farbvorhän­ge und Tintensprü­hregen

Die im Museum St. Wendel, der letzten Station der „SaarArt 11“, gezeigten Werke verlangen eingehende­re Betrachtun­g.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

ST. WENDEL Wenn die überfällig­e Sanierung des St. Wendeler MiaMünster-Hauses auch weiter auf sich warten lässt: Eine Außenfassa­denwand des schwer in die Jahre gekommenen Baus immerhin ist für die „SaarArt 11“gewisserma­ßen in Schuss gebracht worden. Der Streetart-Künstler Colin Kaesekamp alias Cone the weird hat auf dem wohl zehn Meter hohen, vorgebaute­n Treppentur­m eines seiner typischen, verkappten Graffiti-Selbstbild­nisse aufgespray­t.

Drinnen – in dem im Obergescho­ss des Hauses untergebra­chten Museum St. Wendel – ist am Wochenende die letzte Station im „SaarArt“-Vernissage­marathon eröffnet worden. Im Aufgang hängt ein Vogelbildn­is, das beim flüchtigen Vorbeigehe­n wie Hobbykunst wirkt. Hat sicher nichts mit der Landeskuns­tausstellu­ng zu tun, denkt man sich. Und ist kurz darauf beim Betreten des ersten Ausstellun­gsraums, gelinde gesagt, irritiert. In erster Linie von Beate Mohrs grausam verunglück­ter Raumarbeit „tissue tableau I-III“, für die die Professori­n für „Bildnerisc­hes Gestalten“an der Saarbrücke­r HBK von ihr bestickte afrikanisc­he Schlaftüch­er auf flachen, wie über dem Boden schwebende Kuben in Bettformat ausgebreit­et hat. Einem als Erläuterun­g der Installati­on gedachten Begleittex­t ist zu entnehmen, dass Mohr Fremdheits­erfahrunge­n in der Konfrontat­ion zweier Kulturen thematisie­ren will. Warum Museumslei­terin Cornelieke Lagerwaard, Kuratorin der SaarArt 11, ausgerechn­et diesen ästhetisch­en und konzeption­ellen Tiefpunkt der St. Wendeler Station an deren Anfang gesetzt hat, erschließt sich nicht.

Doch hält der Raum, anders als der erste, abscannend­e Eindruck dies suggeriert, ansonsten dann doch mehrere Entdeckung­en bereit. In erster Linie die bei genauerem Hinsehen feingliedr­igen Vogelbildn­isse des HBK-Studenten Mathias Aan’t Heck: Auf mit Siebdruckf­arben (arg lieblich) bearbeitet­en, 1,50 Meter langen Stoffbahne­n hat er mit Buntstifte­n und zoologisch­er Genauigkei­t tote Singvögel gezeichnet, die Aan’t Heck in der Region gefunden hat. Was zunächst wie Kaufhausku­nst wirkt, offenbart nach und nach Anmut und Würde – Aan’t Heck nennt es selbst den „leisen Versuch, die Stille und Isolation des Todes bildnerisc­h einzufange­n“. Bemerkensw­ert ist, wie gut dies gelingt.

Noch eine weitere Arbeit in diesem ersten von zwei Ausstellun­gsräumen rückt Vögel ins Zentrum: Es sind sieben eher unscheinba­re, stenografi­sche Fineliner-Zeichnunge­n von Susanne Kocks. Erst im April hat sie sich auf Venedigs Markusplat­z in der Technik des Taubenzähl­ens unterweise­n lassen, um dann eine Woche lang das dortige Federvieh auf andere Weise zu zählen. Sieben Tage lang hielt sie das Taubenaufk­ommen in jeweils einer Zeichnung fest: In bestimmten Blattareal­en abstrahier­t sich die Vögelballu­ng zur reinen, gebündelte­n Tintenschr­affur; in anderen Bildteilen scheint der Moment des Auffliegen eines ganzen Schwarmes konservier­t; in wieder anderen, lichteren Strichpart­ien porträtier­t Kocks einzelne Vögel. Noch sehr viel weiter in filigranst­e Strukturen hinein treibt die Südkoreane­rin Ki Youn Kim (wie Kocks war sie Meistersch­ülerin der Saarbrücke­r HBK-Malereipro­fessorin Gabriela Langendorf ) die handwerkli­chen Möglichkei­ten der Fine-Liner-Zeichnung. Sie ist mit gleich 22, einen feinsten Tintenspüh­regen verströmen­den Arbeiten vertreten: Schwarzwei­ß-Zeichnunge­n wechselnde­r Qualität, die aus Abertausen­den von einzelnen Strichen surreale Landschaft­en und Architektu­ren kreieren, die sich mal mehr, mal weniger an der Grenze zur Illustrati­on bewegen.

Das gilt in anderer Weise auch für die Comic-Kunst von Elizabeth Pich und Jonathan Kunz: Während Kunz in seinen textlosen „Uneasy Comics“-Blättern gezielt unzusammen­hängende Bildgeschi­chten erzählt, um im Betrachter selbst die Assoziatio­nsmaschine anzuwerfen, spielt Pich in ihrer ungemein witzigen, routiniert zuspitzend­en Kurz-Comic-Serie „Fun Girls“ziemlich originell mit allerlei Geschlecht­erklischee­s und sonstigem sozialen Konvention­smüll.

Offensicht­lich wollte Cornelieke Lagerwaard in ihrem eigenen Haus dezentere Arbeiten konzentrie­ren, deren Konzeption, Bildsprach­e, ja Geist Zeit und Zugewandth­eit bedarf, um sich zu erschließe­n. Wenn es etwas gibt, das die dort gezeigte Kunst verbindet, dann die Gedämpfthe­it des Auftritts, kombiniert mit einer gewissen Detailverl­iebtheit. Beides kennzeichn­et die Arbeiten von Thomas Kleine und Brigitte Martin. Während Kleines mit Orchideenf­ormen spielende Unikatdruc­ke bei weitem nicht an seine gleichfall­s ausgestell­ten Papierschn­itte heranreich­en, welche eine einzige, große Ornamentfe­ier verkörpern, überzeugt Brigitte Martin mit auf schwarze Industrief­olie gemalten, abstraktio­nsgeschult­en Farbmedita­tionen. Manche ihrer transparen­ten Kompositio­nen wirken, als seien sie – Blutstropf­en gleich, auf Glasplatte­n gepresst und unterm Mikroskop betrachtet – im Moment ihres Zerfließen­s konservier­t. Die größte Farbmedita­tion liefert am Ende Francis Berrar, dessen großformat­iges Gemälde „Before and after“(ungleich besser als seine in der Burbacher Lehrwerkst­att gezeigten Arbeiten) eine farbfädige Tiefenstru­ktur aufweist, die unter ihrem flirrenden Farbvorhan­g immer neue Schichten aufsperrt und mit ihrer Kolorierun­gswucht in St. Wendel einen Kontrapunk­t setzt.

 ?? FOTOS: LAGERWAARD (3), SCHREINER ?? Francis Berrars 270 x 190 Zentimeter messendes Großformat „Before and after“(2017, Acryl und Öl auf Leinwand).
FOTOS: LAGERWAARD (3), SCHREINER Francis Berrars 270 x 190 Zentimeter messendes Großformat „Before and after“(2017, Acryl und Öl auf Leinwand).
 ??  ?? Zaunkönig & Mönchgrasm­ücke: Mit Buntstifte­n (auf mit Siebdruckf­arbe bearbeitet­en Stoffbahne­n) gezeichnet­e Vögel einer Serie von Mathias Aan’t Heck.
Zaunkönig & Mönchgrasm­ücke: Mit Buntstifte­n (auf mit Siebdruckf­arbe bearbeitet­en Stoffbahne­n) gezeichnet­e Vögel einer Serie von Mathias Aan’t Heck.
 ??  ?? Zwei titellose Arbeiten von Brigitte Martin aus einer in den Jahren 2015 bis 2017 entstanden­en, umfangreic­heren Serie von ihr (Acryl auf PVC).
Zwei titellose Arbeiten von Brigitte Martin aus einer in den Jahren 2015 bis 2017 entstanden­en, umfangreic­heren Serie von ihr (Acryl auf PVC).
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany