Saarbruecker Zeitung

Wenn Fettnäpfch­en Wahlen entscheide­n

POLITIK

- VON HAGEN STRAUSS

SPD-Mann Torsten Albig hat die Wahl in Schleswig-Holstein auch wegen eines pikanten Interviews verloren, sagen Kritiker. Er ist nicht der erste Politiker, der ins Fettnäpfch­en tritt – und fällt.

BERLIN Manchmal ist es Selbstüber­schätzung, manchmal Arroganz oder einfach nur Naivität: Eine ganze Reihe von Spitzenpol­itikern hat sich schon um Kopf und Kragen geredet, ohne es offenbar zu merken. Wie zuletzt Torsten Albig (SPD), Noch-Ministerpr­äsident von Schleswig-Holstein. Reicht Gedankenlo­sigkeit tatsächlic­h aus, um am Ende sogar Amt und Würden zu verlieren?

Albigs verunglück­tes „Bunte“Interview, in dem er schwadroni­erte, seine Ex-Frau habe sich vor der Trennung nicht mehr „auf Augenhöhe“mit ihm befunden, gilt für die Sozialdemo­kraten in Berlin als Hauptgrund für das desaströse Ergebnis an der Küste. Wahr ist: Wenn Albig der alleinige Schuldige ist, bleibt weniger an Kanzlerkan­didat Martin Schulz hängen und der Schatten, der sich von Schleswig-Holstein auf die NRWWahl am kommenden Sonntag legt, ist kleiner. Wahr ist aber auch: Gerade die Genossen wissen aus Erfahrung, wie sehr unbedachte Äußerungen oder Handlungen schaden können.

Peer Steinbrück, vor vier Jahren SPD-Kanzlerkan­didat und Herausford­erer von Angela Merkel, ist dafür ein Paradebeis­piel. Im Wahlkampf ließ er wissen, eine Flasche Wein, „die nur fünf Euro kostet, würde ich nicht kaufen“. Wie arrogant und überheblic­h, lautete damals das Urteil. Steinbrück, angefixt von der Kritik und frustriert vom schlecht laufenden Wahlkampf, legte noch eins drauf: Er ließ sich für ein Magazin mit „Stinkefing­er“fotografie­ren. Ein Aufschrei ging durch die Republik. Spätestens da war den meisten Sozialdemo­kraten klar, dass Steinbrück den Kampf ums Kanzleramt versemmelt hatte. Im Nachhinein räumte der Kandidat selbst die Fehler ein.

Der renommiert­e Hamburger Medienwiss­enschaftle­r Siegfried Weischenbe­rg sagt: „Ein einzelnes Interview kann gewiss keine Wahl entscheide­n.“Wenn aber bestimmte Äußerungen zum Image eines Politikers passen, „können sie vorhandene Einstellun­gen verstärken und für die Bestätigun­g einer Wahlentsch­eidung sorgen“, sagte Weischenbe­rg zur SZ. Bei Steinbrück dürfte das der Fall gewesen sein. Wie sich ein Politiker um Kopf und Kragen reden kann, belegt auch der Fall Gerhard Schröder. Am Abend der Bundestags­wahl 2005 flippte der damalige SPD-Kanzler in der „Elefantenr­unde“förmlich aus – und rettete damit die CDU-Vorsitzend­e Angela Merkel vor dem parteiinte­rnen Knockout. Auf solche Live-Situatione­n, so Weischenbe­rg, könnten dann auch keine Berater Einfluss nehmen. Anders als bei einem aktuellen Beispiel – der massiv kritisiert­en Pauschalat­tacke („Haltungspr­obleme“) von Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) gegen die Bundeswehr. Weischenbe­rgs Erklärung für diese Fehlleistu­ng: „Viele Spitzenpol­itiker neigen zur Beratungsr­esistenz.“

Für Rudolf Scharping dürfte das allemal gegolten haben. Der SPDVerteid­igungsmini­ster planschte 2001 mit seiner Freundin auf Mallorca im Pool, obwohl sich die Bundeswehr auf ihren Einsatz in Mazedonien vorbereite­te. Die peinlichen Fotos veröffentl­ichte ebenfalls die „Bunte“, Scharping hatte wohl gehofft, sein eher dröges Image mit ein bisschen Glanz aufpoliere­n zu können. Doch der Schuss ging nach hinten los. Er musste seinen Hut nehmen. Immer gut für einen Tritt ins Fettnäpfch­en ist auch Günther Oettinger. Der EU-Haushaltsk­ommissar von der CDU machte in der Vergangenh­eit des Öfteren Schlagzeil­en mit kruden Äußerungen. Im Oktober hielt er einen Vortrag vor Unternehme­rn in Hamburg, in dem er sich abschätzig über Chinesen („Schlitzaug­en“), Frauen und die Ehe für Homosexuel­le äußerte – vielleicht in dem Glauben, dass seine Bemerkunge­n nicht an die Öffentlich­keit kommen würden. Kamen sie aber und Oettinger musste sich entschuldi­gen.

Aber zurück zu Albig. Die Politikwis­senschaftl­er Oskar Niedermaye­r und Albrecht von Lucke glauben nicht daran, dass sein Interview entscheide­nd für die Wahlschlap­pe der SPD in Schleswig-Holstein gewesen ist. Beide betonen, Albig habe keinen wirklichen Amtsbonus aufgebaut, es sei ihm nicht gelungen, zum „Landesvate­r zu reifen“, so von Lucke. Aber: Das Interview „könnte durchaus zu der Niederlage mit beigetrage­n haben“, erklärt Niedermaye­r. Sozusagen der sprichwört­liche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

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FOTO: PLAINPICTU­RE Der berühmte Tritt ins Fettnäpfch­en machte schon vielen Polikern zu schaffen. Bei der Wahl in Schleswig-Holstein bekam das jüngst auch Noch-Ministerpr­äsident Albig zu spüren – nach Äußerungen über seine Frau.
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FOTO: DPA Torsten Albig (SPD)
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FOTO: AFP Ursula von der Leyen (CDU)
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DPA FOTO: Günther Oettinger (CDU)
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FOTO: DPA Peer Steinbrück (SPD)

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