Saarbruecker Zeitung

Heimspiel für die Kanzlerin im Land der Genossen

Angela Merkel hängt sich im Wahlkampf von Nordrhein-Westfalen für die CDU rein – und hofft am Sonntag auf einen Regierungs­wechsel.

- VON HAGEN STRAUSS CDU-Mitglied und Ordner bei Merkels Wahlkampfa­uftritt in Haltern am See

HALTERN AM SEE Martin Schulz hat ein Auge auf Angela Merkel geworfen. „Ich kann mir keine bessere Kanzlerin vorstellen“, betont der 57-Jährige. Wie jetzt, das sagt Martin Schulz? Ja. Der Mann ist ehrenamtli­cher Ordner auf dem historisch­en Marktplatz in Haltern am See. Und schon ewig in der CDU. Schulz hat absolut nichts mit seinem prominente­n Namensvett­er gemein, mit dem SPD-Kanzlerkan­didaten. „Wir haben aber das Original“, grinst Hendrik Griesbach, 26 Jahre alt und schon seit zwei Jahren CDU-Stadtverba­ndsvorsitz­ender. Mehr Martin Schulz braucht es an diesem Tag nicht.

Als die Kanzlerin die Bühne vor dem alten Rathaus erklimmt, ist der Applaus freundlich. Anfeindung­en? Proteste? Fehlanzeig­e, bis auf ein Plakat: „Hau ab, lüg woanders“. Haltern am See ist eben anders als viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen – hier haben Merkel und der CDU-Spitzenkan­didat für die Landtagswa­hl am kommenden Sonntag, Armin Laschet, eine Art Heimspiel. Den Bürgermeis­ter stellt seit Jahren die CDU, der Stadt geht es gut, und Haltern rühmt sich seiner „grünen Lunge“.

An der Pforte der Stadtkirch­e St. Sixtus, in der 2015 die Bürger noch gemeinsam den Tod von 16 Gymnasiast­en und zweier Lehrerinne­n beim Absturz der Germanwing­sMaschine in den französisc­hen Alpen betrauerte­n, hängt sogar ein Transparen­t: „Wir schaffen’s immer noch.“In Anlehnung an Merkels berühmten Satz auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise. „Danke dafür“, ruft die Kanzlerin. Man arbeite daran, dass sich ein Jahr wie 2015 nicht wiederhole. Kein Mensch verlasse aber seine Heimat, „wenn es nicht lebensbedr­ohlich vor Ort ist“. Dafür gibt es Applaus. Auch das ist längst nicht überall so.

Und die AfD? „Haben wir hier nicht“, sagt Stadtverba­ndschef Griesbach stolz. Merkel ist in das beschaulic­he Städtchen gekommen, um für ihre Union im Schlussspu­rt bis zur Wahl am Sonntag die Werbetromm­el zu rühren. Den Martin Schulz von der SPD erwähnt sie namentlich nicht, nur einmal spricht sie „vom Spitzenkan­didaten der Sozialdemo­kraten, der diesmal antritt“. Da klingt Spott mit, denn der SchulzZug ist bekanntlic­h ins Stocken geraten. Es läuft momentan auch gut an Rhein und Ruhr ohne Attacken auf den obersten Genossen. In Haltern zeigt Merkel, wie wichtig sie die Wahl im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland nimmt. Deswegen spricht sie vor allem Landesthem­en an. Wohl wissend, dass nur damit noch die letzten Punkte bis zum Urnengang gemacht werden können. Das ist ihre Strategie – und Laschets. „Die Kilometerz­ahl, die die Menschen in NRW im Stau stehen, entspricht der Entfernung von der Erde zum Mond“, schimpft Merkel. Auch sei die Ausstattun­g der Kommunen mit Finanzen ein Problem. Der Bund gebe genug Geld, aber in NRW werde es an die Städte nicht weitergere­icht. Dabei „wissen die Bürgermeis­ter schon, was zu tun ist“.

Bildung, Strukturwa­ndel, NRW’s hohe Schuldenla­st, die vielen Einbrüche, Merkel spielt auf der Klaviatur dessen, was die Leute vom Ruhrgebiet bis zum Münsterlan­d bewegt. Das kommt an. Gelänge es CDU-Spitzenkan­didaten Laschet hier die SPD zu schlagen, in dem Land, das immer noch als Herzkammer der Sozialdemo­kratie gilt, verliert also Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft ihr Amt, wäre dies ein gigantisch­er Triumph. Auch für die Parteivors­itzende. Dann gibt es ihn vermutlich wirklich wieder, den „MerkelEffe­kt“, von dem Schleswig-Holsteins CDU-Spitzenkan­didat Daniel Günther nach seinem Sieg im hohen Norden so schwärmte. Merkel wäre wieder das Zugpferd der Partei. Und das nach Wochen des Frustes und der Ratlosigke­it in der Union angesichts des anfänglich­en Schulz-Hypes, auch nach Wochen der Zweifel an der eigenen Bundeskanz­lerin. Gleichwohl: Merkels Strategen sind sich darüber im Klaren, dass mit einem Sieg in Nordrhein-Westfalen die Bundestags­wahl nicht automatisc­h gewonnen wäre. In den nächsten vier Monaten kann noch viel passieren, heißt es.

„Die Wahlen gehen heute immer knapp aus“, ruft Merkel deshalb zum Schluss ihrer Rede. Sie habe im Gefühl, „dass es auf jede Stimme ankommt“. Alte Weisheit, aber diesmal wohl wirklich wahr. Glaubt übrigens auch Martin Schulz – von der CDU.

Martin Schulz,

„Ich kann mir keine bessere Kanzlerin vorstellen.“

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