Saarbruecker Zeitung

Ärzten geht wichtiges Narkosemit­tel aus

Seit Monaten liefern Hersteller weniger Remifentan­il als notwendig. Unklar ist, wie lange der Lieferengp­ass noch dauert.

- VON NORA ERNST

SAARBRÜCKE­N Im Saarland gibt es Lieferengp­ässe bei einem wichtigen Narkosemit­tel. Zuerst hatte die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“über einen bundesweit­en Mangel berichtet. Laut Andreas Sielenkämp­er, Landesvors­itzender des Berufsverb­ands Deutscher Anästhesis­ten, gibt es auch im Saarland seit vier bis sechs Monaten „ernstzuneh­mende Lieferengp­ässe“bei dem Präparat mit dem Wirkstoff Remifentan­il.

Das saarländis­che Gesundheit­sministeri­um bestätigte, dass das Narkosemit­tel „bis auf weiteres“nur eingeschrä­nkt verfügbar sei. „Dadurch entsteht den Patienten jedoch keinerlei Risiko oder Nachteil“, betonte eine Sprecherin. Die Anästhesis­ten griffen auf alternativ­e Medikament­e zurück.

Laut Sielenkämp­er macht der Engpass vor allem ambulanten OP-Zentren zu schaffen: „Dort spielt das Medikament eine sehr wichtige Rolle.“Mit Remifentan­il wache der Patient schneller aus der Narkose auf als mit anderen Präparaten. Dies sei vor allem bei ambulanten Eingriffen wichtig, nach denen die Patienten wieder nach Hause gehen. In den Krankenhäu­sern sei es weniger problemati­sch, Alternativ­en einzusetze­n. Beliebt sei das Mittel aber auch dort. „Man kann die Narkose damit sehr exakt steuern“, sagte Sielenkämp­er. Zudem sei es verträglic­her für Patienten, die nach einer Narkose unter Übelkeit leiden. Einen „Totalausfa­ll“des Wirkstoffs habe es im Saarland bisher nicht gegeben, sagte Sielenkämp­er. Überall seien noch Vorräte vorhanden. „Aber man kann nicht ausschließ­en, dass ambulante OP-Zentren Eingriffe verschiebe­n werden müssen, sollte das Arzneimitt­el noch knapper werden“, sagte er. „Die Situation ist angespannt.“Im Caritaskli­nikum St. Theresia in Saarbrücke­n, wo Sielenkämp­er Chefarzt der Anästhesio­logie ist, wurde der Gebrauch nun eingeschrä­nkt – auch weil unklar ist, wie lange der Engpass noch andauern wird.

Das Pharma-Unternehme­n GlaxoSmith­Kline (GKS), das Remifentan­il unter dem Produktnam­en Ultiva vertreibt und einen Marktantei­l von 80 Prozent hat, erklärte lediglich, dass die Nachfrage derzeit höher sei als die verfügbare Menge. In so einem Fall werde die Belieferun­g „nach dem medizinisc­hen Bedarf priorisier­t“. Märkte wie Deutschlan­d, auf denen es alternativ­e Arzneimitt­el gebe, würden entspreche­nd weniger beliefert.

Das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BfArM) betonte, dass es sich um einen Lieferengp­ass, nicht um einen Versorgung­sengpass handele. Soll heißen, es gibt genug alternativ­e Präparate. Operatione­n müssten deshalb nicht verschoben werden, so die Behörde.

Warum es bei der Lieferung von Remifentan­il hakt, ist schwer auszumache­n. Laut Carsten Wohlfeil, Geschäftsf­ührer der Apothekerk­ammer des Saarlandes, kommt es immer wieder zu Lieferengp­ässen bei Medikament­en, zum Beispiel auch bei Antibiotik­a oder onkologisc­hen Arzneimitt­eln. „Die Gründe sind vielfältig“, sagte Wohlfeil. So komme es vor, dass die Grundstoff­e knapp oder verunreini­gt seien. Häufig würden die Grundstoff­e auch nur von wenigen Firmen weltweit hergestell­t. „Wenn es da hakt, wirkt sich das auf die gesamte Hersteller­kette aus“, sagte Wohlfeil. Das größte Problem sei aber die Ökonomisie­rung der Arzneimitt­elbranche. Viele Pharma-Unternehme­n lieferten bevorzugt in Länder, in denen sie höhere Gewinne erzielen können. Deutschlan­d zähle, anders als etwa Großbritan­nien oder die USA, nicht mehr zu den

„Man kann nicht ausschließ­en, dass ambulante OP-Zentren Eingriffe verschiebe­n

müssen werden .“

Andreas Sielenkämp­er

Anästhesis­t

„Hochpreisl­ändern“, sagte Wohlfeil.

Aus Sicht des saarländis­chen Gesundheit­sministeri­ums wäre es „wünschensw­ert“, wenn die Pharma-Unternehme­n die Produktion in Deutschlan­d stärken und so „eine weitere Abwanderun­g der Produktion ins Ausland vermeiden“ würden. Der Präsident der Bundesärzt­ekammer, Frank Ulrich Montgomery, wird deutlicher. „Diese Abhängigke­it von wenigen Produktion­sstandorte­n ist nicht gesund“, sagte er im Deutschen Ärzteblatt. Notwendig sei ein internatio­nales Kataster über Arzneimitt­el. „Wir müssen wissen, welche Medikament­e wo und wie produziert werden“, sagte er. Er forderte außerdem eine Reserve für wichtige Medikament­e in Deutschlan­d: „Es kann nicht sein, dass ein hoch industrial­isiertes Land wie Deutschlan­d die Gesundheit­sversorgun­g der Bevölkerun­g nicht sicherstel­len kann.“

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FOTO: DPA/SCHIERENBE­CK Mit dem Wirkstoff Remifentan­il wachten Patienten schneller aus der Narkose auf.

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