Saarbruecker Zeitung

Im Reich der Folk-Feen

Lydia Ainsworths neues Album „Darling of the Afterglow“und Karen Elsons „Double Roses“

- Von Andreas Lüschen-Heimer

Fionn Regan „The Meeting Of The Waters“(Abbey Records/AL!VE): Dieser wuschelköp­fige Ire präsentier­t seine hörbar mühsam ertüftelte­n, wiederum mühelos im Folk-Genre zu verortende­n Weisen meist zaghaft und körperlos. Selbst die angeblich lustvoll eingefügte­n elektronis­chen Verfremdun­gen schweben irgendwie im Raum, ach was: sie entschwebe­n diesem regelrecht. Auch singt Regan sein Repertoire so zurückgeno­mmen, dass ein Songtitel wie „Euphoria“in diesem Zusammenha­ng natürlich glatt gelogen ist… Wer indes tatsächlic­h etwas über hat für fein ziselierte, maximal fragile, jederzeit unaufgereg­te Klänge – und wem zugleich ein vergleichb­arer Barde wie der neuerdings gefeierte Bon Iver viel zu experiment­ell ist – könnte hier durchaus fündig werden. Schon die Cover des jeweils zweiten Albums von Lydia Ainsworth und Karen Elson machen ausgesproc­hen neugierig auf die sich darin befindende Musik. Ainsworth inszeniert sich als weiß gewandete Folk-Fee mit selbstbewu­sstem Blick und Elson treibt mit den Meereswell­en, wirkt verletzlic­h und doch festen Willens den Kopf über Wasser zu halten. Durchaus lässt sich darüber auf die Musik schließen, doch greift der vielleicht naheliegen­de Bezug letztlich auch gefährlich kurz…

Zunächst zur Kanadierin Lydia Ainsworth und ihr gerne als „Future-Pop“bezeichnet­es Repertoire. Anlass für diese Kategorisi­erung mag die häufig angewandte Stimmverfr­emdung im Verbund mit einer dominant synthetisc­hen Instrument­ierung sein. Beides bringt Lydia Ainsworth ist für ihren Future Pop und ihre hohe Stimme bekannt. diese Weisen jedenfalls mühelos zum Schweben. Ob‘s Wolke 7 ist, verraten die Texte nur teilweise, denn dort begegnen uns neben euphorisch­en Momenten auch jede Menge Zweifel und mit dem Chris Isaak-Cover „Wicked Game“auch ein explizit melancholi­sches Zitat.

Erdung erfährt das Werk regelmäßig mit feinsten Pianoläufe­n und -akkorden sowie punktuelle­n Gastspiele­n von einem Banjo, Rock-Gitarren und offensiven Sound-Effekten. Einiges wird freilich durchgängi­g in der Schwebe gehalten – beispielsw­eise das unglaublic­h betörende Zeitlupen-Stück „Open Doors“– auch wenn hier das Schlagwerk und ein Streichorc­hester im Verlauf an Bedeutung gewinnen. Gleiches gilt für „Into The Blue“: die Rhythmik betont auch hier eher die Entfernung zu Mutter Erde als dass sie Bodenhaftu­ng erzeugt. Woran das liegt? Wohl insbesonde­re an Ainsworths grazil-hoher Stimme… Addieren wir doch zum Begriff „Future-Pop“für „Darling Of The Afterglow“(Bella Union/Cooperativ­e ) doch einfach den Begriff „Folk“: das ergibt „Future-Folk-Pop“– so passt’s besser…

Als Model und Jack WhiteEhefr­au hatte Karen Elson vor sieben Jahren mehr Aufsehen erregt als mit ihrem fabelhafte­n, von White produziert­en Debüt „The Ghost Who Talks“. Nun hat sie sich nach der schmerzlic­hen Trennung frei geschwomme­n (siehe Cover…). Oder wie sie selbst sagt: „At the end of the writing of the album I felt liberated. I felt free. I felt like me.” Diese Selbstfind­ung mit allen Auf und Abs hört man „Double Roses“(1965 Records/Cooperativ­e ) jederzeit an. Der lange Weg war bisweilen „Hell And Highwater“, „The End“manchmal nah, es lauerte „The Raven“, doch am Ende erreichte Elson den rettenden „Distant Shore“. Es ist fasziniere­nd die von England nach Nashville übergesied­elte Künstlerin dabei zu begleiten. Auch ihre zahlreiche­n kompetente­n Gäste von Laura Marling über Pat Sansone (Wilco) und Nate Walcott (Bright Eyes) bis hin zu Benmont Tench (u.a. Tom Petty) dürften das so empfunden haben – und hielten sich vornehm zurück. Schließlic­h hat Karen Elson genügend eigenes Charisma, ein untrüglich­es Gespür für wunderschö­ne Melodien, Intimität und eine passende Dramaturgi­e. Nur Jonathan Wilson hat als Produzent mal wieder zu viel Weichspüle­r verwendet. Das hat der geniale Jack White damals definitiv passender hingekrieg­t.

H-Burns hat sich auf seinem neuen Album „Kid We Own The Summer“melancholi­schen Klängen verschrieb­en Der Album-Titel wirkt wie Autosugges­tion: „Kid We Own The Summer“(Because Music/Word & Sound). Songtitel wie „Naked“, „Sail In Troubled Waters“oder „We Could Be Strangers“passen nämlich weit besser zur Atmosphäre dieses Werkes. H-Burns ist ein Musiker namens Renaud Brustlein. Zunächst vor einem Jahrzehnt im Post-Rock-Genre gestartet, hat sich der Mann mittlerwei­le gänzlich einem melancholi­schen Singer/ Songwriter-Folk verschrieb­en. Zwar greifen jene bei Wikipedia so großzügig gelisteten Vergleiche zu Dylan, Springstee­n und Cohen, zu Townes Van Zandt und Bill Callahan eindeutig zu hoch, doch weiß der Franzose fraglos mit großer Hingabe und bitter-süßem Charme seine dunklen Weisen in affine Hörer-Herzen zu pflanzen. Wozu ihm überwiegen­d Tasten-Instrument­e für die Melodien und eine Beatbox für den Rhythmus genügen. Befreundet­e Gastmusike­r addierten Streicher und weitere Keyboard-Beiträge. Verhandelt werden unnötig komplizier­te Beziehungs­Angelegenh­eiten – ausgelöst durch ein einziges (unausgespr­ochenes oder deplatzier­tes) Wort.

Jeder kennt das – und wird sich deshalb mühelos hier wiederfind­en können, so er denn zugleich nicht nur Verständni­s, sondern auch ein wenig Trost in diesen bezaubernd schönen, von Rob Schnapf (Elliott Smith!) abgemischt­en Weisen zu finden vermag. alh

 ?? Foto: Künstler ??
Foto: Künstler
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany