Im Reich der Folk-Feen
Lydia Ainsworths neues Album „Darling of the Afterglow“und Karen Elsons „Double Roses“
Fionn Regan „The Meeting Of The Waters“(Abbey Records/AL!VE): Dieser wuschelköpfige Ire präsentiert seine hörbar mühsam ertüftelten, wiederum mühelos im Folk-Genre zu verortenden Weisen meist zaghaft und körperlos. Selbst die angeblich lustvoll eingefügten elektronischen Verfremdungen schweben irgendwie im Raum, ach was: sie entschweben diesem regelrecht. Auch singt Regan sein Repertoire so zurückgenommen, dass ein Songtitel wie „Euphoria“in diesem Zusammenhang natürlich glatt gelogen ist… Wer indes tatsächlich etwas über hat für fein ziselierte, maximal fragile, jederzeit unaufgeregte Klänge – und wem zugleich ein vergleichbarer Barde wie der neuerdings gefeierte Bon Iver viel zu experimentell ist – könnte hier durchaus fündig werden. Schon die Cover des jeweils zweiten Albums von Lydia Ainsworth und Karen Elson machen ausgesprochen neugierig auf die sich darin befindende Musik. Ainsworth inszeniert sich als weiß gewandete Folk-Fee mit selbstbewusstem Blick und Elson treibt mit den Meereswellen, wirkt verletzlich und doch festen Willens den Kopf über Wasser zu halten. Durchaus lässt sich darüber auf die Musik schließen, doch greift der vielleicht naheliegende Bezug letztlich auch gefährlich kurz…
Zunächst zur Kanadierin Lydia Ainsworth und ihr gerne als „Future-Pop“bezeichnetes Repertoire. Anlass für diese Kategorisierung mag die häufig angewandte Stimmverfremdung im Verbund mit einer dominant synthetischen Instrumentierung sein. Beides bringt Lydia Ainsworth ist für ihren Future Pop und ihre hohe Stimme bekannt. diese Weisen jedenfalls mühelos zum Schweben. Ob‘s Wolke 7 ist, verraten die Texte nur teilweise, denn dort begegnen uns neben euphorischen Momenten auch jede Menge Zweifel und mit dem Chris Isaak-Cover „Wicked Game“auch ein explizit melancholisches Zitat.
Erdung erfährt das Werk regelmäßig mit feinsten Pianoläufen und -akkorden sowie punktuellen Gastspielen von einem Banjo, Rock-Gitarren und offensiven Sound-Effekten. Einiges wird freilich durchgängig in der Schwebe gehalten – beispielsweise das unglaublich betörende Zeitlupen-Stück „Open Doors“– auch wenn hier das Schlagwerk und ein Streichorchester im Verlauf an Bedeutung gewinnen. Gleiches gilt für „Into The Blue“: die Rhythmik betont auch hier eher die Entfernung zu Mutter Erde als dass sie Bodenhaftung erzeugt. Woran das liegt? Wohl insbesondere an Ainsworths grazil-hoher Stimme… Addieren wir doch zum Begriff „Future-Pop“für „Darling Of The Afterglow“(Bella Union/Cooperative ) doch einfach den Begriff „Folk“: das ergibt „Future-Folk-Pop“– so passt’s besser…
Als Model und Jack WhiteEhefrau hatte Karen Elson vor sieben Jahren mehr Aufsehen erregt als mit ihrem fabelhaften, von White produzierten Debüt „The Ghost Who Talks“. Nun hat sie sich nach der schmerzlichen Trennung frei geschwommen (siehe Cover…). Oder wie sie selbst sagt: „At the end of the writing of the album I felt liberated. I felt free. I felt like me.” Diese Selbstfindung mit allen Auf und Abs hört man „Double Roses“(1965 Records/Cooperative ) jederzeit an. Der lange Weg war bisweilen „Hell And Highwater“, „The End“manchmal nah, es lauerte „The Raven“, doch am Ende erreichte Elson den rettenden „Distant Shore“. Es ist faszinierend die von England nach Nashville übergesiedelte Künstlerin dabei zu begleiten. Auch ihre zahlreichen kompetenten Gäste von Laura Marling über Pat Sansone (Wilco) und Nate Walcott (Bright Eyes) bis hin zu Benmont Tench (u.a. Tom Petty) dürften das so empfunden haben – und hielten sich vornehm zurück. Schließlich hat Karen Elson genügend eigenes Charisma, ein untrügliches Gespür für wunderschöne Melodien, Intimität und eine passende Dramaturgie. Nur Jonathan Wilson hat als Produzent mal wieder zu viel Weichspüler verwendet. Das hat der geniale Jack White damals definitiv passender hingekriegt.
H-Burns hat sich auf seinem neuen Album „Kid We Own The Summer“melancholischen Klängen verschrieben Der Album-Titel wirkt wie Autosuggestion: „Kid We Own The Summer“(Because Music/Word & Sound). Songtitel wie „Naked“, „Sail In Troubled Waters“oder „We Could Be Strangers“passen nämlich weit besser zur Atmosphäre dieses Werkes. H-Burns ist ein Musiker namens Renaud Brustlein. Zunächst vor einem Jahrzehnt im Post-Rock-Genre gestartet, hat sich der Mann mittlerweile gänzlich einem melancholischen Singer/ Songwriter-Folk verschrieben. Zwar greifen jene bei Wikipedia so großzügig gelisteten Vergleiche zu Dylan, Springsteen und Cohen, zu Townes Van Zandt und Bill Callahan eindeutig zu hoch, doch weiß der Franzose fraglos mit großer Hingabe und bitter-süßem Charme seine dunklen Weisen in affine Hörer-Herzen zu pflanzen. Wozu ihm überwiegend Tasten-Instrumente für die Melodien und eine Beatbox für den Rhythmus genügen. Befreundete Gastmusiker addierten Streicher und weitere Keyboard-Beiträge. Verhandelt werden unnötig komplizierte BeziehungsAngelegenheiten – ausgelöst durch ein einziges (unausgesprochenes oder deplatziertes) Wort.
Jeder kennt das – und wird sich deshalb mühelos hier wiederfinden können, so er denn zugleich nicht nur Verständnis, sondern auch ein wenig Trost in diesen bezaubernd schönen, von Rob Schnapf (Elliott Smith!) abgemischten Weisen zu finden vermag. alh