Politisches Erdbeben in NRW: Union gewinnt – SPD stürzt ab
CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet kann Ministerpräsident werden. Hannelore Kraft tritt von allen Ämtern zurück. Die FDP erzielt ein Rekordergebnis. Die AfD kommt in den Landtag.
DÜSSELDORF/BERLIN (dpa/afp/SZ) Die SPD von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat mit einer spektakulären Wahlniederlage die Vormacht in ihrem Stammland Nordrhein-Westfalen verloren. Vier Monate vor der Bundestagswahl gewann die Union auch die dritte und wichtigste Landtagswahl des Jahres. CDU-Herausforderer Armin Laschet galt gestern Abend als der sichere kommende Ministerpräsident. Er könnte in einer großen Koalition regieren. Möglich schien gestern Abend aber sogar eine CDU/FDP-Regierung, weil der Einzug der Linken in den Landtag bei rund fünf Prozent auf der Kippe stand. Ohne eine Linke-Fraktion hätte SchwarzGelb eine Mehrheit im Landtag.
Nach Hochrechnungen von ARD und ZDF lag die CDU mit rund 33 Prozent sicher vor der SPD mit knapp über 31. Dahinter folgte die FDP mit über zwölf Prozent. Mit rund siebeneinhalb Prozent zieht erstmals die AfD in den Düsseldorfer Landtag ein. Die bislang an der Regierung beteiligten Grünen stürzten auf knapp über sechs Prozent ab.
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft legte nach der Abwahl von Rot-Grün alle Ämter in der SPDFührung nieder. Für SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist es der bisher härteste Tiefschlag seit seiner Nominierung Anfang des Jahres. Die SPD fuhr in NRW ihr schlechtestes Ergebnis in der Landesgeschichte ein. „Wir müssen überlegen, was war mein Anteil daran“, sagte Schulz, auch wenn vor allem über Landespolitik abgestimmt worden sei. Die Bürger wollten, dass er nicht nur über soziale Gerechtigkeit rede, sondern die Zukunftsperspektiven der Bundespolitik präziser beschreibe, sagte Schulz.
CDU-Wahlsieger Laschet kündigte an, er wolle mit allen „demokratischen Parteien“sprechen. „Politik ist kein Wunschkonzert, natürlich sind wir bei vielen Themen nahe bei der FDP.“Den Wahlsieg der CDU im Saarland mit Annegret Kramp-Karrenbauer nannte Laschet einen entscheidenden Impuls für den Wahlkampf und die Aufholjadg in NRW. FDP-Chef Christian Lindner erklärte angesichts des besten Landesergebnisses seit über 50 Jahren, die Liberalen peilten Koalitionsverhandlungen mit der CDU an.
Die NRW-Wahl galt als wichtigster Stimmungstest vor der Bundestagswahl im September, da jeder fünfte Wähler bundesweit in dem Land zu Hause ist. Noch vor wenigen Wochen hatte die SPD in Umfragen dort klar vorn gelegen.
DÜSSELDORF (dpa) Rot-Grün abgewählt. Die SPD so schlecht wie nie bei einer Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Hannelore Kraft schon wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale nicht mehr Landesvorsitzende und Bundesvize der Sozialdemokraten. Die Wähler haben die Politik Nordrhein-Westfalens erbeben lassen und die Verhältnisse völlig auf den Kopf gestellt.
Die CDU ist stärkste Partei, ihr bislang eher unauffälliger Chef Armin Laschet kann sich gute Chancen ausrechnen, der vierte CDUMinisterpräsident in der Geschichte des bevölkerungsreichsten Bundeslandes zu werden, möglicherweise sogar als Chef einer schwarz-gelben Koalition.
Ausgerechnet Nordrhein-Westfalen, ausgerechnet Hannelore Kraft – eine schlimmere Vorstellung dürfte es für die SPD nicht gegeben haben. Doch völlig überraschend ist das Debakel der Genossen nicht. Denn die gesamte Wahlperiode über war es für RotGrün in NRW nicht wirklich gut gelaufen. Schon bald nach der Landtagswahl 2012 hatte die CDU in den Meinungsumfragen zur SPD aufgeschlossen und diese Position bis zur Nominierung von Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten gehalten. Und auch in NRW war der „Schulz-Hype“nur ein Zwischenhoch.
„Wir haben einen Wahlkampf geführt, bei dem es fast ausschließlich um landespolitische Themen ging, darum hatte ich auch Berlin gebeten“, sagte Kraft, als sie gestern Abend vor ihre enttäuschten Anhänger trat. Doch auf diesem Feld hatte die SPD offenbar nicht genug zu bieten. Breiter Unmut über die Schulpolitik, Innenminister Ralf Jäger (SPD) nach der Kölner Silversternacht und dem Terrorfall Amri im Dauermodus der Selbstverteidigung, täglich lange Staus auf den Autobahnen. Am Ende waren laut einer Analyse von Infratest dimap für die ARD nur noch 45 Prozent der Wahlberechtigten mit der Regierung Kraft zufrieden – noch weniger als in Schleswig-Holstein. Und viel weniger als in RheinlandPfalz, wo die Regierung von Krafts Parteifreundin Malu Dreyer vor dem Sieg im vergangenen Jahr auf eine Zustimmung von 61 Prozent gekommen war.
Der moderat und nett auftretende Laschet und der forsche FDPParteichef Christian Lindner haben diese Stimmung in der Bevölkerung geschickt genutzt und im Wahlkampf auf die Themen innere Sicherheit, Schulen und Infrastruktur gesetzt. Gegen die von ihnen früh angestoßene Schlusslicht-Debatte über die schlechten Zahlen von Nordrhein-Westfalen auf vielen Politikfeldern hat Kraft keine richtige Antwort gefunden.
Die Herzblut-Wahlkämpferin Kraft konnte die Stimmung nicht mehr wenden. Denn auch ihr Image als Kümmerin hat nach Umfragen gelitten: 2012 hätten 74 Prozent der Wahlberechtigten gesagt, Kraft verstehe, was die Menschen bewege, jetzt seien es nur noch 60 Prozent gewesen, so Infratest dimap. Krafts Thema der vorsorgenden Sozialpolitik („Kein Kind zurücklassen“) zündete nicht so recht.
Dem 56-jährigen Armin Laschet, der als treuer Gefolgsmann Angela Merkels gilt, ist es gelungen, viele CDU-Sympathisanten zurückzugewinnen, die der Union vor fünf Jahren ihre Stimme verweigert hatten. Glänzend ist das Wahlergebnis aber nicht. Die laut Hochrechnungen knapp 34 Prozent, wären noch immer das zweitschlechteste Ergebnis der CDU bei einer NRW-Landtagswahl. Selbst CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat bei seiner Abwahl 2010 mehr Prozentpunkte eingefahren.
Was Laschet mit dem Erfolg anfangen kann, war am Wahlabend zunächst nicht völlig klar. Eine CDU/FDP-Koalition schien nicht ausgeschlossen, aber wackelig. Da die Grünen am Nein zu einer „Jamaika“-Koalition mit CDU und FDP festhielten, wäre die große Koalition die einzige Alternative.
Ein Selbstläufer würde sie aber nicht. Kraft will ihrer Partei zumindest nicht öffentlich eine Empfehlung für eine Koalition geben. Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski, Sprecher der Ruhrgebiets-SPD, empfahl seiner Partei aber schon mal, „die SPD sollte die Oppositionsrolle annehmen“.