Saarbruecker Zeitung

Wenn der Erpresser online geht

Online-Kriminelle haben am Freitag weltweit zehntausen­de Rechner lahmgelegt. Das Ausmaß dieser Cyber-Attacke ist bisher einmalig.

- VON ANDREJ SOKOLOW

BERLIN (dpa) Das Horrorszen­ario eines Cyber-Kriegs: Skrupellos­e Hacker legen die Versorgung­snetze lahm. Am Freitag war es so weit. Nur dass die Rechner in britischen Kliniken, bei Telefónica, Iberdrola in Spanien und der Deutschen Bahn nicht gezielt lahmgelegt wurden. Verantwort­lich war vielmehr einer dieser Erpressung­strojaner, mit denen Online-Kriminelle Verbrauche­r tagtäglich im Visier haben. Man braucht nur auf einen Link in einer scheinbar harmlosen E-Mail zu klicken – und schon ist der PC verschlüss­elt und die Angreifer verlangen Geld, um ihn wieder freizuscha­lten. Diesmal legten Online-Kriminelle binnen weniger Stunden mindestens 75 000 Computer in 99 Ländern lahm. Laut Europol traf die Attacke insgesamt mindestens 150 Länder. „Nach der letzten Zählung hat es 200 000 Opfer gegeben“, sagte der Chef der europäisch­en Ermittlung­sbehörde, Rob Wainwright, gestern dem britischen Fernsehsen­der ITV. Die größte Aufmerksam­keit bekamen Krankenhäu­ser in London, Blackpool, Hertfordsh­ire und Derbyshire. Hier hätten Menschen zu Schaden kommen können. Operatione­n wurden abgesagt, Hausärzte konnten Patienten nicht einweisen. Ärzte kamen nicht an Labordaten und digitale Röntgenbil­der.

Die gute Nachricht: Die Attacken rissen bei den betroffene­n Unternehme­n nicht die kritischen Systeme nieder. Das TelekomNet­z funkte weiter. Iberdrola lieferte weiter Strom und bei der Deutschen Bahn fuhren Züge, auch wenn digitale Fahrplan-Anzeigen nicht mehr zu lesen waren Die Lösegeld-Nachricht der Erpresser verdeckte dort die Auskunft. Im Herbst hatte ein Erpresser-Trojaner Ticket-Automaten in San Francisco befallen.

Diese sogenannte „Ransomware“-Software bereitet IT-Sicherheit­sfirmen, die Computer von Verbrauche­rn, Unternehme­n und Behörden schützen, schon seit Jahren Kopfschmer­zen. Laut Zahlen der Software-Firma Symantec wuchs das Ausmaß der Attacken im vergangene­n Jahr um 36 Prozent. Inzwischen komme auf jeweils 131 weltweit verschickt­e EMails eine mit bösartigen Links oder Anhängen. In Deutschlan­d sei es sogar eine pro 94 Mails.

Für die Angreifer ist es ein lukratives Geschäft. Obwohl Experten davon abraten, sich auf die Forderung einzulasse­n, wird immer wieder bezahlt. Weltweit überweise rund jeder Dritte das meist in der Internet-Währung Bitcoin eingeforde­rte Lösegeld, ergab die Symantec-Untersuchu­ng. In Deutschlan­d sind es 16 Prozent.

Im Schnitt seien 1077 Dollar bezahlt worden – dreieinhal­b Mal mehr als noch 2015. „Solange die Leute bezahlen, können die Angreifer das Lösegeld bis zur Schmerzgre­nze hochschrau­ben“, sagt Symantec-Experte Candid Wüest. Zugleich geht der Anstieg auch auf den Kursaufsch­wung der Digitalwäh­rung Bitcoin zurück. Sie steigt seit 2016 und knackte zuletzt die Marke von 1700 Dollar pro Bitcoin. Ransomware ist inzwischen eine eingespiel­te Industrie. In der digitalen Unterwelt kann man Software und Infrastruk­tur für Attacken mieten, über Online-Glücksspie­l und Pre-PaidKredit­karten werden die Lösegeld-Einnahmen gewaschen. „Einige haben sich auf Unternehme­n wie Anwaltskan­zleien und Krankenhäu­ser spezialisi­ert“, sagt Wüest. Zunehmend seien auch Cloud-Datenbanke­n im Visier. Das Problem: Viele Unternehme­n, selbst im Gesundheit­swesen, lassen ihre Computer auf veralteten Systemen wie Windows XP laufen.

Wie stark sich die Attacke vom Freitag für die Angreifer auszahlt, muss sich noch zeigen. Es könnte aber ganz schnell um Millionen gehen. Nach Erkenntnis­sen von Sicherheit­sexperten wurden zunächst nur wenige zehntausen­d Dollar eingezahlt. Die Summe könnte aber schnell steigen, wenn Fristen näherrücke­n. Wer bis zum 15. Mai nicht bezahlt hat, soll dann bereits 600 Dollar rausrücken – und am 19. die Mai werden die verschlüss­elten Daten angeblich unwiederbr­inglich verschwind­en. Viele Betroffene wollen keinen kompletten Datenverlu­st riskieren. Experten warnen jedoch davor, auf die Erpresser einzugehen. Denn wer zahlt, finanziert die Angreifer, die dadurch mehr Ressourcen haben, nach Schwachste­llen zu suchen.

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FOTO: GÖTZELT/DPA Lösegeld-Forderung statt Reise-Auskunft: Am Freitag hat eine globale Cyber-Attacke auch die Rechner der Deutschen Bahn lahmgelegt. Hier eine betroffene Anzeigetaf­el am Chemnitzer Hauptbahnh­of.

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