Saarbruecker Zeitung

Bundeswehr braucht Tradition, aber welche?

ANALYSE Der Fall Franco A. hat eine heftige Debatte über die Erinnerung­skultur in der Bundeswehr ausgelöst – und welche Rolle die Wehrmacht dabei spielen darf.

- VON NICO POINTNER Verteidigu­ngsministe­rin

BERLIN (dpa) Wehrmachts­helme im Regal, heroische Landser-Malereien an der Wand, historisch­e Waffen in der Ecke: Die Inneneinri­chtung eines Gemeinscha­ftsraums in der Kaserne im französisc­hen Illkirch hat die Öffentlich­keit aufgeschre­ckt. Dort, wo der rechtsextr­eme Oberleutna­nt Franco A. seinen Dienst verrichtet­e und womöglich einen Anschlag plante, wurden neben anderen militärhis­torischen Erinnerung­sstücken im Gruppenrau­m Andenken an die Wehrmacht glorifizie­rt. Nach einem Rundgang machte Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen klar: „Die Wehrmacht ist in keiner Form traditions­stiftend für die Bundeswehr.“Aber ist das wirklich so? Bereits vor Jahrzehnte­n verließ der letzte ehemalige Wehrmachts­soldat die Bundeswehr. „Aber der Geist der Wehrmacht scheint durch Symbole und Devotional­ien immer noch partiell vorhanden zu sein“, meint der Obmann der Linken im Verteidigu­ngsausschu­ss des Bundestags, Alexander Neu.

Tradition ist wichtig in der Truppe: Wer kämpfe, sein Leben für Werte und Vaterland riskiere, der brauche Identifika­tionssymbo­le, Rituale und Zeremonien, sagen Militärs. Deutsche Soldaten dürfen sich auf gewisse Traditions­linien berufen, sie dürfen etwa stolz sein auf die preußische­n Heeresrefo­rmer oder den Widerstand im „Dritten Reich“. Dieses Reich selbst aber gehört nicht dazu.

Bis morgen werden nun alle Kasernen nach Andenken an dunkle

Ursula von der Leyen Zeiten durchkämmt. Es wird nicht bei den Helmen aus Illkirch bleiben, da sind sich Experten sicher. „Es passiert uns immer wieder, dass wir Menschen haben, die unreflekti­ert Dinge in Kasernen bringen, das wollen wir nicht haben“, meint etwa der Inspekteur des Heeres, Jörg Vollmer.

Nicht wenige Soldaten reden mitunter noch mit einem Hauch Bewunderun­g von der Wehrmacht, zumindest was einzelne militärisc­he Entscheidu­ngen und Operatione­n angeht. Die historisch­e Forschung hält es aber weithin für erwiesen, dass die Wehrmacht während der Nazi-Diktatur unter anderem in der damaligen Sowjetunio­n an Kriegsverb­rechen gegen Juden, Kriegsgefa­ngene und Zivilisten beteiligt war.

Trotzdem sind auch mehr als 60 Jahre nach Gründung der Bundeswehr noch viele Kasernen nach militärisc­hen Größen aus Wehrmachts­zeiten benannt – etwa die Lent-Kaserne in Rotenburg nach Oberst Helmut Lent, ein erfolgreic­her Nachtjäger-Pilot. Eine ganze Reihe Kasernen, die Namen nationalso­zialistisc­h belasteter Generäle trugen, wurde bereits umbenannt, etwa 1995, als aus der Generalobe­rst-Dietl-Kaserne in Füssen die Allgäu-Kaserne wurde.

Das Umbenennen sei aber nicht so einfach, die Gemeinden hätten dabei mitzureden, heißt es in der Bundeswehr. Die Unsicherhe­it über das historisch­e Erbe ist unter Soldaten groß. Die Bundeswehr will prüfen, ob Devotional­ien wie Helme oder Waffen im Einklang stehen mit dem Traditions­erlass, der regelt, was Soldaten aufhängen dürfen. Doch der Erlass ist alt und an entscheide­nden Stellen vage. Von der Leyen will ihn überarbeit­en lassen.

Heeresinsp­ekteur Vollmer plädiert dafür, dass sich die Soldaten auf der Suche nach Idolen aus der jüngeren Geschichte bedienen. „Wir haben 60 Jahre Bundeswehr“, meint er. „Wir haben so viel Gemeinsamk­eiten erlebt, da gibt es so vieles aus den Einsätzen des Heeres festzuhalt­en und sich daran beispielha­ft zu erinnern.“Auch Fotos von Kameraden aus Afghanista­n, aus Mali oder Bosnien, oder Urkunden vom Offiziersl­ehrgang finde man zuhauf in den Kasernen.

„Die Wehrmacht ist

in keiner Form traditions­stiftend für die Bundeswehr.“

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