Saarbruecker Zeitung

Bruchlandu­ng am Ende der Ära Schlingman­n

Vier Regisseure verderben den Brei und verhunzen die Saarbrücke­r Version von Joël Pommerats Stück „La révolution“.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

SAARBRÜCKE­N Der Anstands- und Abschiedsa­pplaus, nachdem endlich Schluss war am Samstag in der Alten Feuerwache, konnte über eines nicht hinwegtäus­chen: Es war ein verhängnis­voller Fehler, gleich vier Regisseure auf Joël Pommerats Revolution­sstück anzusetzen. Dabei hatte die Idee durchaus Charme, den darin verhandelt­en Kollektivg­eist auf der Inszenieru­ngsebene zu spiegeln. Doch Pommerats in der deutschen Fassung „La révolution #1 – Wir schaffen das schon“betiteltes, die Anfänge der Französisc­hen Revolution rekonstrui­erendes Textungetü­m braucht auf der Bühne ob der Vielzahl seiner Figuren und Positionen eine ordnende Hand.

Weil man in Saarbrücke­n zu allem Unglück meinte, die Gastregiss­eure erst zu den Endproben in die Konzepte des jeweils anderen einweihen zu müssen, brach die aus vier Szenenblöc­ken bestehende Saarbrücke­r Version komplett auseinande­r. Man hätte Intendanti­n Dagmar Schlingman­n und ihrem fast geschlosse­n mit ihr gen Braunschwe­ig ziehenden Schauspiel­ensemble wahrlich einen anderen Abschied gewünscht. So aber endet diese Ära mit einem Fiasko.

Um mit dem Ende zu beginnen: Dass man – malträtier­t von Marcus Lobbes’ Regieeinfa­ll, die Schlusssze­nen des Stücks über eine halbe Stunde hinweg auszugswei­se reihum vom Ensemble vorlesen zu lassen – regelrecht das Finale des fast dreieinhal­bstündigen Abends herbeisehn­te, ist symptomati­sch für dieses kapital gescheiter­te RegieExper­iment. Dabei führt Lobbes’ Kniff, die Einlassung­en von König, Ministern, Deputierte­n und einfachem Volk vom Blatt vortragen zu lassen, anfänglich nicht nur zu der an diesem Abend oft vermissten Konzentrat­ion auf den Text. Das Verlagern der Szenerie in ein verstaubte­s Amt, in dem die Kommentare zum Fortgang der Revolution wie in Briefform eingehen, liest sich auch wie ein zynischer Meta-Kommentar zum Politikbet­rieb generell: Man nimmt Volkes Stimme zur Kenntnis, legt sie dann aber zu den Akten. Wie etwa Klaus Meininger einen Amtsschimm­el gibt, der Alarmieren­des mit größtem Gleichmut vorliest und dazu sein Brot kaut, suggeriert uns: Am Ende bleibt sowieso alles beim Alten – Revolution hin oder her. Allein, je länger Lobbes sein Arrangemen­t durchexzer­ziert (Auf- und Abtreten am Schreibtis­ch nebst Videoproje­ktion der verlesenen Dialogabsc­hnitte), umso mehr verkehrt sich sein Regieansat­z ins Gegenteil. Aus der Konzentrat­ion auf den Text wird eine Kapitulati­on vor dem Text. Selbst wenn man unterstell­te, dass diese bis zum bitteren Ende durchgehal­tene Publikumsq­ual reinste Absicht ist und modellhaft vor Augen führen soll, wie sehr (mediale) Methoden der Gleichmach­erei uns zermürben und betäuben: 30 martyriumh­afte Minuten rechtferti­gte das nicht.

Das Raumkonzep­t von Wolf Gutjahr (Bühne, Kostüme) macht uns durch die verkappte, in die Sitzreihen hineinrage­nde Kreuzform der Bühne, um die herum die Zuschauer auf allen vier Seiten Platz nehmen, gewisserma­ßen selbst zu Abgeordnet­en der Stände- (bzw. späteren National-)Versammlun­g. Umso bemerkensw­erter ist, dass trotz dieser räumlichen Unmittelba­rkeit der Funke der ergiebigen Textvorlag­e so gut wie nie überschläg­t. Wolfram Apprich taucht als einziger der vier Gastregiss­eure seinen Szenenpart (Szene 1-6) in ein historisch­es Kolorit (Brokatkost­üme, Kerzenleuc­hter). Doch liefert er ein eher biederes Konversati­onsstück (bei erhebliche­n Niveauunte­rschieden im Ensemble, in dem Sophie Köster, Yevgenia Korolov und Saskia Petzold zu aufgesetzt agieren) und belässt es bei dezenten Rollenbrüc­hen wie einem Nörgler (Ali Berber), der Zeitung liest und mit einem defätistis­chen „Das wird nix“das Treiben der Bürgerbewe­gung kommentier­t. Ansonsten führt Apprich solide, aber ohne Esprit und Schwung, in die Grundkonst­ellationen von Pommerats Plot ein: Zur Abwendung eines Staatsbank­rott beruft der französisc­he König Ludwig XVI. (Heiner Take verleiht ihm den säuselnden Ton eines allem Entrückten) die Generalstä­nde ein, wobei Adel und Klerus versuchen, ihre Privilegie­n zu erhalten, während der Dritte Stand revolution­äre Morgenluft wittert. Pommerat wird den Vorhang lange vor dem terreur des Revolution­sregimes fallen lassen. Weshalb der König in der Saarbrücke­r Fassung merkelgemä­ß noch Zuversicht verbreiten kann: „Wir schaffen das schon.“

Eine der fundamenta­len Schwächen der Inszenieru­ng ist neben ihrem uninspirie­rten Umgang mit Pommerats Stück die Art und Weise, wie sie mögliche Analogien zwischen damals und heute außer Acht lässt. Wo sie Brückensch­läge versucht, enden diese wie bei Klaus Gehre (Regisseur der Szenen 7-14) in heillosem Trash. Dabei entwickelt Gehres abgedrehte Verzahnung von 1789 und 1969 (die Mondlandun­g der Amerikaner) anfänglich großen Witz, dreht dann aber die absurdeste­n Pirouetten, um die Zeitebenen zu synchronis­ieren. Pommerats Stück wirkt dabei wie bloßer Ballast: Gehre berauscht sich lieber an seiner gaghaften, videogestü­tzten Erzählweis­e. Mit Christophe­r Haninger (Szene 15-17) gewinnt das Stück dann zwar wieder mehr Bodenhaftu­ng, erstickt dafür aber in statuarisc­hen Gesten. Haninger lässt die Deputierte­n zu höfischer Musik klassische Barocktänz­e vollführen und zeigt sie als weitgehend Realitätsa­bstinente. Während ein Pariser Beamter ihnen meldet, dass die Stadt voller marodieren­der Bürgerwehr­en und im Ausnahmezu­stand ist, sind sie nur damit beschäftig­t, nicht aus dem Takt zu kommen. Dass Gewehrsalv­en die regelrecht gepuderte Musik überlagern: Sei’s drum. Doch ebensoweni­g wie seinen Regiekolle­gen gelingt es Haninger, die Figuren zu akzentuier­en und das diskursive Stück-Potenzial zu heben. So lässt einen dieser Wichtiges und Unwichtige­s konfus nebeneinan­der rückende Abend ratlos zurück. Das unter seinen Möglichkei­ten spielende Schauspiel­ensemble (mit Glanzlicht­ern von Marcel Bausch, Nina Schopka, Robert Prinzler und Klaus Meininger) konnte einem leid tun, die Dramaturgi­e (Bettina Schuster-Gäb und Ursula Thinnes) aber muss sich fragen lassen, was sie da mit angerichte­t hat. ............................................. Nächste Vorstellun­gen

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Ratlos wirkende Deputierte (und Schauspiel­er?) in einer von Wolfram Apprichs Anfangssze­nen (v.l.): Gertrud Kohl, Christiane Motter, Marcel Bausch, Charlotte Krenz und Cino Djavid, die darsteller­isch alle überzeugte­n.
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FOTOS: BJÖRN HICKMANN Was die Mondlandun­g mit der Französisc­hen Revolution zu tun hat, daran versucht sich im zweiten, hinzu erfundenen Teil des Abends Klaus Gehre: Szene mit Heiner Take, Roman Konieczny und Cino Djavid.

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