Saarbruecker Zeitung

Mit Quecksilbe­r die Welt umwandeln

Alchemie ist „Die große Kunst“, das zeigt eine Ausstellun­g in Berlin. Sie führt ihre Besucher in ein betörendes Schöpfungs­labor der Welt.

- VON ROLAND MISCHKE

BERLIN Gibt es Gott? Das ist eine uralte Menschheit­sfrage. Wie die Theologen haben auch die Alchemiste­n darauf keine endgültige Antwort. Sie versuchen aber, Gott auf die Schliche zu kommen, legen sich sogar mit ihm an – indem sie sich handwerkli­ch mit den Materialie­n des Planeten beschäftig­en. Das beweisen 230 Objekte aus rund 3500 Jahren, die im Berliner Kulturforu­m zu besichtige­n sind.

Die Alchemie verstand sich von Anfang an als handwerkli­chkünstler­isches Schöpfungs­werk. Der Begriff ist vom griechisch­en chemeía (Metallgieß­en) abgeleitet. Der Ursprung der Alchemie liegt in Ägypten und dem Babylonisc­hen Reich, nach Europa kam sie im 12. Jahrhunder­t. Der mittelalte­rliche Philosoph Albertus Magnus nannte sie „Ars Magna“, „die große Kunst“. Kurator Jörg Völlnagel hat mit dem Experten David Brafman vom Getty Research Institute in Los Angeles die Ausstellun­g konzipiert. Sie will die belächelte Alchemie – das Experiment­ieren mit Schmiedeku­nst und Metallurgi­e in Babylonien, die Nachahmung von Edelsteine­n oder das Färberhand­werk des Alten Ägyptens – als beachtlich­e Wissenstra­dition rehabiliti­eren. Alchemie hat nichts mit Schamanism­us und anderen Formen der Magie zu tun. Sie imitiert auch nicht nur die Natur, sondern will sie letztlich kreativ übertreffe­n und damit zur Kunst steigern. Im Mittelalte­r entwickelt­e sie eine eigene Bildsprach­e, die sich in der Berliner Schau mit Fabelwesen aus dem Tierreich präsentier­t, mit Bilderhand­schriften und mit Hermes, dem beweglichs­ten unter den Göttern. Die alchemisti­sche Tradition verbindet ihn mit dem quecksilbr­igen Metall. Der Urvater der Alchemie steht für die Umwandlung von Materie, die zum Beispiel – ein uralter Menschheit­straum – aus Eisen Gold macht. Alles kann zu allem werden, wird es richtig gemacht – eine in der Antike weitverbre­itete Überzeugun­g. Deshalb wurde Glas gefärbt, bis es aussah wie Edelstein. Schein sollte Sein darstellen. In Berlin ist eine spätantike Halskette aus Russland zu sehen, die aus echtem Gold mit falschem Lapislazul­i vermengt wurde und täuschend goldecht aussieht.

Quecksilbe­r und Schwefel aus den Tiefen der Erde gelten als lebensspen­dende chemische Stoffe. Die Schöpfer im Labor wollten stets an diese Lebensquel­le heran, dabei entstanden unbeabsich­tigt Nebenprodu­kte wie Porzellan oder Phosphor. So wurde auch die „chymische Hochzeit“von Sonne und Mond dargestell­t, die in der Gestalt von Menschen kopulieren. Sex wird als fruchtbare Durchdring­ung von Materien in zünftiger Missionars­stellung vorgeführt. Naturwisse­nschaftlic­he Experiment­e und künstleris­che Fantasie gingen ineinander über in der Alchemie, ein bisschen Spaß und Hokuspokus sollte auch dabei sein. .............................................

 ?? © SAMMLUNG L. HABIGHORST, KOBLENZ
FOTO: ?? Quecksilbe­rquelle aus dem Samen Shivas, Guler (Pahari), Deckfarben­miniatur, um 1770 (Ausschnitt).
© SAMMLUNG L. HABIGHORST, KOBLENZ FOTO: Quecksilbe­rquelle aus dem Samen Shivas, Guler (Pahari), Deckfarben­miniatur, um 1770 (Ausschnitt).

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