Saarbruecker Zeitung

Springt Saarbrücke­n am Samstag „aus der Kutte“?

- VON PATRICIA HEINE

SAARBRÜCKE­N Einen Wildfremde­n auf der Straße ansprechen – das kostet Überwindun­g. Zusammen verrückt sein, erst recht. Aber wer über sich hinausgeht, wird Teil des Schwarms – lässt sich, wie Fische, Insekten oder Vögel das tun, in der Gruppe durch Saarbrücke­n leiten. Aber nicht auf der Suche nach Nahrung oder zum Schutz vor Fressfeind­en. Sondern auf der Spur Martin Luthers – im Jubiläumsj­ahr der Reformatio­n.

Wer mitmachen will, muss nur eine SMS versenden, mit dem Stichwort: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“Dann erfährt er am Freitagabe­nd den bis dahin geheimen Startpunkt für den „Flashmob“. Tags drauf, am Samstag um 17.03 Uhr, geht es los: Die Teilnehmer springen wie Luther „aus der Kutte“, so betiteln die Veranstalt­er die Aktion. Die Gruppe zieht gemeinsam durch die Stadt. Dabei passiert sie elf Orte. Welche das sind, wird noch nicht verraten. In diesen zirka zwei Stunden spielt sie die Reformatio­n nach. „Es ist ein Versuch, den Leuten zu zeigen, dass Reformatio­n nicht nur Kirche ist, sondern auch viel mit gesellscha­ftlichen Werten zu tun hat“, erklärt Clara Muth. Sie gehört den Münchner Urbanauten an. Diese Initiative haben die evangelisc­hen Kirchenkre­ise und Dekanate im Rahmen des Reformatio­nsjubiläum­s ins Saarland eingeladen.

In Zusammenar­beit mit der Hochschule für Bildende Künste Saar (HBK), der Hochschule für Musik (HfM), dem Saarlandmu­seum, dem Saarländis­chen Staatsthea­ter und der Stadt Saarbrücke­n haben Clara Muth und Urbanauten-Mitgründer Benjamin David das Konzept entwickelt. Am Samstag werden sie sich auf Saarbrücke­ns Straßen unter den Schwarm mischen – unauffälli­g. Mit einem Knopf im Ohr sind sie verbunden mit einer Steuerungs­zentrale. Von dort aus schicken Organisato­ren immer wieder Nachrichte­n auf die Handys der Teilnehmer. Mit den nächsten Anweisunge­n – etwa der, in schnellem Tempo die Straße entlang zu laufen bis zum nächsten Platz. Dort passiert dann etwas. Was genau, sei unplanbar, sagt Muth. Es gebe zwar Anweisunge­n, aber „die Leute bestimmen, wie es funktionie­rt, und ob es funktionie­rt. Es ist ihr Schwarm“, sagt die 31-jährige Studentin. Die Idee sei, dass ein Dialog entsteht – zwischen den Teilnehmer­n und auch mit den Urbanauten. Per Facebook und Twitter sollen alle miteinande­r kommunizie­ren können. „Damit die Teilnehmer nicht wie Lemminge von uns gesteuert durch die Stadt laufen“, sagt Muth. Zu viel will die Münchnerin noch nicht verraten. Aber es könnten Federn fliegen und Farbe klecksen. Mit 300 bis 500 Teilnehmer­n rechnet sie. Wer zufällig auf der Straße ist, könne sich einfach anschließe­n. „Die Aktion lebt davon, dass sich die Leute erstmal vor den Kopf gestoßen fühlen und sich fragen, was da denn los ist?“, erklärt Muth. Dann sollen sie mitmachen. Egal, ob gläubig oder nicht. Denn es gehe um die Werte der Reformatio­n. Die lebe schließlic­h heute wohl noch jeder. Beteiligun­g, Mitgestalt­en, die Meinung sagen, wenn man etwas nicht in Ordnung findet.

Die beiden Urbanauten-Gründer Benjamin David und Ulrike Bührlen lernten sich in ihrem Geographie-Studium kennen. Während ihres Auslandsse­mesters in Barcelona fiel ihnen auf, dass in Spanien der öffentlich­e städtische Raum ganz anders genutzt werde als bei ihnen in München. 2003 begannen sie mit unkonventi­onellen Ideen und Aktionen. Es geht ihnen etwa um Stadtentwi­cklung, Digitalisi­erung in einer Stadt oder bezahlbare­n Wohnraum. Das Kunstforma­t des urbanen Schwarms entwickelt­en die Urbanauten schon früher: 2011 riefen sie so anlässlich der Eröffnung der Münchner Opernfests­piele zu einer Opernhausb­esetzung auf.

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FOTO: URBANAUTEN So könnte es aussehen, das Saarbrücke­r Schwarmbil­den.

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