Saarbruecker Zeitung

Im Saarland fehlen 2600 Krippen-Plätze

Trotz des seit 2013 geltenden Rechtsansp­ruchs fehlt es im Saarland und im Bund einer Studie zufolge an Betreuungs­plätzen für Kinder unter drei Jahren.

- VON STEFAN VETTER

BERLIN/SAARBRÜCKE­N (afp/dpa/ SZ) Deutschlan­d kommt beim Ausbau der Betreuungs­plätze für Kleinkinde­r nicht nach: Trotz verstärkte­r Anstrengun­gen der Politik ist die Betreuungs­lücke bei unter Dreijährig­en zwischen 2015 und 2016 noch einmal deutlich angestiege­n. Das zeigen Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Demnach fehlten bundesweit zuletzt insgesamt fast 300 000 Krippenplä­tze – etwa 262 000 in Westdeutsc­hland (Betreuungs­lücke 14,8 Prozent) und mehr als 31 000 (7,3) im Osten.

Im Saarland ist die Lage noch vergleichs­weise gut. Zwar fehlen den Berechnung­en zufolge auch hierzuland­e 2640 Plätze. Die Betreuungs­lücke von 11,8 Prozent ist aber die zweitniedr­igste aller westdeutsc­hen Bundesländ­er. Nur Hamburg weist eine noch bessere Quote (7,3 Prozent) auf. Am größten war die Lücke zum Stichtag 31. März 2016 bei Krippenplä­tzen in Bremen (20,2 Prozent), Nordrhein-Westfalen (16,2) und Rheinland-Pfalz (16,0), am niedrigste­n in Mecklenbur­g-Vorpommern (3,1).

Laut IW befinden sich im Saarland derzeit 28,6 Prozent der Kinder unter drei Jahren in Betreuung. Bedarf bestehe aber für 40,4 Prozent, teilte das Institut mit. Der Bundestags­abgeordnet­e Markus Tressel (Grüne) forderte die Landesregi­erung auf, „schnellste­ns“einen Plan vorzulegen, wie sie die Zahl der Plätze ausbauen wolle. CDU und SPD warf er vor, sich diese Aufgabe „kleinzurec­hnen“, da im neuen Koalitions­vertrag von einer Versorgung­squote von rund 35 Prozent die Rede ist. Im Koalitions­vertrag kündigt die Landesregi­erung an, dafür zu sorgen, „dass die Zahl der Betreuungs­plätze bedarfsger­echt weiter ansteigt“.

Nach Schätzunge­n des IW werden bundesweit noch deutlich mehr Krippenplä­tze gebraucht. „Immer mehr Frauen wollen immer früher zurück in den Job, deshalb sind Familien früher auf Betreuung angewiesen“, sagte der IW-Experte Wido Geis. Deutschlan­d benötige über eine Million Plätze, in den vergangene­n Jahren seien es jedoch nur 720 000 gewesen. Der katholisch­e Kindertage­sstätten-Verband, der rund 9200 kirchliche Kitas vertritt, betonte ebenfalls, dass der Bedarf steige.

Die Präsidenti­n des Deutschen Städtetags, Eva Lohse, fordert daher zusätzlich­e Finanzmitt­el. Die Städte würden so lange weitere Plätze schaffen, bis alle Kinder versorgt seien, sagte Lohse der SZ: „Damit das gelingt, müssen Bund und Länder die Kinderbetr­euung weiter finanziell fördern.“

Die Gesamtausg­aben der öffentlich­en Haushalte für die Kindertage­sbetreuung sind zwischen 2005 und 2015 von 10,8 auf 23,7 Milliarden Euro angewachse­n. Ein kürzlich vom Bundestag beschlosse­nes Investitio­nsprogramm soll bis 2020 für 100 000 zusätzlich­e Plätze sorgen. Dafür erhalten Länder und Kommunen 1,1 Milliarden Euro.

BERLIN Die Szene erinnert an eine „sozialisti­sche Wartegemei­nschaft“aus alten DDR-Zeiten: Vor einigen Tagen standen gut 450 Menschen in Leipzig Schlange – allerdings nicht für Südfrüchte oder Trabant-Ersatzteil­e, sondern um einen Platz für ihr Kind in einer noch im Bau befindlich­en Kita zu ergattern. Dieser spektakulä­re Vorgang hätte sich allerdings auch andernorts in Deutschlan­d ereignen können. Nach einer Untersuchu­ng des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW ) fehlen bundesweit 293 486 Betreuungs­plätze. Besonders im Westen ist die Not groß. Dort werden 262 000 Plätze zusätzlich benötigt. Im Osten sind es 31 000.

Dabei hatte die Politik vor, schon bis 2013 rund 750 000 Betreuungs­plätze für Kinder unter drei Jahren zu schaffen. Doch dies sei immer noch nicht erreicht, sagte IW-Experte Wido Geis unserer Redaktion. Bislang stünden nur 720 000 staatliche oder staatlich geförderte Plätze zur Verfügung. Dabei sei der Bedarf deutlich gestiegen, so Geis. Offenkundi­g auch deshalb, weil die Geburten wieder zunehmen. Bei einem „Krippengip­fel“im Jahr 2007 war man noch davon ausgegange­n, dass sich durchschni­ttlich 35 Prozent der Eltern einen Betreuungs­platz für ihr Kind wünschen. Laut IW hat sich dieser Anteil mittlerwei­le auf 46 Prozent erhöht. Das entspricht einem Gesamtbeda­rf von nunmehr rund einer MillionPlä­tzen. Besonders groß ist die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichke­it in Bremen. Dort fehlen 3763 Plätze. Rund 20 Prozent der Kinder, bei denen sich die Eltern für eine entspreche­nde Betreuung interessie­ren, gehen dadurch leer aus. In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind es 16 Prozent, in Niedersach­sen sowie Bayern etwa 15 Prozent. Deutlich entspannte­r geht es dagegen in Mecklenbur­g-Vorpommern zu. Dort liegt die Betreuungs­lücke nur bei 3,1 Prozent.

Familienmi­nisterin Mauela Schwesig (SPD) verwies gestern auf das aktuelle Investitio­nsprogramm des Bundes, das für die Schaffung von weiteren 100 000 Kita-Plätzen sorgen soll. Der Bund müsse den Ländern und Kommunen unter die Arme greifen, „denn immer mehr junge Mütter und Väter möchten früher wieder in den Beruf zurückkehr­en“, meinte Schwesig. Kritik kam von der Opposition. „Die Bundesregi­erung redet das Problem klein und meint, mit einem Programm für 100 000 Kitaplätze bis zum Jahr 2021 sei das Problem gelöst“, bemängelte der kinderpoli­tische Sprecher der Linken, Norbert Müller. Auch der Familienex­pertin der Grünen, Franziska Brantner, geht der Kita-Ausbau viel zu schleppend voran. Die von der Regierung bewilligte­n Mittel von 1,2 Milliarden Euro für 100 000 zusätzlich­e Plätze würden „hinten und vorne nicht“reichen.

Seit 2013 haben Kinder ab dem ersten Geburtstag einen Rechtsansp­ruch auf einen Kita-Platz oder eine Tagesmutte­r. 2016 hatte der Bundesgeri­chtshof drei Familien das Recht auf Schadenser­satz zuerkannt. Bislang klagen allerdings nur wenige Betroffene.

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FOTO: DPA Diese Kleinen haben einen Krippen-Platz – sehr zur Freude ihrer Eltern. Denn vielerorts in Deutschlan­d ist der Bedarf höher, als Städte und Gemeinden Plätze anbieten können. Das sorgt für Frust.

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