Saarbruecker Zeitung

Mittelmaß am Mittelmeer

Der Eröffnungs­film des Festivals von Cannes, „Les Fantomes d’Ismael“, ließ herzhaft gähnen. Um einiges erfrischen­der war der erste Auftritt der Jury.

- VON SASCHA RETTIG

CANNES Sicherlich kann man eine ganze Reihe von Vermutunge­n anstellen, warum das Filmfestiv­al in Cannes gestern ausgerechn­et mit „Les Fantomes d’Ismael“seinen 70. Jahrgang eröffnet hat. Es könnte einerseits so etwas wie eine Kompensati­on für die filmische „Grande Nation“sein, weil diesmal weniger französisc­he Beiträge in der Palmenkonk­urrenz laufen. Anderersei­ts spielt es auch eine Rolle, dass sich hier mit Mathieu Amalric, Marion Cotillard und Charlotte Gainsbourg gleich drei französisc­he Schauspiel­größen vor der Kamera aneinander abarbeiten, während der Film das Filmschaff­en an sich thematisie­rt.

„Die Größe der Leinwand,

auf der du einen Film siehst, sollte nicht kleiner sein als der Stuhl, auf

dem du sitzt.“

Alles schön und gut. Nur: Nachdem man Arnaud Desplechin­s Werk gesehen hat, überzeugt letztlich keiner dieser Gründe.

Dass man zu Beginn noch glaubt, in einem Spionageth­riller zu sitzen, entpuppt sich schnell als falsche Fährte. Es ist ein Film im Film; zugleich stecken zwei oder mehr Filme in „Les Fantomes d’Ismael“. Nach wenigen Minuten häutet sich diese Geschichte, dann geht es um die eigentlich­e Hauptfigur: Amalric spielt einen Regisseur in einem Liebesdrei­eck. Eigentlich ist er in einer Beziehung mit Charlotte Gainsbourg, als seine große Liebe (Cotillard) wieder auftaucht, die einst spurlos verschwand. Ein anderer Geist der Vergangenh­eit ist sein Bruder, der sein aktuelles Filmprojek­t inspiriert – und von dem er glaubt, dass er ein Spion ist. Zwischen diesen Ebenen und Erzählsträ­ngen driftet Desplechin hin und her und lässt seine Figuren sehr französisc­h über die Liebe, Sex, Leidenscha­ft und Tod sprechen. Dass dabei Fragen offen bleiben, verstärkt die Spannung aber nicht.

Aber Schwamm drüber, abhaken, nach vorne schauen – auf das spannende Jubiläumsp­rogramm, das allein unter den 19 Wettbewerb­sfilmen zahlreiche Höhepunkte verspricht. Aus denen fischt diesmal eine eklektisch­e wie prominente Jury den Gewinner der Goldene Palme. Bei der JuryPresse­konferenz ging es erst einmal um hübsche Nebensächl­ichkeiten: Will Smith will angesichts der sommerlich­en Wärme eher auf bequeme Kleidung als auf Glamour setzen. Und Jessica Chastain möchte von ihren Freunden im Wettbewerb zwischendu­rch nicht einmal eine SMS bekommen. So weit, so nichtig.

Zentral war hier die Frage, die in Cannes bereits vorab heftig diskutiert wurde: Sollten, wie dieses Jahr erstmals der Fall, Produktion­en eines Streaminga­nbieters wie Netflix auf dem Festival laufen? Jury-Präsident und Melodramen­Meister Pedro Almodóvar („Sprich mit ihr“) jedenfalls hielt ein leidenscha­ftliches Plädoyer dafür, dass Filme unbedingt ins Kino gehören. Er sei nicht überzeugt davon, die Goldene Palme an einen Film zu geben, der später nicht auf der großen Leinwand zu sehen sei.

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