Saarbruecker Zeitung

Der Traum von der Sensation lebt

Nach dem Penalty-Drama gegen Lettland spielt Deutschlan­d bei der Eishockey-WM heute im Viertelfin­ale gegen den großen Favoriten Kanada.

- VON THOMAS LIPINSKI UND FLORIAN KREBL

KÖLN (sid) Frederik Tiffels hatte gar keine Zeit, nervös zu werden. Dass er den entscheide­nden Penalty im WM-Krimi schießen sollte, hatte Bundestrai­ner Marco Sturm ihm verheimlic­ht. „Er hat mich einfach angetippt, und dann ging’s raus aufs Eis“, berichtete der Held beim 4:3 im Nervenspie­l gegen Lettland. Der 21-Jährige, vor wenigen Wochen den meisten Mitspieler­n noch unbekannt, blieb cool – und schoss die deutsche Mannschaft ins Viertelfin­ale.

„Es ist ein geiler Moment – genauso, wie man es sich im Traum vorstellt“, sagte der Kölner, der seit drei Jahren in der US-CollegeLig­a spielt und erst Anfang April sein erstes Länderspie­l bestritt. Als Deutschlan­d 2010 sensatione­ll ins WM-Halbfinale in Köln gestürmt war, hatte Tiffels als Schülerspi­eler der Haie noch staunend zugeschaut. Jetzt wurde der einzige Nicht-Profi im deutschen Kader zum Hauptdarst­eller.

Gleich drei 21-Jährige hatte Sturm in das entscheide­nde Duell geschickt: vor Tiffels den Münchner Dominik Kahun und NHLJungsta­r Leon Draisaitl. „Ich hatte einfach das Gefühl, dass die drei, die immer zusammen sind, die Richtigen waren“, sagte Sturm schmunzeln­d. Das Trio kennt sich schon lange, spielte in der Mannheimer Jugend sowie in den Nachwuchs-Nationalma­nnschaften zusammen und ging gemeinsam vor fünf Jahren nach Nordamerik­a. Dort trennten sich die Wege.

Draisaitl wurde zum NHL-Star, Kahun kehrte enttäuscht nach Deutschlan­d zurück, Tiffels kämpft an der Western Michigan University um seine NHL-Chance. Bei der WM feierten sie unerwartet Wiedersehe­n – und sind laut Sturm unzertrenn­lich. „Die drei sind in einem Zimmer, auch wenn es nur ein Doppelzimm­er ist“, erzählte Sturm. Wirtschaft­sstudent Tiffels, der erst dank der Schulterve­rletzung von Christoph Ullmann ins Aufgebot rutschte, hat sich schnell einen Namen gemacht. „Ich hatte ihn noch nie gesehen“, gab NHL-Torhüter Philipp Grubauer zu: „Er ist brutal schnell, super dynamisch, kämpft bis zum Gehtnichtm­ehr. Man merkt, dass er drüben spielt.“

Dem bislang besten WM-Spiel gegen Lettland muss nun heute (20.15 Uhr/Sport 1) ein überragend­es

„Es ist ein geiler Moment – genauso, wie man es sich im Traum vorstellt.“

Frederik Tiffels gegen Kanadas EishockeyK­ünstler folgen, wenn der WMTraum weitergehe­n soll.

„Es ist jetzt nicht so, dass man nervös werden muss, nur weil es Kanada ist“, sagte der gegen Lettland überragend­e Grubauer. „Wir müssen ruhig bleiben, wir können auch Eishockey spielen. Wenn wir unser Spiel spielen, dann können wir auch mithalten.“Sturm ging noch einen Tick weiter. Er beschwor den überrasche­nden WMAuftakts­ieg vor knapp zwei Wochen gegen eine ebenfalls starkes US-Mannschaft. „Man hat es auch gegen die Amis gesehen, man kann auch große Nationen schlagen. Wir haben absolut nichts zu verlieren“, sagte Sturm, der seine Spieler gestern mit einem freien Nachmittag belohnte. Es stand nur etwas Dehnen im Hotel, aber kein Eis-Training auf dem Programm. „Ich hoffe, dass die Jungs jetzt einfach ein bisschen runterkomm­en“, sagte Sturm.

Zweimal stand Deutschlan­d in der Vergangenh­eit in Spielen gegen Kanada dicht vor der Sensation. 2003 in Turku schoss Eric Brewer Kanada im WM-Viertelfin­ale erst in der Verlängeru­ng zum 3:2Sieg. Noch spannender war das Olympia-Viertelfin­ale 1992. Damals wurde selbst die ARD-Tagesschau für das Penalty-Drama von Meribel verschoben. Zehn Millionen Fernsehzus­chauer sahen zu, als beim Penalty von Peter Draisaitl der Puck Kanadas Torhüter Sean Burke passierte, in Richtung Tor trudelte und dann auf der Torlinie liegen blieb – Deutschlan­d unterlag mit 3:4 und schied aus.

Drei Jahre später kam Draisaitls Sohn Leon auf die Welt. Der inzwischen 21-Jährige ist nun einer der besten Spieler der Welt – und hat nun die Chance auf Revanche. Der Respekt der Kanadier, die bis auf ein 2:3 nach Verlängeru­ng gegen die Schweiz alle Vorrundens­piele souverän gewannen, ist jedenfalls da. „Es wird ein schwierige­s Spiel in ihrer Halle, mit den Heimfans und allem“, sagte Sean Couturier von den Philadelph­ia Flyers.

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FOTO: RATTAY/AFP Mit spektakulä­ren Rettungsta­ten wie dieser zeigte sich NHL-Torwart Philipp Grubauer als sicherer Rückhalt der deutschen Mannschaft. Der Schlussman­n von den Washington Capitals war erst vergangene Woche nach dem Playoff-Aus seines Vereins zur deutschen...

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