Der Traum von der Sensation lebt
Nach dem Penalty-Drama gegen Lettland spielt Deutschland bei der Eishockey-WM heute im Viertelfinale gegen den großen Favoriten Kanada.
KÖLN (sid) Frederik Tiffels hatte gar keine Zeit, nervös zu werden. Dass er den entscheidenden Penalty im WM-Krimi schießen sollte, hatte Bundestrainer Marco Sturm ihm verheimlicht. „Er hat mich einfach angetippt, und dann ging’s raus aufs Eis“, berichtete der Held beim 4:3 im Nervenspiel gegen Lettland. Der 21-Jährige, vor wenigen Wochen den meisten Mitspielern noch unbekannt, blieb cool – und schoss die deutsche Mannschaft ins Viertelfinale.
„Es ist ein geiler Moment – genauso, wie man es sich im Traum vorstellt“, sagte der Kölner, der seit drei Jahren in der US-CollegeLiga spielt und erst Anfang April sein erstes Länderspiel bestritt. Als Deutschland 2010 sensationell ins WM-Halbfinale in Köln gestürmt war, hatte Tiffels als Schülerspieler der Haie noch staunend zugeschaut. Jetzt wurde der einzige Nicht-Profi im deutschen Kader zum Hauptdarsteller.
Gleich drei 21-Jährige hatte Sturm in das entscheidende Duell geschickt: vor Tiffels den Münchner Dominik Kahun und NHLJungstar Leon Draisaitl. „Ich hatte einfach das Gefühl, dass die drei, die immer zusammen sind, die Richtigen waren“, sagte Sturm schmunzelnd. Das Trio kennt sich schon lange, spielte in der Mannheimer Jugend sowie in den Nachwuchs-Nationalmannschaften zusammen und ging gemeinsam vor fünf Jahren nach Nordamerika. Dort trennten sich die Wege.
Draisaitl wurde zum NHL-Star, Kahun kehrte enttäuscht nach Deutschland zurück, Tiffels kämpft an der Western Michigan University um seine NHL-Chance. Bei der WM feierten sie unerwartet Wiedersehen – und sind laut Sturm unzertrennlich. „Die drei sind in einem Zimmer, auch wenn es nur ein Doppelzimmer ist“, erzählte Sturm. Wirtschaftsstudent Tiffels, der erst dank der Schulterverletzung von Christoph Ullmann ins Aufgebot rutschte, hat sich schnell einen Namen gemacht. „Ich hatte ihn noch nie gesehen“, gab NHL-Torhüter Philipp Grubauer zu: „Er ist brutal schnell, super dynamisch, kämpft bis zum Gehtnichtmehr. Man merkt, dass er drüben spielt.“
Dem bislang besten WM-Spiel gegen Lettland muss nun heute (20.15 Uhr/Sport 1) ein überragendes
„Es ist ein geiler Moment – genauso, wie man es sich im Traum vorstellt.“
Frederik Tiffels gegen Kanadas EishockeyKünstler folgen, wenn der WMTraum weitergehen soll.
„Es ist jetzt nicht so, dass man nervös werden muss, nur weil es Kanada ist“, sagte der gegen Lettland überragende Grubauer. „Wir müssen ruhig bleiben, wir können auch Eishockey spielen. Wenn wir unser Spiel spielen, dann können wir auch mithalten.“Sturm ging noch einen Tick weiter. Er beschwor den überraschenden WMAuftaktsieg vor knapp zwei Wochen gegen eine ebenfalls starkes US-Mannschaft. „Man hat es auch gegen die Amis gesehen, man kann auch große Nationen schlagen. Wir haben absolut nichts zu verlieren“, sagte Sturm, der seine Spieler gestern mit einem freien Nachmittag belohnte. Es stand nur etwas Dehnen im Hotel, aber kein Eis-Training auf dem Programm. „Ich hoffe, dass die Jungs jetzt einfach ein bisschen runterkommen“, sagte Sturm.
Zweimal stand Deutschland in der Vergangenheit in Spielen gegen Kanada dicht vor der Sensation. 2003 in Turku schoss Eric Brewer Kanada im WM-Viertelfinale erst in der Verlängerung zum 3:2Sieg. Noch spannender war das Olympia-Viertelfinale 1992. Damals wurde selbst die ARD-Tagesschau für das Penalty-Drama von Meribel verschoben. Zehn Millionen Fernsehzuschauer sahen zu, als beim Penalty von Peter Draisaitl der Puck Kanadas Torhüter Sean Burke passierte, in Richtung Tor trudelte und dann auf der Torlinie liegen blieb – Deutschland unterlag mit 3:4 und schied aus.
Drei Jahre später kam Draisaitls Sohn Leon auf die Welt. Der inzwischen 21-Jährige ist nun einer der besten Spieler der Welt – und hat nun die Chance auf Revanche. Der Respekt der Kanadier, die bis auf ein 2:3 nach Verlängerung gegen die Schweiz alle Vorrundenspiele souverän gewannen, ist jedenfalls da. „Es wird ein schwieriges Spiel in ihrer Halle, mit den Heimfans und allem“, sagte Sean Couturier von den Philadelphia Flyers.