Urgestein des Britpop
Von Rock über Gospel bis Folk: Paul Weller experimentiert auf „A Kind Revolution“mit verschiedenen Musikgenres
Kreidler „European Song“(Bureau B/Indigo): Eigentlich wollten die Electro/Ambient-InstrumentalRocker Kreidler Ende des vergangenen Jahres letzte Hand an ihr neues Album anlegen. Doch dann wurde Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt. Für Kreidler war das ein Einschnitt; die Albumsongs waren urplötzlich nicht mehr die richtigen. Sie wurden vorläufig ins Archiv verfrachtet und stattdessen wurde ein Studiotermin gebucht. Dort nahmen sie spontan und ohne viel Nachbearbeitung die fünf Songs auf, die sie auf „European Song“präsentieren. Alex Paulick (Gitarre, Bass), Andreas Reihse (Elektronik), Detlef Weinrich (Elektronik) und Thomas Klein (Schlagzeug) harmonieren trotz ihrer unterschiedlichen Klangwelten perfekt miteinander und spielen sich in jedem Song dank der sich wiederholenden, aber nicht langweiligen Rhythmen in Trance. Vor einiger Zeit erklärte Paul
er könne sich sehr gut vorstellen, Großbritannien beim „Eurovision Song Contest“zu vertreten. Das wäre schon eine kleine Sensation, wenn der sogenannte „Vater der Mod-Bewegung“und ehemalige The JamFrontmann das in die Tat umsetzen würde. Der letzte UK-Sieg gelang Katrina And The Waves mit „Love Shine A Light“. Das war 1997. Seitdem landete Großbritannien drei Mal unter den besten Fünf, aber auch acht Mal am Ende des Teilnehmerfeldes. Weller hätte bestimmt gute Chancen, wobei Qualität nicht immer entscheidend ist, wie die Erfahrung zeigt.
Dass der Gegner von Castingshows überhaupt darüber sinniert, ist erstaunlich. Denn er ist mit seinen 58 Jahren auch so schon ein sehr umtriebiger Geselle. 2014 schrieb er den Song „Let Me In” für Olly Murs Album „Never Been Better“; im April 2015 war er auf Der englische Musiker Paul Weller gilt als Vater der ModBewegung. Deutschlandtournee und im Mai kam mit „Saturn Patterns“sein 12. Soloalbum auf den Markt. Auf seinen Lorbeeren ausruhen, liegt Weller allerdings nicht.
Im März meldete er sich mit seinem ersten Soundtrack zurück: „Jawbone (Music From The Film)” (Parlophone/ Warner ). Der Drehbuchautor und Darsteller des Films, Johnny Harris, offenbarte sich als großer Fan des Briten und kontaktierte diesen, um ihn von der Idee, einen Soundtrack für den Film zu schreiben, zu überzeugen. Weller lieferte sieben Songs ab – angefangen bei dem experimentellcineastischen „Jimmy / Blackout“, das sich über 21 Minuten erstreckt. Gewiss kein typischer Popsong, sondern eine verstörende, atmosphärische Sound-Performance. Unter den restlichen Liedern, die durch Film-OTöne ergänzt wurden, befinden sich erfreulicherweise auch „gewöhnliche“
Songs wie wundervollen Akustikballaden
„The Ballad Of
Jimmy McCabe“und „Bottle“sowie das elektrifizierte „Jawbone“.
Letzte Woche erschien bereits sein nächstes Soloalbum „A Kind Revolution“(Parlophone/Warner Music
). Das nahm er mit
die seiner Live-Band, Sänger Boy George (Culture Club, „One Tear“), den Soul-Sängerinnen P.P. Arnold und Madeline Bell ( beide in „Woo Sé Mama“), dem britischen Psychedelic-Jazzer Robert Wyatt (Ex-Soft Machine, Trompete in „She Moves With The Fayre“) und Nachwuchs- Gitarrist Josh McClorey (The Strypes, „Satellite Kid“) auf.
In die Songs hat er verschiedenste Einflüsse eingearbeitet: Rock, Blues, Gospel, Soul, Jazz, Funk, Atmo-Electro und Folk. Manchmal vermischt er in einem Song gleich mehrere davon. Das überbordende Thema ist der Wunsch nach einer „gutartigen Revolution“. Oder wie Weller es erklärt: „Die Welt muss sich ändern, oder? Sie ist furchtbar, aber Veränderung kann nicht durch Gewalt oder Macht erfolgen. Davon gibt es schon genug. Es muss etwas Spirituelles sein – ein kollektives Erwachen. Darauf muss man hoffen, nicht wahr?“Wahre Worte eines nicht müde werdenden Künstlers.
>> Am 3. September tritt Paul Weller in der Garage Saarbrücken auf. Weitere Infos unter: www.garage-sb.de, paulweller.com
Tom Schilling mit Begleitband The Jazz Kids überzeugt mit seinem musikalischen Debüt „Vilnius“ Sie gehen getrennte Wege, woraufhin er „Kein Liebeslied“komponiert und noch in der Nacht die Wohnung putzt, damit nichts von ihr bleibt. So eröffnet der Schauspieler Tom Schilling („Crazy“, „Oh Boy“) sein erstes Album. Ein Start nach Maß.
Die Lieder, die er unter dem Projektnamen
Tom Schilling &
The Jazz Kids auf dem Album „Vilnius“(Embassy Of Music/Warner) veröffentlicht hat, erinnern an Nick Cave (And The Bad Seeds), an Rio Reiser und vor allem an Element Of Crime. Was an der Instrumentierung – Piano/ Orgel (Christopher Colaço), Gitarre (Lenny Svilar), Bass (Leonhard Eisenach), Schlagzeug (Philipp Schaeper) plus Streicher –, der getragenen Stimme Schillings und den melodramatischen Textinhalten liegt.
Mit Jazz hat das nichts zu tun, obwohl einige der Mitglieder der Jazz Kids tatsächlich Erfahrungen in diesem Genre gesammelt haben. Zusammengefunden haben sie dank Regisseur Jan-Ole Gerster, der die Musiker für den Soundtrack seines Films „Oh Boy“zusammentrommelte.
Ein Glücksgriff, denn die damals noch mit The Major Minors betitelte Band gewann 2013 bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises in der Kategorie „Beste Filmmusik“Gold. Und jetzt brillieren sie bei Schillings musikalischem Debüt als dessen exzellente Begleitband.
Es bleibt zu hoffen, dass dies keine einmalige Sache war. Dafür ist „Vilnius“schlichtweg zu gut: siehe den Song „Ja oder Nein“, ein Duett mit Annett Louisan, die gar nicht balladeske „Ballade Von René“und das traurige Lied „Schwer Dich Zu Vergessen“. kfb