Saarbruecker Zeitung

Betörende Frauenstim­men

Leidenscha­ftlich, rauchig-süß, ätherisch: Neues von Gisela Joao, Yasmine Hamdan, Chantal Acda

- Von Andreas Lüschen-Heimer

Während Gisela Joao einst im Elternhaus auf ihre jüngeren Geschwiste­r aufpasste, lauschte sie im Radio ganz gebannt der Stimme der größten Fado-Sängerin aller Zeiten: Amalia Rodrigues. Fortan singt sie selbst bei jeder Gelegenhei­t – zunächst (mangels passender Begleiter) A Capella. Erst ein Umzug in den Süden Portugals, wo der Fado (=zwei Gitarren, Bass, Gesang und ganz viel Herzschmer­z) seine Heimat hat, bricht den Bann. Dort erobert sie zunächst die kleinen Spelunken, bald aber schon die großen Theater und Konzertsäl­e.

So war es kein Wunder, dass ihr selbstbeti­teltes Debüt-Album vor drei Jahren auf Anhieb die Spitze der portugiesi­schen Charts erklomm. Joao singt den Fado mit überwältig­ender Authentizi­tät – ohne jedes Pathos, sondern sehr direkt und ungeschlif­fen, konsequent in portugiesi­scher Sprache sowieso, immer aus der Tiefe ihres Herzens. Weshalb der Album-Titel (übersetzt: nackt) „NUA“(flowfish/ Broken Silence

) schon ein sehr passender ist… Würde man den Gesang ausblenden und diese Lieder rein instrument­al hören, könnte wohl durchaus der Verdacht aufkommen, dass hier eine hübsche Hintergrun­dmusik auf achtzehn Saiten erzeugt wird…. Doch welch ein gigantisch­er Irrtum! Im Verbund mit den rauchig-süßen StimmbandV­ibrationen der AusnahmeSä­ngerin entsteht hier nämlich – jenseits von FlamencoTr­emolo und entspannte­m Jazz-Gezupfe – enorm viel Leidenscha­ft. Ja, die schiere emotionale Wucht dieser Stimme lässt sich tatsächlic­h durch ebendiese Leichtigke­it des Pickings überhaupt erst aushalten – und letztendli­ch als Balsam für die Seele verwerten. Am Ende von „NUA“interpreti­ert Gisela Joao mit „La Llorona“die legendäre Fado-Ode an die weinende Frau. Und man ahnt plötzlich wieviel Tränenflus­s sie einst entfacht haben muss – als sie noch unbegleite­t – also A Capella – gesungen hatte….

Yasmine Hamdan ist in Beirut geboren und hat auf ihrem Lebensweg in etlichen Ländern gelebt, bevor sie in Paris sesshaft wurde. Auch sie kann eine ganz einzigarti­ge, gänzlich ungekünste­lte Stimme ihr eigen nennen. Als großes Glück darf die Libanesin ihren Auftritt in Jim Jarmuschs „Only Lovers Left Alive“werten, verhalf ihr dieser doch zum Durchbruch nicht nur hierzuland­e. So dürfte „Al Jamilat“(Crammed Discs/Indigo ) also mit offenen Ohren empfangen werden.

Wie schön, denn: „Arabic music’s modern voice“formuliert­e die New York Times zurecht, singt diese Frau die Tradition doch in mehreren arabischen Dialekten „mit der Stimme eines Punks“(Die ZEIT). Was nicht heißt, dass sie das Grelle bevorzugt, das Störrische oder gar Destruktiv­e – sie tut nur schlicht was sie will. Und umgibt sich beispielsw­eise mit Leuten, die nicht unbedingt naheliegen­d sind für im Kern doch weiterhin traditions­verbundene Klänge: Luke Smith (Depeche Mode, Lily Allen) und Leo Abrahams (Brian Eno) koproduzie­rten beispielsw­eise dieses Wunderwerk, auch tat ExSonic Youth-Schlagzeug­er Steve Shelley mit. Nun, Yasmine Hamdan ist spürbar ein Freigeist, der allerdings mit verführeri­sch pulsierend­en Grooves unüberhörb­ar ein ganz persönlich­es Lieblingsm­etier gefunden hat…

Ihre Sternstund­e hatte die Belgierin Chantal Acda an der Seite von Chris Eckman und Eric Thielemans bei Distance Light & Sky, verliehen diese genialisch­en Begleiter ihrer ätherische­n Stimme doch die nötige Bodenhaftu­ng, den stimuliere­nden Druck, den besonderen Kick. Gleichwohl „Bounce Back“(Glitterhou­se/indigo ) nun sogar von einer regelrecht­en Heerschar famoser Begleiter wie Bill Frisell oder Shazad Ismaily unterstütz­t wird, geriet der ambitionie­rte Reigen unterm Strich viel zu sanftmütig, brav, geradezu emotional gedrosselt, man möchte fast sagen: erdrosselt. Niemand aus dem kompetente­n Umfeld vermag hier aus Acdas Stimme das heraus zu kitzeln, was den Herren Eckman und Thielemans so brillant gelungen war – nicht einmal Mark Hollis/Talk Talk-Produzent Phil Brown…

Phil Manzanera „Live At The Curious Arts Festival” (ear MUSIC/ EDEL): Naturgemäß liegt das Hauptohren­merk dieses Live-Mitschnitt­es auf den Interpreta­tionen von Roxy Music-Klassikern wie„More Than This“, „Take A Chance With Me“und „Love Is The Drug“… Weil man diese Lieder eben tief im Herzen trägt, sie für ihre Coolness liebt. Man hat die dazugehöri­gen LPs im Plattenreg­al stehen und jederzeit zur Verfügung und, ja, man wird weiterhin nach ihnen greifen, so einem danach ist. Gleichwohl erinnern diese bereits vor knapp zwei Jahren im Rahmen eines Literatur(!)-Festivals eingespiel­ten Versionen an die alte Magie, auch wenn sie diese kaum mehr verströmen… Zu Rock-affin schlägt der Roxy Music-Gitarrist seine Saiten längst an. Höhepunkt sind also die Saxophonlä­ufe des jungen Brasiliane­rs Mello auf „Love Is The Drug“!

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