Betörende Frauenstimmen
Leidenschaftlich, rauchig-süß, ätherisch: Neues von Gisela Joao, Yasmine Hamdan, Chantal Acda
Während Gisela Joao einst im Elternhaus auf ihre jüngeren Geschwister aufpasste, lauschte sie im Radio ganz gebannt der Stimme der größten Fado-Sängerin aller Zeiten: Amalia Rodrigues. Fortan singt sie selbst bei jeder Gelegenheit – zunächst (mangels passender Begleiter) A Capella. Erst ein Umzug in den Süden Portugals, wo der Fado (=zwei Gitarren, Bass, Gesang und ganz viel Herzschmerz) seine Heimat hat, bricht den Bann. Dort erobert sie zunächst die kleinen Spelunken, bald aber schon die großen Theater und Konzertsäle.
So war es kein Wunder, dass ihr selbstbetiteltes Debüt-Album vor drei Jahren auf Anhieb die Spitze der portugiesischen Charts erklomm. Joao singt den Fado mit überwältigender Authentizität – ohne jedes Pathos, sondern sehr direkt und ungeschliffen, konsequent in portugiesischer Sprache sowieso, immer aus der Tiefe ihres Herzens. Weshalb der Album-Titel (übersetzt: nackt) „NUA“(flowfish/ Broken Silence
) schon ein sehr passender ist… Würde man den Gesang ausblenden und diese Lieder rein instrumental hören, könnte wohl durchaus der Verdacht aufkommen, dass hier eine hübsche Hintergrundmusik auf achtzehn Saiten erzeugt wird…. Doch welch ein gigantischer Irrtum! Im Verbund mit den rauchig-süßen StimmbandVibrationen der AusnahmeSängerin entsteht hier nämlich – jenseits von FlamencoTremolo und entspanntem Jazz-Gezupfe – enorm viel Leidenschaft. Ja, die schiere emotionale Wucht dieser Stimme lässt sich tatsächlich durch ebendiese Leichtigkeit des Pickings überhaupt erst aushalten – und letztendlich als Balsam für die Seele verwerten. Am Ende von „NUA“interpretiert Gisela Joao mit „La Llorona“die legendäre Fado-Ode an die weinende Frau. Und man ahnt plötzlich wieviel Tränenfluss sie einst entfacht haben muss – als sie noch unbegleitet – also A Capella – gesungen hatte….
Yasmine Hamdan ist in Beirut geboren und hat auf ihrem Lebensweg in etlichen Ländern gelebt, bevor sie in Paris sesshaft wurde. Auch sie kann eine ganz einzigartige, gänzlich ungekünstelte Stimme ihr eigen nennen. Als großes Glück darf die Libanesin ihren Auftritt in Jim Jarmuschs „Only Lovers Left Alive“werten, verhalf ihr dieser doch zum Durchbruch nicht nur hierzulande. So dürfte „Al Jamilat“(Crammed Discs/Indigo ) also mit offenen Ohren empfangen werden.
Wie schön, denn: „Arabic music’s modern voice“formulierte die New York Times zurecht, singt diese Frau die Tradition doch in mehreren arabischen Dialekten „mit der Stimme eines Punks“(Die ZEIT). Was nicht heißt, dass sie das Grelle bevorzugt, das Störrische oder gar Destruktive – sie tut nur schlicht was sie will. Und umgibt sich beispielsweise mit Leuten, die nicht unbedingt naheliegend sind für im Kern doch weiterhin traditionsverbundene Klänge: Luke Smith (Depeche Mode, Lily Allen) und Leo Abrahams (Brian Eno) koproduzierten beispielsweise dieses Wunderwerk, auch tat ExSonic Youth-Schlagzeuger Steve Shelley mit. Nun, Yasmine Hamdan ist spürbar ein Freigeist, der allerdings mit verführerisch pulsierenden Grooves unüberhörbar ein ganz persönliches Lieblingsmetier gefunden hat…
Ihre Sternstunde hatte die Belgierin Chantal Acda an der Seite von Chris Eckman und Eric Thielemans bei Distance Light & Sky, verliehen diese genialischen Begleiter ihrer ätherischen Stimme doch die nötige Bodenhaftung, den stimulierenden Druck, den besonderen Kick. Gleichwohl „Bounce Back“(Glitterhouse/indigo ) nun sogar von einer regelrechten Heerschar famoser Begleiter wie Bill Frisell oder Shazad Ismaily unterstützt wird, geriet der ambitionierte Reigen unterm Strich viel zu sanftmütig, brav, geradezu emotional gedrosselt, man möchte fast sagen: erdrosselt. Niemand aus dem kompetenten Umfeld vermag hier aus Acdas Stimme das heraus zu kitzeln, was den Herren Eckman und Thielemans so brillant gelungen war – nicht einmal Mark Hollis/Talk Talk-Produzent Phil Brown…
Phil Manzanera „Live At The Curious Arts Festival” (ear MUSIC/ EDEL): Naturgemäß liegt das Hauptohrenmerk dieses Live-Mitschnittes auf den Interpretationen von Roxy Music-Klassikern wie„More Than This“, „Take A Chance With Me“und „Love Is The Drug“… Weil man diese Lieder eben tief im Herzen trägt, sie für ihre Coolness liebt. Man hat die dazugehörigen LPs im Plattenregal stehen und jederzeit zur Verfügung und, ja, man wird weiterhin nach ihnen greifen, so einem danach ist. Gleichwohl erinnern diese bereits vor knapp zwei Jahren im Rahmen eines Literatur(!)-Festivals eingespielten Versionen an die alte Magie, auch wenn sie diese kaum mehr verströmen… Zu Rock-affin schlägt der Roxy Music-Gitarrist seine Saiten längst an. Höhepunkt sind also die Saxophonläufe des jungen Brasilianers Mello auf „Love Is The Drug“!