Die Welt aus weiblicher Sicht
Neu im Kino: „Jahrhundertfrauen“von Mike Mills – Stimmiges Generationen-Porträt stellt starke Frauen in den Mittelpunkt
Einen guten, anständigen, modernen Mann möchte Dorothea (Annett Benning) aus ihrem Sohn machen. Aber zwischen ihr und dem Jungen liegen Welten. Die Mutter ist 1924 geboren, verbrachte Kindheit und Jugend in der Weltwirtschaftskrise und ist mittlerweile Mitte Fünfzig. Jamie (Lucas Jade Zumann) ist in den wilden Siebzigern aufgewachsen und versucht sich gerade von der alleinerziehenden Mutter abzunabeln.
Dorothea ist eine klarsichtige Frau, die ihr Leben immer allein gemeistert hat, und sie erkennt, dass sie dem selbst gesteckten Erziehungsauftrag nicht gewachsen ist. Deshalb engagiert sie zwei jüngere Frauen, die sich jede auf ihre Weise um den Sohn kümmern sollen. Die Mitbewohnerin Abbie (Greta Gerwig) ist Mitte Zwanzig, nimmt den Sohnemann mit zu Punk-Partys und gibt ihm feministische Standardwerke zur Lektüre. Lebensbegleiterin Nummer zwei ist die siebzehnjährige Nachbarin Julie (Elle Fanning), die sich Nacht für Nacht in sein Zimmer schleicht und dem besten Freund von ihren umfangreichen sexuellen Abenteuern berichtet, während Jamie sich nach ihr vergeblich verzehrt.
Die Welt der Hormone und Gefühle ist komplex und voller Widersprüche, genauso wie die Zeit, in der die Figuren von Mike Mills „Jahrhundertfrauen“leben. Ähnlich wie im letzten Kinojahr Richard Linklaters „Everybody Wants Some!!“beschreibt auch Mills das Jahr 1979 als Zeitenwende, in der die Flower-Power-Ära zu Ende geht und in ein deutlich düstereres Lebensgefühl hineingleitet. In ihrer kontroversen Verbundenheit bilden die drei Frauen dennoch über alle Generationsunterschiede hinweg ein Kaleidoskop des bewegten 20. Jahrhunderts, dessen kulturellen Umbrüche von heute aus betrachtet schon fast rührend wirken.
Mills lässt durch hinein gestreute Foto-Montagen und Off-Kommentare nie einen Zweifel an der historischen Distanz, beschreibt aber umso genauer den Geist jener Zeit, in der persönliche und politische Veränderungsprozesse mit großer Ernsthaftigkeit betrieben wurden. Der Regisseur versteht seinen Film als Hommage an seine Mutter und ihre Generation.
Wunderbar harmonieren die drei facettenreichen Frauencharaktere miteinander. Annette Bennig ist hinreißend als schroffe, liebende Übermutter, die bei aller Offenheit für ihre Mitmenschen, diese nie zu nahe an sich heranlässt. Als PunkFeminstin ist auch Greta Gerwig („Frances Ha“) ideal besetzt.
USA 2016, 119 Min., Camera Zwo (Sb), Regie: Mike M ills, Darsteller: Annette Bening, Elle Fanning, Greta Gerwig, Lucas Jade Zumann
Neu im Kino: „Nocturama“von Bertrand Bonello – Porträt einer Jugend ohne Orientierung