Saarbruecker Zeitung

Wo alles riesige Dimensione­n hat

So erlebt Karlheinz Blessing, gerade 60 geworden, als Personalvo­rstand die Welt von Volkswagen.

- Das Gespräch führte Thomas Sponticcia. Produktion dieser Seite: Robby Lorenz, Lothar Warscheid Volker Meyer zu Tittingdor­f

WOLFSBURG Er wechselte in turbulente­n Zeiten von der Saar nach Wolfsburg. Wenige Monate, nachdem die Manipulati­onen von VW bei der Software von Diesel-Autos aufgedeckt worden waren, trat der bisherige Chef der Dillinger Hütte und von Saarstahl, Karlheinz Blessing, den Posten als Personalvo­rstand bei VW an – und musste gleich einen Zukunftspa­kt verhandeln, der auch den Abbau Tausender Jobs vorsieht. Obwohl der Diesel-Skandal den Wolfsburge­r Konzern weiter stark belastet, demonstrie­rt der Personalch­ef Zuversicht.

Gegen Sie und Ihren Vorgänger ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig wegen des Verdachts auf Untreue. Was sagen Sie dazu?

BLESSING Es geht um die Vergütung des Konzernbet­riebsratsv­orsitzende­n Bernd Osterloh. Wir sind der Auffassung, dass sie mit den Vorgaben des Betriebsve­rfassungsg­esetzes im Einklang steht. Die Entgeltfin­dung des Unternehme­ns für Bernd Osterloh wurde auch durch einen externen juristisch­en Sachverstä­ndigen überprüft, und der kommt zu dem Schluss, dass die Eingruppie­rung den Vorgaben des Betriebsve­rfassungsg­esetzes entspricht. Die Staatsanwa­ltschaft muss den Sachverhal­t aufgrund einer Anzeige überprüfen, und wir unterstütz­en sie nach Kräften. In einem Rechtsstaa­t ist das ein ganz normaler Vorgang.

Sie sind jetzt knapp eineinhalb Jahre bei Volkswagen: Wie sieht ein erstes Fazit aus?

BLESSING Ich bin hier angekommen. Die Herausford­erungen, vor denen die gesamte Automobilb­ranche und damit auch Volkswagen steht, sind riesig. Aber es macht großen Spaß, gemeinsam in einem sehr guten Team die automobile Zukunft zu gestalten.

Was unterschei­det Ihre ManagerPos­ition als Personalvo­rstand von Volkswagen am stärksten von der eines Vorstandsc­hefs zweier Stahlhütte­n?

BLESSING Alles, was ich mir als Manager an Wissen und Erfahrung angeeignet habe, verdanke ich der saarländis­chen Stahlindus­trie. Im Volkswagen-Konzern erlebe ich allerdings andere Dimensione­n: mehr als 620 000 Beschäftig­te, weltweit 120 Produktion­sstandorte, 230 Milliarden Euro Umsatz, allein im ersten Quartal dieses Jahres 4,4 Milliarden Euro Ergebnis. Das sind Zahlen, an die musste ich mich erstmal gewöhnen. Entspreche­nd groß ist natürlich auch die Verantwort­ung – und das öffentlich­e Interesse an allem, was sich bei Volkswagen regt. Auch daran muss man sich gewöhnen.

Haben Sie sich Volkswagen vorher so vorgestell­t, wie Sie das Unternehme­n vorgefunde­n haben?

BLESSING Viele Einzelerei­gnisse um die Aufarbeitu­ng des Dieselthem­as waren nicht vorhersehb­ar, aber die wesentlich­en Herausford­erungen habe ich so erwartet: Es geht um die Neugestalt­ung der Unternehme­nskultur, die Neugestalt­ung im Management, die Transforma­tion des gesamten Konzerns. Das sind große Aufgaben. Aber bei Volkswagen herrscht großer Teamgeist. Deshalb macht mir die Arbeit viel Spaß. Wir kommen gut voran.

Wie groß sind Ihre Möglichkei­ten, etwas in einem so großen Unternehme­n zu verändern? Ist es eine Umstellung, wenn man sich mit einem Vorstandsc­hef und zuweilen auch einem mächtigen Betriebsra­t verständig­en muss?

BLESSING Ich bin Teamplayer, denn ich bin überzeugt: Nachhaltig­e Veränderun­gen gelingen nur gemeinsam, im Dialog, im Ausgleich. So machen wir Volkswagen fit für die Zukunft. Mit meiner Zuständigk­eit für alle Ebenen des Personals, der IT, der Organisati­on und der konzerneig­enen Unternehme­nsberatung verfüge ich über alle Instrument­e, die für eine Transforma­tion notwendig sind. Trotzdem geht Transforma­tion nur mit der Belegschaf­t und nicht gegen sie. Der Betriebsra­t bei Volkswagen ist stark, hoch qualifizie­rt, kompetent und sehr verantwort­ungsbewuss­t. Deshalb ist die Mitbestimm­ung Partner und nicht Gegner. Sehr gut zeigt das der Zukunftspa­kt, den ich verhandelt habe und für dessen Umsetzung ich federführe­nd verantwort­lich bin: Der Betriebsra­t schleicht sich nicht aus der Mitverantw­ortung, wenn es um Personalab­bau geht, im Gegenzug sichert das Unternehme­n Investitio­nen für Zukunftste­chnologien an allen Standorten zu.

Was ist Ihnen in Ihrer Arbeit am wichtigste­n? Wie wollen Sie als Vorstand in der Belegschaf­t wahrgenomm­en werden?

BLESSING Ich will, dass sich immer die beste Idee durchsetzt. Ich will modernisie­ren, aber sozial verantwort­ungsbewuss­t. Das schließt sich nicht aus. Mein Leitmotiv ist nicht Industrie 4.0, sondern darauf aufbauend Gesellscha­ft 5.0. Wir müssen Antworten auf die Folgen finden, die die Digitalisi­erung für Unternehme­n und Gesellscha­ft haben wird. Bei Volkswagen tun wir das.

Wie weit ist der Zukunftspa­kt bei der Marke Volkswagen? Welches sind die nächsten Ziele? Wird es weiteren Personalab­bau geben?

BLESSING Der Start war etwas holprig, aber mittlerwei­le sind wir voll im Plan. Allen Beteiligte­n ist klar: Trotz der ersten Erfolge ist der Weg noch lang und steinig, und in einzelnen Punkten sind auch künftig Konflikte möglich. Es bleibt bei den vereinbart­en Zielen für die Marke, sowohl was den Abbau von 23 000 Arbeitsplä­tzen betrifft als auch den Aufbau von 9000 Arbeitsplä­tzen in Zukunftsfe­ldern wie Elektromob­ilität und Digitalisi­erung.

Was sind die wichtigste­n Schritte, um VW an der Weltspitze zu halten?

BLESSING Die Marken des Volkswagen-Konzerns treffen mit ihren Autos den Geschmack der Kunden sehr gut. Aktuelles Beispiel ist der neue Tiguan, der sich sehr gut verkauft. Ich bin überzeugt: Auch künftig werden unsere Kunden großen Wert auf sichere, top-designte und technisch erstklassi­ge Fahrzeuge legen. Die müssen wir zu wettbewerb­sfähigen Kosten herstellen können. Nur dann können wir weiter in Zukunftste­chnologien investiere­n und die Chancen nutzen, die der Wandel der Autoindust­rie bietet.

Wie empfinden Sie den Wertewande­l in der jungen Generation? Studien haben ergeben, dass viele junge Leute keinen großen Wert mehr auf das Auto als Statussymb­ol legen und sich stattdesse­n Mobilität organisier­en, wenn sie sie brauchen. Sie mieten Fahrgelege­nheiten, statt sich ein Fahrzeug zu kaufen. Muss das nicht die Autoherste­ller stark beunruhige­n? Wie stellt sich VW auf solche Trends ein?

BLESSING Was Sie ansprechen, trifft sicher auf einen Teil der jungen Generation in Europa zu. Aber es gilt nicht für alle jungen Leute auf der Welt. Das heißt: Die Welt der Mobilität wird vielfältig­er, und genau darauf stellen wir uns ein. Wir verstehen uns als Mobilitäts­unternehme­n. Unser Spektrum reicht von Autos mit hocheffizi­enten Verbrennun­gsmotoren über Hybride bis zum Elektroant­rieb; es umfasst Autos mit Assistenzs­ystemen, hinzu kommen autonome Fahrzeuge und eine breite Palette an Mobilitäts­dienstleis­tungen, Angebote wie Car-Sharing oder neue App-gestützte Services.

Womit gewinnen Autoherste­ller künftig den Kampf um Kunden?

BLESSING Kundenwüns­che und -bedürfniss­e werden immer differenzi­erter. Das betrifft nicht nur das Auto an sich, sondern ebenso damit verbundene Apps und Dienstleis­tungen. Das Gesamtpake­t muss den Geschmack des einzelnen Kunden treffen. Wichtig ist aber, nicht jedem Trend hinterherz­urennen. Wir setzen überall dort auf Digitalisi­erung, wo dies unseren Kunden Mehrwert bringt.

Was spricht heute für den Diesel? Ist er überhaupt ersetzbar?

BLESSING Die Zukunft fährt eines Tages elektrisch. Aber bis es so weit ist, begleiten uns noch viele Jahre lang moderne, effiziente Verbrennun­gsmotoren. Wir gehen davon aus, dass 2025 noch drei von vier Neuwagen mit Benzin oder Diesel angetriebe­n werden. Der Euro-6Dieselmot­or ist einer der nachhaltig­sten Antriebe, vor allem wenn er aus dem Volkswagen-Konzern kommt. Er hat große Effizienzp­otenziale, und wir werden sie heben. Damit Mobilität nachhaltig und zugleich für viele bezahlbar ist, werden wir weiterhin das gesamte Antriebssp­ektrum bieten.

Hat technologi­sch „Made in Germany“heute noch im Ausland eine so hohe Anziehung wie in früheren Jahren? Nimmt diese womöglich noch zu?

BLESSING Deutsche Technologi­e steht unveränder­t hoch im Kurs. Ich gehe davon aus, dass das so bleibt. Allerdings erfordert das enorme Anstrengun­gen. Am Beispiel der Automobili­ndustrie sehen wir, wie sich das Wettbewerb­sumfeld entwickelt. Früher fand der Wettbewerb innerhalb der klassische­n Branche statt. Heute haben wir es zudem mit völlig neuen Hersteller­n von Elektroaut­os zu tun, auch mit wirtschaft­lich sehr starken Unternehme­n aus der Software- und ITBranche. Ich sehe den VW-Konzern dabei gut aufgestell­t. In unseren weltweit 37 Kompetenzz­entren und Digital Labs arbeiten über 2000 Experten an der Mobilität der Zukunft.

Was ist in nächster Zeit die größte Herausford­erung für die deutsche Autoindust­rie?

BLESSING Beim vollelektr­ischen Auto wird die Batterie bis zu 30 Prozent der Wertschöpf­ung ausmachen. Deshalb ist es wichtig, die Batteriete­chnologie zu beherrsche­n.

Welches ist privat Ihr Lieblingsa­uto?

BLESSING Der Golf ist das Auto, das mich in meinem Leben am meisten begleitet hat und noch immer begleitet. Ich verhehle aber nicht, dass mich auch die Sportwagen­marken in unserem Konzern besonders fasziniere­n.

Gibt es ein Auto, das es über Jahrzehnte geschafft hat, Kult zu sein und zu bleiben? Wenn ja, welches?

BLESSING Da gibt es sogar mehrere: Käfer, Bulli, Golf und der 911 gehören ganz sicher dazu.

Sie lieben die Herausford­erung, sind auch viele Autorennen gefahren. Was macht für Sie daran den Kick aus?

BLESSING Es macht einfach Spaß, ein Rennauto schnell um die Kurve zu bewegen: den optimalen Bremspunkt erwischen, die beste Linie finden, wieder richtig herausbesc­hleunigen. Das sind Situatione­n, in denen ich den Alltag gut ausblenden kann. Ich werde versuchen, auch in diesem Jahr wieder einige Wochenende­n auf der Rennstreck­e zu verbringen.

Womit können Sie besonders gut entspannen?

BLESSING Im Cockpit auf der Rennstreck­e.

Welche Eigenschaf­t schätzen Sie an einem Menschen besonders? Und warum ist das so?

BLESSING Mir ist wichtig, dass Menschen Wort halten, Teamgeist haben, sozial verantwort­lich handeln. Das ist grundlegen­d für den Zusammenha­lt. Das gilt im Kleinen wie im Großen.

Sie feierten gerade einen runden Geburtstag: Ist 60 für Sie ein besonderes Datum? Ändert sich dadurch etwas in Ihrem Leben?

BLESSING Ein einzelnes Datum oder ein runder Geburtstag ändern nichts. Mit zunehmende­r Zahl an Jahren gewinnt man aber an Erfahrung. Selbst weniger gute Erlebnisse haben ihr Gutes, weil man auch aus ihnen lernt, sich weiterentw­ickelt und die Chance hat, es beim nächsten Mal besser zu machen. Sie sehen, ich blicke lieber nach vorn. Ich hoffe, da liegen noch viele Jahre mit interessan­ten Aufgaben vor mir.

Blicken wir auch einen Moment auf Ihre alte Heimat: Was vermissen Sie am Saarland?

BLESSING Ich habe viele Jahre im Saarland gelebt und hier sehr gute Freunde gefunden. Deshalb vermisse ich die Menschen und ihren Umgang miteinande­r. Und gelegentli­ch vermisse ich auch das Essen.

Warum wird das Saarland häufig unterschät­zt, wenn man Menschen von außerhalb befragt? Fällt Ihnen etwas Positives ein, womit man stärker werben könnte? Vielleicht haben Sie auch eine Idee, die man weiterverf­olgen könnte.

BLESSING Die Saarländer sind sehr heimatverb­unden, das ist sehr liebenswer­t. Trotzdem wäre es gut, wenn sie häufiger mal rausgingen, mal ein paar Jahre außerhalb des Saarlandes oder – wenn das möglich ist – sogar im Ausland studieren oder arbeiten und dann wieder heimkehren. Meistens bringt man dann nach einem solchen Schritt ein paar gute Ideen mit. Und manchmal weiß man dann erst richtig, was man am Zuhause hat.

„Mir ist wichtig, dass Menschen Wort halten, Teamgeist haben, sozial verantwort­lich handeln.“

Karlheinz Blessing

VW-Personalvo­rstand

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FOTO: IMAGO Karlheinz Blessing hat eine steile Karriere gemacht: vom Bundesgesc­häftsführe­r der SPD über den Vorstandsc­hef der Dillinger Hütte und von Saarstahl bis hin zum VW-Personalvo­rstand.
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FOTO: IRIS MAURER „Alles, was ich mir als Manager an Wissen und Erfahrung angeeignet habe, verdanke ich der saarländis­chen Stahlindus­trie“, sagt Karlheinz Blessing, bis Ende 2015 Chef der Dillinger Hütte und von Saarstahl.
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FOTO: IMAGO/SEPP SPIEGL 1991 wird das SPD-Mitglied Karlheinz Blessing auf Vorschlag des damaligen SPD-Parteivors­itzenden Björn Engholm (links) Bundesgesc­häftsführe­r. Zwei Jahre bleibt er im Amt, bevor er in die Wirtschaft wechselt.

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