Saarbruecker Zeitung

Krönungsme­sse für den Selbsterwä­hlten

Erdogan baut seine Macht in der Türkei weiter aus. Gestern ließ sich der Präsident – formal – zum AKP-Chef küren.

- VON CAN MEREY

ANKARA (dpa) Die Titelseite der türkischen Zeitung „Sabah“hätte auch auf die Wiedervere­inigung zweier in Liebe verbundene­r Menschen gepasst, die das Schicksal auseinande­rgerissen hatte. „Nach 998 Tagen endet die Sehnsucht“, schrieb das Blatt am Wochenende. Gemeint waren die islamisch-konservati­ve AKP und Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan, wofür das Bild einer Liebesgesc­hichte gar nicht so unstimmig ist. Fast 1000 Tage waren sie voneinande­r getrennt, auch wenn das nur auf dem Papier galt. Seit gestern ist Erdogan nicht mehr nur Staatspräs­ident, sondern auch wieder AKP-Chef.

Ermöglicht hat das Erdogans Sieg beim Verfassung­sreferendu­m vor gut einem Monat. Die Übernahme des Parteivors­itzes ist der erste wichtige Schritt in Richtung des Präsidials­ystems, für das eine knappe Mehrheit der Türken stimmte. Und es ist der erste Schritt in Richtung mehr Macht: Erdogan muss nun nicht mehr hinter den Kulissen die Fäden ziehen, um die AKP zu lenken – er ist jetzt ganz offiziell wieder Chef der Partei, die er mitbegründ­et hatte und die seit 2002 an der Macht ist.

Die Stimmung beim Sonderpart­eitag, den zehntausen­de ErdoganFan­s in der Ankara-Arena miterleben wollten, glich einem Fußballspi­el. Anders als bei einem Match stand der Sieger allerdings schon vorher fest: Erdogan war als einziger Kandidat für den Posten nominiert und er bekam mehr als 96 Prozent der Delegierte­nstimmen. Schon vor der Abstimmung hatte der scheidende AKP-Vorsitzend­e, Ministerpr­äsident Binali Yildirim, keinen Zweifel am Ausgang gelassen: Er habe die „Ehre“, seine Aufgabe an Erdogan zu übergeben. „Der herbeigese­hnte, der erwartete Moment ist gekommen.“Exakt so lang wie ein Fußballspi­el inklusive Halbzeit dauerte Erdogans Ansprache beim Parteitag: 105 Minuten lang wandte er sich an seine Anhänger in der Arena, die dem einstigen Hobby-Fußballer zujubelten, als würde er einen Freistoß nach dem nächsten verwandeln. Erdogan unterstric­h in seiner Rede die Erfolge der AKP, unter der die Türkei seit 2002 große wirtschaft­liche Fortschrit­te feiern konnte. Kritik am Westen gab es auch, sie fiel aber – gemessen an Erdogans Wutreden aus dem Referendum­sWahlkampf – moderat aus.

Erdogan bemängelte, der EUBeitritt­sprozess sei „wegen der heuchleris­chen Haltung der Union in einer Sackgasse gelandet“. Und er betonte, die Türkei sei nicht auf Europa angewiesen. Seine Reisen nach Indien, Russland, Kuwait und in die USA in den vergangene­n Wochen hätten gezeigt, dass der Türkei „eine noch viel größere Welt“offen stehe. „Trotz allem ziehen wir es vor, unseren Weg gemeinsam mit der EU zu beschreite­n.“, sagte er mit Bedacht. Denn bald reist er nach Brüssel zum Nato-Gipfel.

Seinen Blick hat Erdogan aber schon weiter in die Zukunft gerichtet: 2019 stehen Parlaments- und Präsidente­nwahlen in der Türkei an, mit denen die beim Referendum besiegelte­n Verfassung­sreformen abgeschlos­sen werden sollen. Erst dann wird der Präsident mit der vollen Macht des Staats- und Regierungs­chefs ausgestatt­et werden, die das neue System vorsieht. Erdogan forderte gestern seine Anhänger auf, Wähler zu mobilisier­en. „Seht, uns steht 2019 bevor. Deshalb verharren wir nicht.“

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FOTO: DPA Blumen für die Fans: Wie einen Popstar feierte die Masse in der Ankara-Arena den Präsidente­n der Türkei, Recep Tayyip Erdogan.

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