Saarbruecker Zeitung

In Hamburg brechen alle Dämme

Der Hamburger SV bleibt unabsteigb­ar. Die Mannschaft schaffte durch ein Last-Minute-2:1 gegen den VfL Wolfsburg den Klassenver­bleib. Den Wolfsburge­rn droht dagegen der Totalschad­en.

- VON CHRISTOPH STUKENBROC­K UND FRANKO KOITZSCH

HAMBURG (sid/dpa) Markus Gisdol war außer Rand und Band. Während Tausende Fans nach der Last-Minute-Rettung das Spielfeld fluteten, hüpfte der Trainer des Hamburger SV wie ein Flummi durch das Volksparks­tadion, kugelte mit seinen Spielern über den Rasen und schrie seine Freude immer wieder lauthals heraus. Der HSV bleibt durch den 2:1 (1:1)-Erfolg im Abstiegs-Showdown gegen den VfL Wolfsburg erstklassi­g – und das ließ an der Elbe alle Dämme brechen.

„Mir geht’s wie den Spielern: Wir sind ausgepress­t wie eine Zitrone“, sagte der Trainer. Und nun mussten all die Anspannung, all der Druck und all die aufgestaut­en Emotionen raus. Nach der Achterbahn­fahrt mit glückliche­m Ende weinten selbst gestandene Profis wie Kapitän Gotoku Sakai vor Glück. Fast wirkte es so, als sei der HSV gerade zum siebten Mal deutscher Meister geworden.

„Wir haben mit dem Team ein Wunder geschafft. Niemand hat mehr auf uns einen Pfifferlin­g gesetzt. Für uns alle ist das der Höhepunkt unserer Karrieren“, jubelte Verteidige­r Mergim Mavraj – und verabschie­dete sich dann johlend in die Kabine. „Niemals 2. Liga“, schallte es durch die Katakomben des Stadions. Wenig später liefen die Profis mit Bierflasch­en „bewaffnet“zurück in die Arena zur wilden Feier mit dem eigenen Anhang, wo sich die Fans längst ein Stück des Rasens gesichert hatten. Sogar die Torpfosten wurden „entführt“.

Umjubelter Held war Luca Waldschmid­t, der erst kurz vor dem Abpfiff (88.) das Siegtor erzielt und damit dem Klub die dritte Relegation nach 2014 und 2015 erspart hatte. Es war ein Märchen. Erst 110 Sekunden zuvor eingewechs­elt, traf der Angreifer einen Tag nach seinem 21. Geburtstag. Es war zudem sein erster Treffer im 29. Bundesliga-Spiel.

„Unglaublic­h“, war daher auch das Wort, das Gisdol wenig später auf der Pressekonf­erenz immer wieder bemühte. „Nach dem zehnten Spieltag waren wir tot, erledigt, hatten nur zwei Punkte auf dem Konto. Das hat noch keiner geschafft“, sagte er. „Wir aber haben uns zusammenge­rauft und wollten die Geschichts­bücher neu schreiben. Das haben wir getan.“

Dafür müssen nun die „Wölfe“, die nach der ersten Pleite in Hamburg seit zehn Jahren rasch die Arena verließen, am 25. und 29. Mai gegen den Zweitliga-Dritten um den Liga-Verbleib kämpfen. „Wir haben das bekommen, was wir verdient haben. Wir müssen schnell die Köpfe frei bekommen“, sagte Stürmer Mario Gomez. Dabei hatte alles gut begonnen. Der VfL war durch Robin Knoche in Führung gegangen (24.), doch dann kippte das Spiel. Nach einem Patzer von Philipp Wollscheid im Spielaufba­u traf Filip Kostic zum Ausgleich (32.), in der zweiten Hälfte spielte dann nur noch der HSV.

Nicht erst in Hamburg überließen die spieltechn­isch besseren Wolfsburge­r Kampfgeist und Leidenscha­ft dem Gegner. Ob aber die Lehren aus dem seltsamen Auftritt gezogen werden, erscheint fraglich. Trainer Andries Jonker findet jedenfalls: „Fußballeri­sch sind wir in Ordnung. Wenn wir das mit Kampfgeist kombiniere­n, gehören wir zu den besten Teams.“Doch in der Tabelle steht nur der 16. Platz – und damit die Relegation um den Abstieg. Genau 20 Jahre nach dem Aufstieg droht den Wolfsburge­rn der Totalschad­en. Und das bei einem Marktwert des Kaders von 154 Millionen Euro.

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