In Hamburg brechen alle Dämme
Der Hamburger SV bleibt unabsteigbar. Die Mannschaft schaffte durch ein Last-Minute-2:1 gegen den VfL Wolfsburg den Klassenverbleib. Den Wolfsburgern droht dagegen der Totalschaden.
HAMBURG (sid/dpa) Markus Gisdol war außer Rand und Band. Während Tausende Fans nach der Last-Minute-Rettung das Spielfeld fluteten, hüpfte der Trainer des Hamburger SV wie ein Flummi durch das Volksparkstadion, kugelte mit seinen Spielern über den Rasen und schrie seine Freude immer wieder lauthals heraus. Der HSV bleibt durch den 2:1 (1:1)-Erfolg im Abstiegs-Showdown gegen den VfL Wolfsburg erstklassig – und das ließ an der Elbe alle Dämme brechen.
„Mir geht’s wie den Spielern: Wir sind ausgepresst wie eine Zitrone“, sagte der Trainer. Und nun mussten all die Anspannung, all der Druck und all die aufgestauten Emotionen raus. Nach der Achterbahnfahrt mit glücklichem Ende weinten selbst gestandene Profis wie Kapitän Gotoku Sakai vor Glück. Fast wirkte es so, als sei der HSV gerade zum siebten Mal deutscher Meister geworden.
„Wir haben mit dem Team ein Wunder geschafft. Niemand hat mehr auf uns einen Pfifferling gesetzt. Für uns alle ist das der Höhepunkt unserer Karrieren“, jubelte Verteidiger Mergim Mavraj – und verabschiedete sich dann johlend in die Kabine. „Niemals 2. Liga“, schallte es durch die Katakomben des Stadions. Wenig später liefen die Profis mit Bierflaschen „bewaffnet“zurück in die Arena zur wilden Feier mit dem eigenen Anhang, wo sich die Fans längst ein Stück des Rasens gesichert hatten. Sogar die Torpfosten wurden „entführt“.
Umjubelter Held war Luca Waldschmidt, der erst kurz vor dem Abpfiff (88.) das Siegtor erzielt und damit dem Klub die dritte Relegation nach 2014 und 2015 erspart hatte. Es war ein Märchen. Erst 110 Sekunden zuvor eingewechselt, traf der Angreifer einen Tag nach seinem 21. Geburtstag. Es war zudem sein erster Treffer im 29. Bundesliga-Spiel.
„Unglaublich“, war daher auch das Wort, das Gisdol wenig später auf der Pressekonferenz immer wieder bemühte. „Nach dem zehnten Spieltag waren wir tot, erledigt, hatten nur zwei Punkte auf dem Konto. Das hat noch keiner geschafft“, sagte er. „Wir aber haben uns zusammengerauft und wollten die Geschichtsbücher neu schreiben. Das haben wir getan.“
Dafür müssen nun die „Wölfe“, die nach der ersten Pleite in Hamburg seit zehn Jahren rasch die Arena verließen, am 25. und 29. Mai gegen den Zweitliga-Dritten um den Liga-Verbleib kämpfen. „Wir haben das bekommen, was wir verdient haben. Wir müssen schnell die Köpfe frei bekommen“, sagte Stürmer Mario Gomez. Dabei hatte alles gut begonnen. Der VfL war durch Robin Knoche in Führung gegangen (24.), doch dann kippte das Spiel. Nach einem Patzer von Philipp Wollscheid im Spielaufbau traf Filip Kostic zum Ausgleich (32.), in der zweiten Hälfte spielte dann nur noch der HSV.
Nicht erst in Hamburg überließen die spieltechnisch besseren Wolfsburger Kampfgeist und Leidenschaft dem Gegner. Ob aber die Lehren aus dem seltsamen Auftritt gezogen werden, erscheint fraglich. Trainer Andries Jonker findet jedenfalls: „Fußballerisch sind wir in Ordnung. Wenn wir das mit Kampfgeist kombinieren, gehören wir zu den besten Teams.“Doch in der Tabelle steht nur der 16. Platz – und damit die Relegation um den Abstieg. Genau 20 Jahre nach dem Aufstieg droht den Wolfsburgern der Totalschaden. Und das bei einem Marktwert des Kaders von 154 Millionen Euro.