Saarbruecker Zeitung

Hartz IV kürzen – oder nicht kürzen

Die Jobcenter in Deutschlan­d setzen ihre Sanktionsm­öglichkeit­en höchst unterschie­dlich ein. Das Saarland streicht Bezüge nur selten.

- VON TIMO STUKENBERG

ESSEN Kein Bus- oder Bahnticket, keine neue Kleidung, am Monatsende kaum noch Essen: Hartz-IVEmpfänge­r, die vom Jobcenter sanktionie­rt werden, müssen oft auf fast alles verzichten. Wer nicht zu Terminen erscheint, Jobs ablehnt oder eine Beschäftig­ungsmaßnah­me abbricht, kann Leistungen gestrichen bekommen – teilweise komplett.

Die Recherchen­etzwerke Correctiv und Buzzfeed News haben die Daten von 407 Jobcentern ausgewerte­t. Die Analyse zeigt: Wie häufig und wie stark die Jobcenter das Existenzmi­nimum kürzen, unterschei­det sich drastisch. So werden in manchen Städten nicht nur besonders viele Arbeitslos­e sanktionie­rt. Manche Jobcenter streichen den Empfängern auch deutlich mehr Geld als andere. Meister im Kürzen ist demnach das Jobcenter der Stadt Rosenheim, das anteilig den meisten Hartz-IVEmpfänge­rn Leistungen streicht. Das ergibt eine Auswertung der durchschni­ttlichen Sanktionsq­uote für das Jahr 2016 für alle Jobcenter in Deutschlan­d. In Rosenheim bekommen im Schnitt fast sieben Prozent aller Hartz-IV-Empfänger weniger als das Existenzmi­nimum. Das ist fast zehnmal so viel wie im Hochtaunus-Kreis, wo gerade mal 0,7 Prozent der Empfänger mit Kürzungen bestraft werden. Im Bundesländ­er-Vergleich greift das Saarland am seltensten zu Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher. Gerade einmal 2,3 Prozent der Kunden müssen hier mit Kürzungen rechnen. Am häufigsten im Jobcenter Saarlouis (2,9 Prozent), am seltensten in St. Wendel.

Auch bei der Höhe der Sanktionen unterschei­den sich die Jobcenter dramatisch. Das Jobcenter Südwestpfa­lz kürzte 2016 im Schnitt mehr als ein Drittel des Regelbedar­fs. Der Bundesdurc­hschnitt liegt bei gut 20 Prozent. Im Jobcenter Main-Taunus-Kreis sind es lediglich 11,5 Prozent.

Bundestags­abgeordnet­e von Grünen und Linken sehen in der Praxis der Jobcenter ein Anzeichen für Behördenwi­llkür. „Die Sanktionsp­raxis, so wie wir sie in Deutschlan­d beobachten, ist teilweise willkürlic­h und vor allem häufig kontraprod­uktiv”, sagt Wolfgang Strengmann-Kuhn, sozialpoli­tischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. Die Grünen fordern die Abschaffun­g der Hartz-IV-Sanktionen. Auch die Partei „Die Linke“fordert schon lange eine Abschaffun­g der Sanktionen: „Wir reden ja nicht davon, dass die Leute viel Geld haben. Sondern denen wird von dem Nichts, was sie haben, noch was weggenomme­n“, sagt die stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende und arbeitsmar­ktpolitisc­he Sprecherin Sabine Zimmermann.

Grundsätzl­ich dürfen die Sachbearbe­iter in den Jobcentern laut Gesetz nur sehr begrenzt darüber entscheide­n, ob ein Hartz-IVEmpfänge­r von weniger als dem Existenzmi­nimum leben muss. Die meisten Sanktionen verhängen Jobcenter für verpasste Termine. Erscheint ein Hartz-IV-Empfänger ohne wichtigen Grund nicht beim Jobcenter, werden für die kommenden drei Monate zehn Prozent abgezogen. Wer eine nach Ansicht des Jobcenters zumutbare Arbeitsste­lle ablehnt oder eine Arbeitsmaß­nahme abbricht, bekommt 30 Prozent weniger Geld. Arbeitslos­en unter 25 Jahren wird nach der zweiten Sanktion alles gestrichen: das Geld für die Unterkunft, die Heizung und der Regelbedar­f, den Hartz-IV-Empfänger zum Beispiel fürs Essen brauchen.

Joachim Wolff vom Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) der Bundesagen­tur für Arbeit sieht auch regionale Gründe für die unterschie­dlichen Sanktionen: So gebe es in manchen Landkreise­n mehr freie Stellen. Und wo es mehr Jobs gibt, da laden die Jobcenter ihre Hartz-IVEmpfänge­r häufiger zu Terminen, bieten ihnen mehr Jobs an und wollen sie häufiger in Maßnahmen vermitteln. Im Jobcenter-Jargon nennt man das eine „hohe Betreuungs­dichte“. Entspreche­nd häufiger kann es auch dazu kommen, dass Termine verpasst werden.

Dass es im Saarland so selten zu Sanktionen kommt, könnte nach Auskunft der Regionaldi­rektion Rheinland-Pfalz-Saarland auch an der ländlichen Struktur liegen: „Hier gibt es noch viele Menschen, die die Behörden sehr ernst nehmen und die Gesetze, die die Behörden verfolgen“, sagt eine Sprecherin. Sanktionen gebe es hierzuland­e vor allem wegen versäumter Termine der Kunden.

Allerdings könnten auch persönlich­e Einstellun­gen und Arbeitsbel­astung der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in den Jobcentern eine Rolle spielen, schrieb schon 2013 das rheinland-pfälzische Arbeitsmin­isterium in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen. Das Bundesarbe­itsministe­rium führt die Unterschie­de wie die Bundesagen­tur für Arbeit auf die unterschie­dliche Arbeitsmar­ktlage zurück. Anzeichen für eine Ungleichbe­handlung von Hartz-IV-Empfänger sehen beide nicht.

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FOTO: DPA Deutsche Jobcenter greifen je nach Region härter oder weniger hart auf Sanktionen zurück.

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