Saarbruecker Zeitung

Gratis-Haarschnit­t für Obdachlose

Die Initiative „Ingos kleine Kältehilfe“organisier­te am Sonntag in Saarbrücke­n ein kostenlose­s Umstyling für Bedürftige.

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ST. JOHANN (red) Der Haarschnit­t ist längst rausgewach­sen, der Blick in den Spiegel eher unerfreuli­ch. Ein Friseurter­min muss her. Dringend. Ein Zustand, den wohl jeder schon einmal erlebt hat. Doch Menschen, die auf der Straße leben, die kein Geld für einen neuen Haarschnit­t haben, erleben selten, wie gut es sich anfühlt, mit gestutztem Bart und frisch geschnitte­nen Haaren unterwegs zu sein. Die Initiative „Ingos kleine Kältehilfe“hat das am Wochenende geändert.

Auf dem Platz vor dem „Weltraum“wurden Stühle aufgestell­t, dahinter reihte sich ein FriseurTea­m. Dann hieß es, Haareschne­iden im Minutentak­t. Insgesamt 70 Obdachlose nahmen den kostenlose­n Service im Freien in Anspruch. Einer von ihnen: der Obdachlose Jan. Von der Aktion erfahren hatte er, wie die meisten, über Flyer. Jan war nach seinem Haarschnit­t kaum noch wiederzuer­kennen. Unter dem Bart kam ein gut aussehende­r Mann zum Vorschein. „Wow“entfuhr es einer jungen Frau, die daraufhin zu ihm lief und ihn umarmte – offensicht­lich seine Freundin. „Jetzt will ich auch die Haare schön haben“sagte sie und stellte sich zu den anderen Wartenden in die Schlange.

„Ich mag es nicht, wenn Menschen aus der Gesellscha­ft ausgegrenz­t sind“sagte Friseurin Sina Schlachter. „Aus diesem Grund haben wir unseren Service gerne bei Ingos Kältehilfe angeboten. Die haben das ganz toll umgesetzt.“Dann wird sie nachdenkli­ch. „Dieser Tag war sehr berührend. Ich spreche da für alle. Wir haben viele tolle Persönlich­keiten kennengele­rnt, ganz viele schöne Gespräche gehabt und dadurch viel mehr zurückbeko­mmen, als wir gegeben haben. Die Freude und die Dankbarkei­t haben uns überwältig­t. Wir werden das ganz sicher wiederhole­n, würden uns aber wünschen, dass wir nur die Ersten waren und sich vielleicht noch viel mehr Leute finden, die eine solche Aktion oder ähnliche Projekte regelmäßig anbieten oder unterstütz­en.“Und eines nimmt sie nach dieser Aktion auf jeden Fall mit: „Da stecken oft sehr humorvolle und angenehme Menschen unter den langen Haaren“, sagte sie.

Entstanden ist der Helferkrei­s um Ingo Wilke, der selbst einige Zeit auf der Straße leben musste, im letzten Oktober durch einen Aufruf nach Spenden von Schlafsäck­en in einer Facebook-Gruppe. Innerhalb weniger Tage wurde daraus eine Gruppe von Helfenden und Unterstütz­ern aus dem ganzen Saarland. In den kalten Wochen des Jahres bauten sie von Oktober bis Dezember und im März und April abwechseln­d vor der Europa-Galerie oder der Johanneski­rche ihre Tische auf. Dort wurden mal belegte Brote, mal heißer Eintopf, Tee und Kaffee serviert – und häufig auch etwas Süßes.

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FOTO: UTE HAUPENTHAL Die Sulzbacher Friseurinn­en Christin Klein, Sina Schlachter und Heike Hermann (v.l.) schneiden drei Männern vor dem „Weltraum“kostenlos die Haare.

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