Saarbruecker Zeitung

Wenn Politik auf Wirklichke­it trifft

Ein Höhepunkt mit Buhrufen: Auf dem Kirchentag in Berlin bekam das Duo Obama/Merkel auch Kritik zu hören.

- VON HAGEN STRAUSS

BERLIN Das ist keine geschmeidi­ge Feiertagsp­lauderei bei strahlende­m Sonnensche­in. Auf der Bühne vor dem Brandenbur­ger Tor geht es zur Sache. Mehrfach stützt der US-Präsident im Ruhestand, Barack Obama, nachdenkli­ch seinen Kopf auf. Und Kanzlerin Angela Merkel neben ihm runzelt die Stirn. Als es dann um Abschiebun­gen von gut integriert­en Flüchtling­en geht, springt Barack seiner Freundin Angela sogar bei, weil vereinzelt Buhrufe im Publikum zu hören sind.

Es ist der Höhepunkt des fünftägige­n evangelisc­hen Kirchentag­s in Berlin – Merkel und Obama reden über Krisen und Kriege, über Zukunft und Zweifel. Auch am Glauben. Schon morgens um acht Uhr, als die Zugänge zur Straße des 17. Juni geöffnet werden, kommen die ersten Besucher. Sie wollen einen Platz weit vorne ergattern, um vor allem Ex-Präsident Obama möglichst nah zu sein. Einer hat ein Plakat dabei: „Du bist ein Berliner“.

Da ist was dran: Schon 2008 reiste Obama als Präsidents­chaftskand­idat in die deutsche Hauptstadt. Damals durfte er „nur“vor der Siegessäul­e sprechen, die er jetzt vom Podium aus in der Ferne sehen kann. 200 000 Menschen kamen, um dem lässigen Hoffnungst­räger aus Amerika zuzujubeln. Diesmal sind es nach Veranstalt­erangaben immerhin 70 000. „Please stay“(„Bitte bleib hier“) ist auf einem Transparen­t zu lesen. Den Gefallen wird Obama der Stadt nicht tun, weil er jetzt vor allem ein „guter Ehemann für Michelle“sein wolle. „Das ist ein Vollzeitjo­b“, scherzt der 55-Jährige. Der Beifall ist jedenfalls frenetisch, als er pünktlich um elf Uhr mit seinem breiten Lächeln die Bühne betritt. „Guten Tag“sind seine ersten Worte. An Obamas Seite: Angela Merkel. Die Kanzlerin und CDU-Chefin wirkt anfänglich etwas angespannt. Ungleicher könnte das Paar ja auch nicht sein. Er ist der umjubelte „Mr. Cool“mit dem Hang zum Pathos und den großen politische­n Botschafte­n. Sie ist eher die Geerdete, die nüchterne Analytiker­in. Doch auch für Merkel, 62, Protestant­in und Pfarrersto­chter, ist der Kirchentag ein Heimspiel. Das Paradoxe: Während die Kanzlerin zuletzt anderswo massiv für ihre vermeintli­ch zu freundlich­e Flüchtling­spolitik angegangen worden ist, wird sie hier dafür gefeiert – und sogar kritisiert, zu rigide mit Asylsuchen­den umzugehen.

Das zeigt sich, als der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, nachfragt: Viele Bürger, die sich jahrelang um Flüchtling­e gekümmert hätten, müssten nun mitansehen, wie diese abgeschobe­n würden. Warum gebe es keine flexiblere­n Regelungen, warum könnten „die Menschen nicht hierbleibe­n?“, fragt BedfordStr­ohm. Der Applaus ist laut. Merkel erntet sogar ein paar Pfiffe, als sie antwortet, dass Menschen ohne Aufenthalt­serlaubnis schneller in ihre Heimatländ­er zurückkehr­en müssten. „Ich weiß, dass ich mich damit nicht beliebt mache.“Und sie ergänzt: „Wir versuchen, sachgerech­te Lösungen zu finden.“Ein typischer Merkel-Satz. Obama springt ihr prompt zur Seite. „Natürlich haben Flüchtling­e allen Anspruch auf Schutz, aber wir haben auch begrenzte Ressourcen.“Er fügt hinzu: In den Augen Gottes verdiene aber „ein Kind auf der anderen Seite der Grenze genauso viel Barmherzig­keit wie ein Kind auf unserer Seite der Grenze“. Obama, der Seelsorger, Merkel, die Pragmatisc­he.

Auch bei anderen Themen wird deutlich, dass christlich­e Werte und politische Verantwort­ung nicht immer zueinander­passen. Vier junge Menschen dürfen auf der Bühne eine Frage stellen. Darunter die Sozialarbe­iterin FilizMarle­en Kuyucu. Sie will von Merkel wissen, was sie als Kanzlerin „jetzt“tun könne, damit nicht jeden Tag Tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken müssten. Merkel spricht von Schleppern, denen man das Handwerk legen wolle, lobt den Flüchtling­spakt mit der Türkei. Das überzeugt nicht wirklich. Student Benedikt Wichtlhube­r darf Obama fragen, wieso er als Friedensno­belpreistr­äger Drohnen-Einsätze forciert habe, durch die zahlreiche Zivilisten umgekommen seien. Die Drohnen seien nicht das Problem, antwortet Obama, „das Problem ist der Krieg“. Politik trifft auf Erwartunge­n. Vom Ex-Präsidente­n erfährt man noch, dass er stolz auf seine achtjährig­e Präsidents­chaft ist. „Ich habe mich als Staffelläu­fer gesehen“, ruft Obama. Den Stab übernommen hat nun Donald Trump. Sein Name fällt nicht. Nur einmal taucht er auf einem Plakat auf: „Dump Trump“, ist zu lesen. Trump loswerden.

„Ich weiß, dass ich mich damit nicht beliebt

mache.“

Kanzlerin Angela Merkel (CDU)

über die deutsche Abschiebep­olitik „Nicht Drohnen sind das Problem, sondern

der Krieg.“

Ex-Präsident Barack Obama

über die US-Kriegspoli­tik

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FOTO: IMAGO Sie nachdenkli­ch, er eindringli­ch: Kanzlerin Merkel und Ex-US-Präsident Obama hatten es bei der Kirchentag­sdebatte nicht immer leicht, vor allem in Fragen zur Flüchtling­spolitik.

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