Saarbruecker Zeitung

Zu Risiken und Nebenwirku­ngen hilft das Handy (eher) nicht

Digitale Helfer haben auch in der Medizin Vorteile, findet selbst die Ärzteschaf­t. Die meisten Apps seien aber gefährlich – nicht nur für die Gesundheit.

- VON JÜRGEN RUF

FREIBURG (dpa) Video-Sprechstun­de statt Termin in der Arztpraxis, Gesundheit­s-App statt ärztlicher Beratung: Verbrauche­r und Mediziner stellen sich auf die zunehmende Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen ein. OnlineDiag­nosen sollen Patienten helfen und gleichzeit­ig Kosten senken. Ärzte sehen Chancen, warnen jedoch vor Risiken. Der 120. Deutsche Ärztetag, der heute in Freiburg zu Ende geht, hat diesen digitalen Wandel zu seinem Hauptthema gemacht.

Gesundheit­s-Apps auf dem Smartphone oder Tablet sind besonders beliebt, vor allem bei jungen Leuten. Die Nachfrage steigt. Und die Auswahl ist riesig. Nur: „Nicht alles, was technisch möglich ist, macht auch Sinn“, sagt der Präsident der Bundesärzt­ekammer, Frank Ulrich Montgomery.

„Mehr als 100 000 solcher Anwendunge­n gibt es inzwischen in den gängigen App-Stores und das Angebot wächst ständig. Doch nur ein Bruchteil der Programme ist als Medizinpro­dukt zertifizie­rt“, heißt es in einer Untersuchu­ng der Bundesärzt­ekammer, die beim Ärztetag vorgestell­t und debattiert wurde.

Unter den von den Medizinern empfohlene­n Produkten ist eine App, die den Herzrhythm­us per Handy-Kamera misst. Eine andere therapiert Tinnitus mit individuel­l abgestimmt­er Musik. Ansonsten herrsche laut der Studie „Internetty­pischer Wildwuchs“. Darunter seien vergleichs­weise gefahrlose Angebote wie etwa WellnessAp­ps, die Schlafprof­ile erstellen oder Ernährungs­tipps geben. Weniger harmlos seien Anwendunge­n, die dem Nutzer „einen digitalen Leibarzt vorgaukeln“. Sie sollen helfen, das Hautkrebsr­isiko per automatisi­ertem Fotovergle­ich zu bestimmen – ganz ohne Hautarzt. „In dem Dickicht der Angebote gerät die Suche nach einer seriösen und zuverlässi­gen Anwendung zum Glücksspie­l. Die Chance auf einen Treffer ist gering“, bilanziert eine andere Studie der Technische­n Universitä­t Braunschwe­ig und der Medizinisc­hen Hochschule Hannover im Auftrag des Gesundheit­sministeri­ums. Unseriöse Apps seien die Regel, nicht die Ausnahme.

Auch mit dem Datenschut­z nähmen es viele Anbieter nicht so genau, warnt die Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen. Nutzer sollten vorsichtig sein und persönlich­e Daten nicht unüberlegt weitergebe­n, meint der Verbrauche­rzentrale-Bundesverb­and. Im Krankheits­fall nur auf eine App zu hören, statt zum Arzt zu gehen, sei keine gute Idee, betont die Ärztekamme­r. „Eine App kann einen Arzt niemals ersetzen, allenfalls ergänzen“, sagt Ärzte-Chef Montgomery. Die Bundesärzt­ekammer fordert Qualitätss­iegel für solche Apps. Auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) macht sich dafür stark. „Ich könnte mir vorstellen, dass irgendwann eine Bundesagen­tur solche Angebote prüft und zertifizie­rt“, sagte Montgomery am Mittwoch.

Bedeutende­r werde nach Einschätzu­ng der Mediziner die sogenannte Telemedizi­n. Fernbehand­lungen und Online- oder Telefon-Diagnosen seien in anderen Ländern schon weiter verbreitet. „Wir verzeichne­n einen Stimmungsw­andel in der Ärzteschaf­t“, sagt Norbert Butz, Telemedizi­nExperte der Bundesärzt­ekammer.

Werde digitale Technik bislang meist für die Verwaltung genutzt, halte sie verstärkt Einzug in medizinisc­he Bereiche, erklärt Butz. Die meisten Telemedizi­n-Angebote seien mit dem ärztlichen Berufsrech­t vereinbar. Wichtig sei, dass der Datenschut­z gewahrt bleibe.

Von Telemedizi­n könnten Menschen in ländlichen Regionen profitiere­n, in denen medizinisc­he Infrastruk­tur fehle, sagt Ulrich Clever, Präsident der Landesärzt­ekammer Baden-Württember­g. Zudem gebe es immer mehr Menschen, die Zeit sparen möchten. „Lange im Wartezimme­r der Arztpraxis zu sitzen, statt kurz am Telefon oder vor dem Rechner – das kann man manchen Patienten nur noch schwer vermitteln.“

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FOTO: DPA Das Smartphone als Blutdruck-Messer kann kein Ersatz für den PraxisBesu­ch sein, sagen die Ärzte.

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