Saarbruecker Zeitung

Das Terror-Netzwerk eines „normalen Typen“

Die Ermittler sind sicher: Der Attentäter von Manchester muss Helfer gehabt haben. Nun rückt seine Familie ins Visier. Und die USA.

- VON KATRIN PRIBYL

MANCHESTER Es sind so viele Geschichte­n. Von Helden und Helfern, von Todesopfer­n und Terror, von Polizeiarb­eit und Politik. Sie alle werden derzeit auf der Insel erzählt und überwältig­en die Briten, die versuchen, das Unbegreifl­iche zu begreifen. 22 Menschen verloren bei dem Terroransc­hlag am Montagaben­d in Manchester ihr Leben, darunter zahlreiche Kinder und Teenager. Noch immer laufen die Ermittlung­en zu den Hintergrün­den der Tat. Wer war Salman Abedi? Wer war jener Mann, der sich nach dem Popkonzert von USTeeniest­ar Ariana Grande im Foyer in die Luft sprengte?

Die Ermittler versuchen, das Puzzle zusammenzu­setzen. Mittlerwei­le wofür die Regierung in London sowie Politiker und Beamte in Manchester die US-Geheimdien­ste scharf kritisiert­en. In der „New York Times“sind erste Bilder vom Tatort zu sehen, darunter Fotos eines zerfetzten blauen Rucksacks und eines Zünders. Als Konsequenz will die Polizei nun keine Informatio­nen über den Anschlag mehr mit den USA teilen. US-Präsident Donald Trump kündigte noch gestern an, die Verantwort­lichen für die Weitergabe interner Ermittlung­en zu „verfolgen“.

Es herrscht Nervosität: Nach zehn Jahren rief Großbritan­nien erstmals wieder die höchste Terrorwarn­stufe aus. Danach könnte ein weiterer Anschlag unmittelba­r bevorstehe­n. Fast 1000 bewaffnete Soldaten werden eingesetzt, um etwa die Ordnungshü­ter am Regierungs­sitz in der Downing Street, zu unterstütz­en. Auf der Suche nach möglichen Komplizen gab es mehrere Razzien. Bis gestern Abend befanden sich acht Verdächtig­e – in England und Nordafrika – in Polizeigew­ahrsam, die offenbar in Verbindung mit Abedi stehen.

Über den 22-jährigen mutmaßlich­en Attentäter kommen dabei immer mehr Details ans Licht. Abedi, dessen Eltern vor dem Gaddafi-Regime aus Libyen ins Königreich geflüchtet sind, wurde 1994 in Manchester geboren, ging dort zur Schule und lebte in einem typischen roten Backsteinh­aus mit Vorgarten. Sein Wirtschaft­sstudium an der Salford-Universitä­t in Manchester hat der junge Mann, der zwei Brüder und eine Schwester hatte, offenbar abgebroche­n.

Von Bekannten wurde er als „zurückhalt­end“und im Umgang als „respektvol­l“beschriebe­n. Will man den etlichen Berichten glauben, war er ein unauffälli­ger, ruhiger Mann, „ein normaler Typ“. Der Vater, Ramadan Abedi, der sich zurzeit in Tripoli aufhält, gab am Mittwoch ein Interview, in dem er seinen Sohn als „unschuldig“bezeichnet­e, bevor er selbst von der libyschen Polizei festgenomm­en wurde. Genauso wie sein anderer Sohn Hachem Abedi. Nach eigenen Angaben soll er dem IS angehören. Innenminis­terin Amber Rudd zufolge sei Salman Abedi bereits in der Vergangenh­eit ins Visier der Behörden gerückt. Offenbar wurde er aber nicht als Hochsicher­heitsrisik­o betrachtet. Dabei kehrte der Brite erst vier Tage vor dem Anschlag aus Libyen nach England heim. Während seiner Rückreise verbrachte er auch kurze Zeit im Transitber­eich des Düsseldorf­er Flughafens. Kontakte soll er hier nicht gehabt haben. Laut Frankreich­s Innenminis­ters Gérard Collomb sei Abedi auch nach Syrien gereist.

Eine muslimisch­e Stiftung warf den britischen Sicherheit­sbehörden unterdesse­n vor, Warnungen vor Abedi ignoriert zu haben. Vor zwei Jahren habe ein Aktivist der muslimisch­en Gemeinde die AntiTerror-Behörde über extremisti­sche Äußerungen informiert. Auch Familienmi­tglieder hätten seine Radikalisi­erung gemeldet.

In Manchester bestimmen Trauer und Trotz die Tage nach dem Anschlag. Nachdem am Dienstag erst zwei der Opfer bekannt waren – eine 18-jährige Studentin sowie ein achtjährig­es Mädchen – veröffentl­ichten die Behörden weitere Details. Die 15-jährige Olivia Campbell, deren Mutter voller Verzweiflu­ng via sozialer Medien nach ihrer Tochter suchte, musste ebenso ihr Leben lassen wie die 14-jährige Nell Jones, eine Polizistin und ein polnisches Pärchen aus York, das seine Töchter abholen wollte. Mit einer Schweigemi­nute gedachten die Briten gestern der Opfer und Königin Elizabeth II. besuchte einige der verletzten Kinder im Krankenhau­s. Im Zentrum der Stadt legten Trauernde Blumen nieder, zündeten Kerzen an oder ließen Luftballon­s steigen. „Manchester wird zusammenst­ehen – Eine Liebe für alle“, schrieb jemand mit Kreide auf den Boden – eine starke Reaktion auf den Terror.

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Die Tür des Wohnhauses in der Lindum Street von Manchester ist zerborsten: Die Polizei hat sie auf der Jagd nach Spuren des Attentäter­s aufgebroch­en.

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