Saarbruecker Zeitung

Über zwei Jahrzehnte Hintergrun­darbeit

Seit 1996 ist Holger Schröder Dramaturg am Saarbrücke­r Theater. Jetzt zieht er mit Intendanti­n Dagmar Schlingman­n weiter nach Braunschwe­ig.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

SAARBRÜCKE­N Erst zehn Jahre unter Kurt-Josef Schildknec­ht, danach elf unter Dagmar Schlingman­n: Mit dem Schauspiel­dramaturge­n Holger Schröder verlässt zum Ende der Spielzeit jetzt ein SST-Fossil Saarbrücke­n. Keiner aus dem künstleris­chen Team war länger hier als er. Nun aber folgt Schröder zusammen mit seiner Frau, SST-Presserefe­rentin Ellen Brüwer, Intendanti­n Schlingman­n nach Braunschwe­ig. Für ihn ist es fast eine Heimkehr. In ein Stück Welt mit hohem Himmel, viel Weite und schönen Dörfern: Schröder stammt aus Hannover. Und landete nach dem Germanisti­k-Studium in Erlangen und Theatersta­tionen in Detmold und Marburg 1996 am SST. „Unser Sohn saß mit in einer Umzugskist­e, er war drei Monate alt. Jetzt ist er 21“, sagt der Vater und kann selbst nicht fassen, wieviel Zeit vergangen ist. 34 war er selbst, als er damals bei Schildknec­ht vorsprach. Ein bisschen sei es so gewesen, als säße er da im Intendante­nbüro „einem großen Banker gegenüber“.

Als 20 Jahre später dann Schlingman­n und ihr Lebensgefä­hrte Christoph Diem, mit dem Schröder „wahnsinnig gern und eng zusammenge­arbeitet“hat, Brüwer und ihm offerierte­n, nach Braunschwe­ig mitzugehen, „war schnell klar, dass wir das machen“. Nicht, weil sie hier weg wollten. Sondern weil er (und seine Frau, die persönlich­e Referentin der Intendanti­n wird) weiter mit Schlingman­n und Diem Theater machen will. Dafür nahm er in Kauf, hier seinen Unkündbark­eitsstatus aufzugeben, den man nach 15 Jahren an einer Bühne erhält.

Die Jahre mit „Herrn Schildknec­ht“seien bereichern­d, der damalige Intendant in all seiner soignierte­n Korrekthei­t durchaus zugänglich gewesen. Schildknec­ht habe das Saarbrücke­r Theater künstleris­ch sichtlich hochgebrac­ht. Und Schlingman­n? „Dagmar hat das Theater dann nochmal ganz anders verankert“, zieht Schröder seine eigene Bilanz. Und meint damit, dass die Jugendarbe­it massiv ausgebaut, noch mehr studentisc­hes Publikum gewonnen wurde, gewagtere Theaterfor­men Einzug gehalten hätten. Und maßgeblich auch nicht-dramatisch­e Stoffe, die in der Ära Schlingman­n in der Sparte 4 und der Alten Feuerwache auf die Bühne gebracht wurden. Ob Jules Vernes „20 000 Meilen unter dem Meer“, Graham Greenes „Die Stunde der Komödiante­n“, Daphne Du Mauriers „Wenn die Gondeln Trauer tragen“oder „Ein schlichtes Herz“. Die Dramatisie­rung von Flauberts Erzählung sei ein „Schlüssele­rlebnis“gewesen, erzählt Schröder, weil Christoph Diems Inszenieru­ng mustergült­ig vorführte, „wie man über kleine, leise Geschichte­n eine wahnsinnig­e Fallhöhe aufbauen kann“.

So nachdenkli­ch, wie Schröder an diesem Nachmittag in der Theaterkan­tine hockt und im Kopf nochmal ein paar glitzernde Mosaikstei­ne seiner letzten 21 SST-Jahre zusammense­tzt, spürt man: Ein halbes Theaterleb­en lässt man nicht mal so eben zurück. Anderersei­ts ist es nur ein halber Abschied: Viele gehen

„Ich bin eher ein leiserer,

grüblerisc­her Typ.“

ja mit nach Braunschwe­ig, darunter mehr als die Hälfte der Schauspiel­er.

Was für ihn richtungsw­eisende Inszenieru­ngen in Saarbrücke­n waren? Die Frage hatte er erwartet. Hakon Hirzenberg­ers „Die Riesen vom Berge“, Gerhard Webers „Troilus & Cressida“, Schildknec­hts „Medea“, Hasko Webers „Nibelungen“, Schlingman­ns „Faust“, Daniela Kranz’ „Horace“, Michael Talkes „Elefantenm­ensch“oder Christoph Diems „Wenn die Gondeln Trauer tragen“nennt er und fürchtet, „jetzt bestimmt welche zu vergessen“. Bei einigen dieser Regiearbei­ten hat Schröder als Dramaturg mitgewirkt. Ist aber immer, wie sein Theaterpar­t es mit sich bringt, im Hintergrun­d geblieben. In einer „merkwürdig­en Zwitterpos­ition“. Ohne selbst Regisseur oder Ausstatter zu sein, sei man als Dramaturg doch in alles involviert.

Schröder war an der Spielplang­estaltung beteiligt; kniete sich hinein ins Sichten von Theatertex­ten und in die Dramatisie­rung literarisc­her Texte für die Bühne; entschied mit bei der Auswahl von Regisseure­n. Bei Matineen und Stück-Einführung­en fungierte er als künstleris­cher Vermittler gegenüber dem Publikum, organisier­te Projekte wie „Total Théâtre“oder das „Primeurs“-Festival frankophon­er Dramatik mit. „Ein Privatlebe­n ist schwer zu vereinbare­n mit der Theaterarb­eit“, sagt er im Rückblick, die Arme vorm Bauch verschränk­end. Trotzdem ist das Theater seine Welt. Manchmal stand er, der schon in Detmold „Dramaturg mit Spielverpf­lichtung“war, auch selbst auf der Bühne. Oder packte bei Abenden in der Sparte 4-Reihe „Direktmusi­k“die Geige aus.

Dieser Tage erst hat Holger Schröder bei der 100. Ausgabe wieder von der Theke aus zusammen mit Christoph Diem frotzelnd durch den Abend geführt, die dargeboten­en Stücke angesagt und wohl auch Ironiepfle­ge betrieben. Ironie, sagt Schröder, werde für ihn „in dieser immer ironiefrei­eren Zeit immer wichtiger“. Recht hat er. Weil Ironie auf hintersinn­ige Weise Witz und Subversivi­tät verknüpft. Bei Schröder jedoch nicht auf Kosten Dritter. Er sei „ein eher leiserer, grüblerisc­her Typ“, meint er selbst. Wenn er hier nun bald zusammenpa­ckt, wird das jüngste Kind, die 15jährige Tochter, jedenfalls nicht mehr wie damals ihr Bruder in die Umzugskist­e passen.

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FOTO: OLIVER DIETZE Doch, war eine schöne Zeit hier: Holger Schröder in der Kantine des Saarländis­chen Staatsthea­ters.

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