Saarbruecker Zeitung

Ballast für den Moralapost­el im Élysée

ANALYSE Richard Ferrand war einer der ersten Unterstütz­er Emmanuel Macrons. Jetzt belastet er als Minister seinen Präsidente­n durch fragwürdig­e Geschäfte.

- VON CHRISTINE LONGIN

PARIS. Wenn der Wahlsieg von Emmanuel Macron ein Gesicht hat, dann ist es das von Richard Ferrand. Der kräftige 54-Jährige mit der randlosen Brille war der erste Abgeordnet­e überhaupt, der sich schon 2015 dem früheren Wirtschaft­sminister anschloss. Unermüdlic­h trat der Bretone im Wahlkampf für den Kandidaten auf, dessen Bewegung En Marche er als Generalsek­retär leitete. Macron belohnte seinen treuen Weggefährt­en dafür mit dem Ministeriu­m für Wohnungsba­u. Doch Ferrand erweist sich für den Präsidente­n als Ballast, denn der mit einem Jura- und einem DeutschDip­lom ausgestatt­ete Kommunikat­ionsberate­r wird der Günstlings­wirtschaft verdächtig­t.

Die Ereignisse liegen sechs Jahre zurück, als Ferrand die ZusatzKran­kenversich­erungen in der Bretagne leitete. Die mieteten damals in der Stadt Brest Räume von seiner Lebensgefä­hrtin an, die extra dafür eine Immobilien­agentur gründete. Dadurch konnte die Anwältin einen günstigen Kredit aufnehmen und das Lokal mit dem Geld der Krankenver­sicherung renovieren lassen, so dass es deutlich an Wert gewann.

Die Wochenzeit­ung „Canard Enchaîné“, die auch die Scheinbesc­häftigungs­affäre um den konservati­ven Präsidents­chaftskand­idaten François Fillon ans Licht gebracht hat, enthüllte das diese Woche. Außerdem berichtete das Blatt, dass der Abgeordnet­e seinen Sohn mehrere Monate als Parlaments­assistente­n beschäftig­te. Genau das machte auch Fillon jahrelang mit seiner Frau und zweien seiner Kinder. Während Fillons Familie dadurch rund 800 000 Euro verdiente, bekam Ferrands Sohn „nur“8700 Euro. „Wenn ich noch einmal entscheide­n könnte, würde ich es nicht wieder tun“, bekannte Ferrand nun. Rein rechtlich ist dem langjährig­en Sozialiste­n, der nach Macrons Sieg sein Parteibuch zurückgab, nichts vorzuwerfe­n. Die Entscheidu­ng, mit seiner Lebensgefä­hrtin zusammenzu­arbeiten, traf der Verwaltung­srat der Krankenver­sicherunge­n und nicht Ferrand selbst. Auch die Beschäftig­ung eines Familienan­gehörigen ist nicht verboten. Doch Macron war nach dem Fillon-Skandal als Moralwächt­er mit dem Vorsatz angetreten, die ethischen Standards in der Politik mit einem eigenen Gesetz zu verbessern, das beispielsw­eise die Anstellung von Familienmi­tgliedern verbietet. Die Bekanntgab­e der neuen Regierung verschob der Präsident um 24 Stunden, um alle seine Ministerka­ndidaten auf Interessen­konflikte zu überprüfen.

Die konservati­ven Republikan­er drohten bereits mit der Anrufung der Finanz-Staatsanwa­ltschaft, die sich auch mit der Affäre Fillon befasst. Die Juristen dürften allerdings keine Ermittlung­en einleiten, da bei Ferrand keine öffentlich­en, sondern private Gelder im Spiel waren. „Auch wenn es keine strafrecht­liche Verantwort­ung gibt, so trägt er doch eine politische Verantwort­ung“, kritisiert­e Jean-Christophe Picard von der Anti-Korruption­sorganisat­ion Anticor das Verhalten des Abgeordnet­en. Der setzte in den vergangene­n Tagen unbeirrt seinen Parlaments­wahlkampf fort. „Ich habe ein ruhiges Gewissen und den starken Widerstand­sgeist aller Bretonen“, sagte er in einem Zeitungsin­terview.

Doch auch wenn Ferrand sich rechtlich nichts hat zuschulden kommen lassen, so doch moralisch. Und deshalb sollte er zurücktret­en. Denn wer eine neue Ethik in der französich­en Politik fordert, sollte am besten bei sich selbst damit anfangen. Wenn der neue Präsident Macron jetzt nicht reagiert, verliert er seine Glaubwürdi­gkeit. Die braucht er aber dringend, wenn er das Land wirklich erneuern will.

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