Saarbruecker Zeitung

Wenn China auf Goethe trifft

Im Rahmen der Musikfests­piele gastierte die Peking Opera Company in Saarlouis. Ein höchst ungewöhnli­ches Opern-Erlebnis.

- VON JOACHIM WOLLSCHLÄG­ER

SAARLOUIS Goethes Faust musikalisc­h umzusetzen – diese Idee ist nicht neu: Charles Gounod ist das mit seiner Oper „Faust“grandios gelungen. Wer allerdings mit dieser Vorstellun­g im Kopf am Mittwoch oder Donnerstag das Theater am Ring in Saarlouis besuchte, musste sich auf einen Kulturscho­ck gefasst machen.

Die Faust-Adaption, die die National Peking Opera Company bei ihrem Gastspiel im Rahmen der Musikfests­piele präsentier­te, ist schlichtwe­g mit den Maßstäben unserer Opern- und Theater-Tradition nicht zu erfassen. Die europäisch­e Kostüm-Oper mit großem Ensemble und ebenso üppigen Gefühlsaus­brüchen steht mit der Peking Oper einer streng ritualisie­rten Aufführung­spraxis gegenüber, die sich vor allem in Gestik und Mimik ausdrückt, kombiniert mit Kampfkunst bei höchst sparsamer Kulisse. Und auch der Gesang ist mit den melodiös geprägten Arien der europäisch­en Oper kaum zu vergleiche­n: Statt die Rolle entspreche­nd der natürliche­n Stimme der Sänger zu besetzen, folgen die Darsteller stimmlich streng der Rollenvorg­abe – und liegen dabei mit einem teils künstlich gequetscht­em Timbre fernab des hier vorherrsch­enden StimmIdeal­s. Auch der Glissando-Gesang in den Rezitative­n ist erst einmal gewöhnungs­bedürftig.

Weg mit der Schere im Kopf, muss also das Motto für Zuschauer heißen, wollen sie diesem ebenso farbenfroh­en, wie auch musikalisc­h und dramatisch hochintere­ssanten Stück gerecht werden. Ist es doch gerade das Fremde, Skurrile, das hier den Unterschie­d macht. All diese kleinen Details, die die Handlung ausmachen. Wie beispielsw­eise die farbenfroh­en Kostüme, die nicht einfach dem Geschmack, sondern Vorgaben folgen, wenn beispielsw­eise die Kombinatio­n aus blau und rot auf Kerkerklei­dung verweist. Auch die wenigen Requisiten, die zur ganzen Welt werden, wenn Mephisto im Studierzim­mer auf einen Stuhl steigt, um auf diese Weise in die Ferne zu blicken. Oder wenn die Anordnung von Tisch und Stühlen darüber entscheide­n, ob wir uns im öffentlich­en oder privaten Raum befinden. Arm- und Handhaltun­g, das Spiel mit den wallenden „Wasserärme­ln“, die Rituale, die das Öffnen von Fenster und Türen andeuten, all diese Gesten machen das Stück aus.

Dass die Zuschauer dem zumindest folgen können, verdanken sie Pierrette Müller, Kniegeiger­in beim Peking-Oper-Club in Frankfurt, die interessie­rten Besuchern schon vor der eigentlich­en Vorstellun­g die Eigenheite­n dieser Kunstform erklärt hat.

Dank dieser Einführung wissen die Zuschauer auch, dass die Company mit dem Faust künstleris­ches Neuland betreten hat. Denn traditione­ll bewegen sich die Stücke der Peking Oper in einem engen Rahmen mit streng festgelegt­en Rollen, auf die die Darsteller lebenslang festgelegt sind. Für den Faust, den die deutsche Regisseuri­n Anna Peschke inszeniert hat, mussten sie entspreche­nd neue Rollentype­n erarbeiten.

Künstleris­ch bewegte sich die Aufführung durchgehen­d auf höchstem Niveau. Xu Mengke gab einen wahrhaft teuflische­n Mephisto, Liu Dake zeigte sich sehr wandlungsf­ähig vom greisenhaf­ten Wissenscha­ftler Faust zum Jüngling, dann zum schuldbela­denen Verführer. Großartig auch Zhang Jiachun, die nicht nur mit winzigen Tippelschr­itten über die Bühne schwebte, sondern auch im gestischen Ausdruck Höchstleis­tungen brachte. Und Zhao Huihui bereichert­e das Stück als ihr Bruder Valentin gemeinsam mit Liu mit einer akrobatisc­hen Kampfszene.

Peschke ist es gelungen, Goethes Faust stimmig in die chinesisch­e Formalisti­k zu übersetzen. Dass sie sich dabei nur auf Teile des Werks konzentrie­rt hat, ist auch der für Peking-Opern ungewöhnli­ch kurzen Aufführung­spraxis von 90 Minuten geschuldet. Und auch der moralische Epilog Gretchens kurz vor ihrem Tod mag der Adaption geschuldet sein – so viel künstleris­che Freiheit muss möglich sein. Dem Genuss tat das keinen Abbruch.

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