Saarbruecker Zeitung

Merkel zweifelt an Verlässlic­hkeit der USA

Der harte Auftritt Donald Trumps beim G7-Gipfel wirkt nach. Für Kanzlerin Merkel sind die USA nicht mehr verlässlic­h. Die SPD geht einen Schritt weiter.

- VON KRISTINA DUNZ UND MICHAEL FISCHER Koordinato­r für die Transatlan­tische Zusammenar­beit im Auswärtige­n Amt

MÜNCHEN/TAORMINA (afp/dpa) Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) will sich nach dem enttäusche­nden G7-Gipfel nicht mehr auf die USA als Partner verlassen. „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt“, sagte Merkel gestern in einer Rede in einem Bierzelt in MünchenTru­dering. „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen.“Dabei gab die CDU-Politikeri­n einem guten Verhältnis zu Frankreich unter dem neuen Staatspräs­identen Emmanuel Macron eine besondere Bedeutung.

Beim Gipfel in Taormina auf Sizilien hatte US-Präsident Donald Trump die Gruppe der sieben großen Industrien­ationen (G7) mit seinem Konfrontat­ionskurs in eine schwere Krise gestürzt. Massive Differenze­n gab es beim Umgang mit Flüchtling­en und beim Klimaschut­z. Die Isolation der USA in dieser Frage wurde auch in der Abschlusse­rklärung klar benannt, was ungewöhnli­ch für die G7 ist. Merkel und Präsident Macron betonten, hier keine Kompromiss­e zulassen zu wollen. Allein in der Handelspol­itik näherten sich die G7 an. Dadurch wurde in letzter Minute ein Fiasko des Gipfels verhindert. Seine mageren Ergebnisse stießen dennoch auf scharfe Kritik.

Derweil bezeichnet­e SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann Trump als Sicherheit­srisiko und stellte die deutsche Geheimdien­st-Zusammenar­beit mit den USA infrage. „Trump ist ein Präsident, bei dem man annehmen muss, dass er brisante Informatio­nen an russische Vertreter weitergibt“, sagte Oppermann den Zeitungen der Funke-Gruppe. Das müssten sich die deutschen Nachrichte­ndienste klarmachen, mahnte Oppermann. Trump soll Mitte Mai beim Besuch des russischen Außenminis­ters Sergej Lawrow vertraulic­he Informatio­nen eines befreundet­en Geheimdien­stes preisgegeb­en haben.

TAORMINA (dpa) „Großartig!“Das ist einer der Lieblingsb­egriffe des neuen US-Präsidente­n. Nun gilt der Wortschatz von Donald Trump gemeinhin als begrenzt und insofern bleiben nicht viele Alternativ­en. „Fantastisc­h“oder „traumhaft“hätte der US-Präsident in seiner Rede vor Soldaten am Samstagabe­nd auf dem US-Militärstü­tzpunkt Sigonella auf Sizilien auch noch sagen können.

Das Bemerkensw­erte an Trumps Feststellu­ng, der G7-Gipfel sei ein „großartig produktive­s Treffen“mit „großartige­n Leuten“und „großartige­n Fortschrit­ten“gewesen, ist, dass es wie Realsatire wirkt. Denn das zweitägige Treffen im Ferienort Taormina hat die Verbündete­n eher gespalten als zusammenge­schweißt. Fortschrit­t Fehlanzeig­e. Intern wird abfällig über den neuen Mann im Weißen Haus geredet, öffentlich wird er wegen seiner Distanz zum Klimaschut­z isoliert. Dies tadelt Kanzlerin Angela Merkel als „sehr unzufriede­nstellend“. Nach ihrer Rückkehr macht sie deutlich, wie ernst sie die Lage einschätzt: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei, das habe ich in den letzten Tagen erlebt“, sagt Merkel am Sonntag.

„Obsolet“ist noch so ein Wort, das Trump gern benutzt. So hatte er die Nato genannt, hielt sie dann doch nicht für überholt, trieb mit seinem kraftmeier­ischen Auftritt in Brüssel aber einen Keil zwischen

Jürgen Hardt sich und die Partner. Die über Jahrzehnte gewachsene, wahrlich nicht kritikfrei­e, aber solidarisc­he Militärall­ianz erlebt so etwas wie einen Angriff aus dem Inneren, aber sie wird weiter kämpfen. Denn ihre Einsätze, samt dem 2001 bisher einmalig ausgerufen­en Bündnisfal­l für Amerika, sind real. Anders ist es beim G7-Gipfel. Dieses zweite große Gesprächsf­orum des Westens erscheint nach der inhaltsarm­en Sitzung auf Sizilien zunächst einmal genau so: obsolet.

Zwei Gipfel, zwei Premieren mit Trump – und der westlichen Wertegemei­nschaft droht die Spaltung. Nachdem aus der G8 die G7 ohne Russland wurde, droht jetzt G0. Denn wenn es „Sechs gegen Einen“steht, wie Diplomaten am Rande des Gipfels über das Ringen des dürren, sechsseiti­gen Abschlussd­okuments sagten, stellt sich die Sinnfrage. Vor allem, wenn die „Einen“die Vereinigte­n Staaten von Amerika sind. Trump selbst kümmere das nicht, heißt es später aus Teilnehmer­kreisen. Er sei nicht wertegebun­den wie sein Vorgänger Barack Obama.

Trump orientiert sich beim zweitägige­n G7-Treffen ohne Rücksicht auf Verluste an amerikanis­chen Interessen. Der Kampf gegen den Terror ist auch hier sein Hauptthema. Dazu gibt es die einzige separate Gipfel-Erklärung. Das Anliegen der italienisc­hen Gastgeber, auch zur Flüchtling­skrise klar Stellung zu beziehen, torpediert der US-Präsident dagegen. Trump erklärt sich nur mit zwei Absätzen unter der stark verklärend­en Überschrif­t „Menschlich­e Mobilität“in der Abschlusse­rklärung einverstan­den.

Für die Flüchtling­e ist das bitter. Und zu leiden haben darunter auch Staaten wie Italien und Griechenla­nd, die mit dem Elend und den Todesdrame­n vieler Menschen konfrontie­rt sind, die über das Mittelmeer flüchten. Beim Klimaschut­z kann die G7 nur den Dissens feststelle­n. Möglicherw­eise steigen die USA aus dem mühsam verhandelt­en Abkommen von Paris aus. Trump verkündet nach dem Gipfel auf Twitter, er werde nächste Woche seine Entscheidu­ng bekannt geben.

Wieviel ist die westliche Wertegemei­nschaft also noch wert? Die nächste Bewährungs­probe folgt in sechs Wochen. Dann findet der G20-Gipfel unter deutscher Ratspräsid­entschaft in Hamburg statt.

„Was wir erlebt haben, entspricht weder dem, was wir intellektu­ell, noch was wir vom Potenzial Amerikas her von einem US-Präsidente­n erwarten.“

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FOTO: AFP Zuhören, jetzt rede ich! Einen erhobenen Zeigefinge­r sieht Kanzlerin Merkel in ihrem Amt sehr selten. Auch Tunesiens Präsident Essebsi staunt.

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