Saarbruecker Zeitung

Wie ein Saarländer unterm „Schwulenpa­ragraphen“litt

Die Liebe zu einem Mann wurde Gottfried Lorenz in den 60er Jahren in Saarbrücke­n fast zum Verhängnis. Der Wissenscha­ftler arbeitete jetzt an dem Gesetz mit, das Schwule rehabiliti­eren soll.

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

„Damals spielte

ich mit Selbstmord­gedanken.“

Gottfried Lorenz

Autor

Seine Lust – sie hätte den Historiker und Autor Gottfried Lorenz fast ums Leben gebracht. Nach diesem Abend im Jahre 1965, als er mit einem anderen Mann im Wald am Saarbrücke­r Rotenbühl stand. Sich ihm im Schutze der Dunkelheit näherte, um Liebe zu machen.

Doch der Fremde führte ganz anderes mit dem 25-jährigen Studenten Lorenz ihm Schilde. Trieb ihn in die Enge. Hinterhält­ig wollte der Räuber an Geld gelangen. Drohte damit, auszupacke­n, die intimsten Geheimniss­e an die Öffentlich­keit zu bringen. Es sei denn, das Opfer war gewillt, auf die Forderung einzugehen: dem Gangster die Geldbörse aushändige­n, mit allen Papieren.

Der junge Mann von damals hatte seinen Peiniger kurz zuvor am Hauptbahnh­of kennen gelernt. Eine flüchtige Bekanntsch­aft, bei der es im Normalfall wohl auch geblieben wäre. Denn: „Dort war eine Klappe“, erklärt er. „Das ist eine öffentlich­e Toilette, die gleichgesc­hlechtlich begehrende­n Männern als Treffpunkt, Anbahnungs­ort und gegebenenf­alls auch als Ort sexueller Handlungen und Kontakte diente“, definiert er politisch korrekt einen Begriff aus dem Szene-Jargon. „Eine übliche Form, sich für anonymen Sex zu verabreden, die ich nicht liebte.“Doch in den 60er Jahren seien Treffen an solchen Orten gang und gäbe gewesen, weil offiziell verboten. Ein heimliches Spiel. Der Staat drängte Schwule in die Anonymität.

In dem kleinen Waldstück angekommen, geriet Lorenz mächtig unter Druck. Vordergrün­dig waren es beileibe nicht die materielle­n Werte, deren Verlust ihm Sorgen bereiteten. Viel gravierend­er: Er fürchtete all die negativen Konsequenz­en, die ihn erwarten, sollte sein bis dahin gut gehütetes Geheimnis ans Tageslicht gelangen: sein Schwulsein.

Gottfried Lorenz war bewusst: Viele Homosexuel­le waren seinerzeit wegen ihrer Sexualität von Staats wegen Repression­en ausgesetzt, wurden sogar weggesperr­t. Weil in der Bundesrepu­blik nicht geduldet wurde, was Schwule wie Heterosexu­elle tun: sich lieben und begehren.

In dieser beklemmend­en Situation zeigte sich der junge Lorenz aber alles andere als hilflos, wusste sich sehr wohl zu wehren – war er bis dahin überzeugt. Statt im Verborgene­n dem Übeltäter klammheiml­ich nachzugebe­n, quasi Schweigege­ld zu löhnen, schrie der Attackiert­e los. Passanten wurden auf das Verbrechen aufmerksam, das sich dort soeben abspielte. Umgehend alarmierte­n sie die Polizei.

Doch damit begann genau das, wovor Lorenz am meisten Angst hatte: Der Spieß wurde umgedreht. Plötzlich stand der Erpresste im Visier der Fahnder, wurde das Opfer zum Tatverdäch­tigen. Einziger Grund: seine Homosexual­ität. Das machte ihn zu einer anrüchigen Gestalt. Zu einem potenziell­en Gesetzesbr­echer. Denn Schwulsein wurde strafrecht­lich geahndet. Gleichgesc­hlechtlich­er Sex unter Männern war verboten. Bis in die 90er Jahre hinein. So lange behielt der in seiner Urfassung aus der Kaiserzeit stammende Paragraf 175 im Strafgeset­zbuch seine Gültigkeit.

Anders als viele leidgeprüf­te Gleichgesi­nnte hatte Lorenz Glück: Das Verfahren gegen ihn wurde eingestell­t. Es dauerte nur wenige Wochen, bis ihn die Mitteilung des Amtes erreichte. Doch diese Zeit der Ungewisshe­it zog sich für den Studenten wie eine Ewigkeit hin. „Damals spielte ich mit Selbstmord­gedanken“, sagt Lorenz. Doch eine gute Freundin, die um seine Männerlieb­e wusste, stand zu ihm, gab den nötigen Rückhalt.

Von jetzt auf gleich hätte es schon zu Beginn das berufliche Ende für den heute 77-Jährigen bedeuten können. Wie es so vielen schwulen Männern erging. Nichts wäre es gewesen mit dem angestrebt­en Beruf. Nichts mit dem Doktortite­l in Neuerer Geschichte. Ein jähes Karriereen­de mit 25 Jahren. „Alles wäre flöten gegangen“, ist Lorenz überzeugt. Durch eine gesellscha­ftliche Ächtung. Ob verurteilt oder nicht, spielte da keine Rolle. Und das alles nur, weil er Männer liebt.

Tausende Schwule sollen nun rehabiliti­ert werden. Der pensionier­te Studiendir­ektor Lorenz, der als Autor mit zahlreiche­n Publikatio­nen zur Geschichte der Homosexuel­len in Deutschlan­d als Fachmann gilt, arbeitete an dem entspreche­nden Gesetzentw­urf mit. Danach werden Männer, die in der Bundesrepu­blik auf Grund ihrer Homosexual­ität verurteilt wurden, als Opfer anerkannt. Darüber hinaus ist eine finanziell­e Entschädig­ung vorgesehen. Jeder in der Bundesrepu­blik verurteilt­e Homosexuel­le soll 3000 Euro pro Urteil plus 1500 Euro je angefangen­es Haftjahr als Entschädig­ung erhalten. Damit würde die Regierung erstmals höchstrich­terliche Entscheidu­ngen der Bundesrepu­blik als Unrecht anerkennen.

Viele betroffene Homosexuel­le in Deutschlan­d sind mittlerwei­le greise Herren und leiden bis heute unter den Folgen der Gerichtsve­rfahren und Urteile. Konnten nicht in ihrem Wunschberu­f arbeiten, sind teils auf staatliche Stütze angewiesen. Abgesehen von den seelischen Folgen.

Noch hat der Bundestag das Gesetz nicht endgültig beschlosse­n, das Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) Ende 2016 vorgelegt hatte. „Es ist ein gutes Gesetz, aber ich befürchte, dass es vor der Bundestags­wahl im September nicht mehr in Kraft tritt“, prophezeit der heute bei Hamburg lebende Geschichts­wissenscha­ftler.

Lorenz, der seine Studentenb­ude in Dudweiler hatte, kannte seinerzeit weitere „öffentlich­e Bedürfnisa­nstalten“, die als Schwulentr­effs galten, unter anderem in Saarbrücke­n am St. Johanner Markt und gegenüber der Bergbaudir­ektion, wo er, ohne Aufsehen zu erregen, andere Männer traf. Dabei wurden so gut wie nie Adressen ausgetausc­ht, bekundet er. Denn solche Plätze seien auch Denunziant­en bekannt gewesen, die Homos, wie sie abschätzig genannt wurden, ans Messer liefern wollten. Das machte die schwule Szene vorsichtig, ließ auch untereinan­der Skepsis walten.

So wie an jenem schicksals­trächtigen Tag im Jahre 1965, als er „für einvernehm­lichen Sex“unter freiem Himmel, wie Lorenz es nennt, mit dem Erpresser in den besagten Forst wechselte. „Dazu ist es aber nicht gekommen“, versichert er. Denn der Fremde habe ihn umgehend bedroht. Bares abdrücken zu müssen, das beschäftig­te den Studenten Lorenz in jenem Moment am wenigsten. Es war seine Adresse im Portmonee, die er um nichts in der Welt preisgeben wollte. Damit hätte ihn der Täter dauerhaft in der Hand gehabt, auch künftig drangsalie­ren können, ist Lorenz überzeugt. Seine damals unter Strafe stehende Homosexual­ität hätte der Erpresser so an die große Glocke hängen können.

Das habe dann die Polizei zumindest in Ansätzen fertig gebracht, berichtet Lorenz. Demnach führten die Ermittlung­en gegen ihn dazu, dass seine Mutter davon erfuhr, im weit entfernten Wuppertal. „Die Polizei hat für mein Coming-out in der Familie gesorgt.“Die Homosexual­ität ihres Sohnes zu akzeptiere­n, damit habe sie sich schwer getan, erinnert sich Lorenz. „Sie war sehr skeptisch als ehemalige Fürsorgeri­n in der NS-Zeit“, versucht er Verständni­s für ihre durch die braune Vergangenh­eit geprägte Haltung als Jugendsozi­alarbeiter­in aufzubring­en. Später sei sie, durch Zuspruch seiner Großmutter, entspannte­r mit der Situation umgegangen.

Viele, die sich ihrem Umfeld offenbaren wollen, tun sich auch 2017 noch schwer. Davon ist der schwule Fachautor Gottfried Lorenz überzeugt. „Es ist heute nicht einfacher, sich zu outen, sich zu seiner Sexualität zu bekennen, als früher.“Noch immer gebe es Ressentime­nts, die Männer davor zurückschr­ecken lassen. Als Student hatte Lorenz in den 60er Jahren, als Sex unter Homosexuel­len unter Strafe stand, nur einige wenige Freunde eingeweiht. Und auch heute „trage ich mein Schwulsein nicht wie eine Monstranz vor mir her“, da er nicht über seine Sexualität definiert werden will. Saarländer seien in dieser Hinsicht gewiss nicht toleranter als Menschen anderer Regionen.

Lorenz ging seinen Weg, so wie er ihn damals vorgesehen hatte. „Ich konnte weiterstud­ieren“, berichtet Lorenz. Sein Professor, der an der Saarbrücke­r Uni für seine Promotion verantwort­lich war, erfuhr 1965 und auch danach nichts von alledem. „Er war ein konservati­ver Mann. Das hätte für mich den Schlussstr­ich bedeuten können“, ist Lorenz überzeugt.

Die Erleichter­ung über den glimpflich­en Ausgang: Sie war immens. Groll auf das, was ihm damals widerfuhr? Nein, den habe er nicht. Kein Deut des Zorns auf Polizei und Justiz. Er habe letztlich ja nicht unter den Folgen des absurden Gesetzes gelitten, wonach Schwulsein unbedingt zu bestrafen sei. Obwohl die Natur des Menschen nach allen medizinwis­senschaftl­ichen Erkenntnis­sen nicht zu beeinfluss­en ist.

Und was wurde aus der Erpressung? „Davon habe ich nie mehr etwas gehört. Es war mir dann auch egal. Ich war froh, dass ich es überstande­n hatte.“

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FOTOS: PLAINPICTU­RE/RÜDIGER TRAUTSCH Schwule Männer konnten sich lange nur heimlich treffen. Parks oder öffentlich­e Toiletten dienten als Anlaufpunk­te, um sich zu verabreden.
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