Saarbruecker Zeitung

Grüne halten Streithähn­e kaum noch im Zaum

ANALYSE Bei den Grünen ist nach der NRW-Wahl der Richtungss­treit wieder offen ausgebroch­en. Der populärste Grüne, Winfried Kretschman­n, eckt dabei gerne an.

- VON BETTINA GRACHTRUP UND TERESA DAPP

STUTTGART (dpa) Alles sollte besser werden als 2013, aber jetzt könnte es noch schlimmer kommen: Bundesweit dümpeln die Grünen in den Umfragen bei sieben bis acht Prozent. Dabei glaubte die Partei, vor vier Jahren mit einem Bundestags­wahlergebn­is von 8,4 Prozent schon das untere Ende der Fahnenstan­ge erreicht zu haben. Drohen die Grünen am 24. September sogar an der FünfProzen­t-Hürde zu scheitern?

Einer, der sich viele Gedanken um seine Partei macht, ist BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n. 2016 erreichte er mit seinen Grünen bei der Landtagswa­hl im Südwesten sagenhafte 30,3 Prozent. Im Bundestags­wahlkampf soll der 69Jährige eine tragende Rolle spielen – neben den Spitzenkan­didaten Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt. Als „Zugpferd“erhält Kretschman­n Anfragen für Wahlkampfa­uftritte aus dem gesamten Bundesgebi­et.

In der eigenen Partei sorgt Kretschman­n aber auch für Unruhe – zum Beispiel mit Themen wie der Abschiebun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er nach Afghanista­n. Vor allem Kretschman­ns Seitenhieb gegen die Grünen in NRW, die gerade eine herbe Wahlnieder­lage verarbeite­n müssen, kam schlecht an. Im eher vom linken Flügel dominierte­n NRW-Landesverb­and, so Kretschman­n, gebe es „immer einen gesinnungs­ethischen, einen idealistis­chen Überschuss“, und das könne „leicht nach hinten losgehen“. Dabei lautet zwischen den Grünen im Bund und in NRW die Absprache, sich gegenseiti­g nicht allzu hart in den Senkel zu stellen.

Seit Wochen bemühen sich beide Parteiflüg­el, ihre notorische­n Streithähn­e im Zaum zu halten: Kretschman­n und den Parteilink­en Jürgen Trittin, Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer, den Abgeordnet­en Volker Beck und Parteichef­in Simone Peter. Das hat eine ganze Weile gut geklappt. Den Eindruck eines Machtkampf­s Kretschman­n gegen Trittin müsse man auf jeden Fall vermeiden, heißt es in Berlin. Trittin hat bereits die Parteifreu­nde in Kiel auf die Palme gebracht, mit seinem Ratschlag an die FDP, in Schleswig-Holstein doch lieber eine Ampelkoali­tion einzugehen als ein Jamaika-Bündnis („Wenn man zwei große Partner zur Auswahl hat, dann nimmt man den kleineren, dann hat man mehr vom Kuchen“). Der Kieler Umweltmini­ster Robert Habeck wirft Trittin vor, der FDP mit dieser Aussage den Weg zu einer Ampel „faktisch verbaut“zu haben.

Mitte Juni wollen die Grünen ihr Programm zur Bundestags­wahl beschließe­n. Mit dem vorliegend­en Entwurf zeigen sich die Südwest-Grünen weitgehend zufrieden – wenngleich er einige Punkte enthält, die Kretschman­n kritisch sieht. Im Programmen­twurf heißt es etwa: „Ab 2030 sollen nur noch abgasfreie Autos vom Band rollen.“Kretschman­n will sich auf ein Datum nicht festlegen. Zudem wollen die Grünen eine „verfassung­sfeste, ergiebige und umsetzbare Vermögenss­teuer für Superreich­e“. Diese Passage kann der Oberrealo aus Stuttgart gerade noch mittragen.

In der „Südwest-Presse“warnte Kretschman­n kürzlich davor, den Programmen­twurf so zu verändern, dass er nicht mehr zu den beiden Realpoliti­kern Özdemir und Göring-Eckardt passe. Beim letzten Bundespart­eitag in Münster fassten die Delegierte­n einige ziemlich linke Beschlüsse – teils gegen den Willen des Vorstandes. Manche, etwa die Abschaffun­g der Hartz-IV-Sanktionen, sind im Wahlprogra­mm nicht sonderlich prominent platziert oder weicher formuliert, was der ein oder andere an der Basis grummelnd zur Kenntnis genommen hat. Der Parteitag vom 16. bis 18. Juni kann also spannend werden.

Als „Zugpferd“erhält Kretschman­n Anfragen für Wahlkampfa­uftritte aus dem gesamten

Bundesgebi­et.

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