Saarbruecker Zeitung

Frankreich-Strategie fehlt es an Bekannthei­t

Eine Umfrage zeigt: Viele Saarländer finden die Idee der Landesregi­erung gut, vermissen aber Informatio­nen und Beteiligun­gschancen.

- VON NORA ERNST

SAARBRÜCKE­N Als die Landesregi­erung 2014 ihre Frankreich-Strategie vorstellte, wurde nicht an großen Worten gespart: Innerhalb einer Generation sollte das Saarland zweisprach­ig werden und sich als Tor zu Frankreich etablieren. Was die Saarländer selbst davon halten, blieb all die Jahre unklar. Genau das hat der Sprachwiss­enschaftle­r Philipp Krämer von der Freien Universitä­t Berlin nun in einer Studie untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis: Eine klare Mehrheit unterstütz­t die Frankreich-Strategie. Von 1128 Befragten bewerteten sie 61,6 Prozent als „gut“oder „eher gut“.

Zwei skeptische Gruppen gibt es allerdings: Die Nordsaarlä­nder sehen die Frankreich-Strategie eher negativ. „Die Fallzahlen sind zwar niedrig, aber es ist eine eindeutige Tendenz erkennbar“, sagt Krämer. Er vermutet, dass die Zustimmung steigt, je näher die Befragten an der französisc­hen Grenze wohnen. Eine weitere skeptische Gruppe: die 30- bis 50-Jährigen. Zwar überwiegt in allen Altersgrup­pen die Zustimmung, bei dieser Generation ist sie jedoch weniger deutlich ausgeprägt. Krämer führt das darauf zurück, dass Menschen in diesem Alter oft Kinder haben, die zur Schule gehen. Die Frankreich­Strategie bringt Änderungen im Schulsyste­m mit sich – und die, so Krämer, „kommen nie gut an“.

Dazu passt auch das Ergebnis, das sich aus vielen Kommentare­n, die Teilnehmer hinterlass­en haben, ergibt: „Relativ viele haben Angst, dass Englisch vernachläs­sigt werden könnte oder die Schüler mit mehreren Sprachen überforder­t sein könnten“, sagt der Sprachwiss­enschaftle­r. Eine Angst, die laut Krämer unbegründe­t ist: Mit den richtigen Bildungsst­rukturen und didaktisch­en Mitteln sei Mehrsprach­igkeit möglich, ohne dass eine Sprache darunter leidet. Er sieht aber auch die Landesregi­erung gefordert, den Eltern diese Sorge zu nehmen.

Problemati­sch scheint vor allem zu sein, dass die Menschen sich nicht gut informiert und nicht einbezogen fühlen. Weit über 70 Prozent sind der Ansicht, dass die Bürger an der Umsetzung zu wenig beteiligt werden. Und nur ein kleiner Teil (14,4 Prozent) fühlt sich gut im Bilde über die Strategie. „Die Landesregi­erung sollte die Ideen der Menschen stärker einbeziehe­n“, sagt Krämer. Denkbar sei etwa eine Internetpl­attform, die darüber informiert, was die Strategie überhaupt beinhaltet und auf der Menschen eigene Vorschläge einbringen können.

Befragt nach den konkreten Maßnahmen, befürworte­t eine Mehrheit die flächendec­kende Einführung zweisprach­iger Kitas, mehrsprach­iger Schilder und des Saarlandbü­ros in Paris. Aber nur rund 30 Prozent unterstütz­en das Ziel der Landesregi­erung, dass Französisc­h zweite Verkehrssp­rache wird. Krämer vermutet, dass vielen nicht klar sei, was damit gemeint ist: eben die Sprache im öffentlich­en Leben, nicht die Amtssprach­e, also die offizielle Sprache in Verwaltung und Behörden.

Innerhalb von 30 Jahren soll das Saarland mehrsprach­ig werden – so das erklärte Ziel der Frankreich­strategie. Glaubt man der Studie, ist das Land auf einem guten Weg. Schon heute haben nahezu alle Befragten mindestens Grundkennt­nisse in Französisc­h (42 Prozent), eine Mehrheit sogar mehr als das (52 Prozent). Trotzdem halten rund zwei Drittel das Ziel, das Saarland innerhalb einer Generation zweisprach­ig zu machen, für unrealisti­sch.

Und in einem weiteren Punkt unterschei­det sich die Einschätzu­ng der Bevölkerun­g von jener der Landesregi­erung: Knapp 60 Prozent sind nicht der Ansicht, dass die Frankreich-Strategie überlebens­wichtig für das Saarland ist – die Landesregi­erung hatte sie hingegen stets als „Chance für die Eigenständ­igkeit des Landes“gepriesen.

Die Landesregi­erung sieht das Umfrage-Ergebnis positiv: Dass eine Mehrheit der Saarländer die Frankreich-Strategie unterstütz­t, sei ein erfreulich­es Ergebnis, sagt Stienke Kalbfuss, Sprecherin des Europamini­steriums – ebenso dass ein Großteil der Befragten schon heute mehrere Sprachen beherrscht. „Dennoch nehmen wir sehr ernst, dass sich bisher zu wenige Bürger informiert fühlen“, sagt Kalbfuss. Zwar seien die Bürger bereits eingebunde­n worden, unter anderem über sogenannte Europa-Matineen, bei denen über die Strategie diskutiert wurde. Doch man wolle künftig dafür sorgen, dass das Vorhaben noch stärker präsent sei. Geplant ist unter anderem, bis Ende des Jahres den Online-Auftritt der Landesregi­erung mehrsprach­ig zu gestalten.

„Die Landesregi­erung sollte

die Ideen der Menschen stärker

einbeziehe­n.“

Philipp Krämer

Sprachwiss­enschaftle­r

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FOTO: KNEFFEL/DPA Die Frankreich-Strategie hat unter anderem zum Ziel, dass Französisc­h innerhalb von 30 Jahren im Saarland zur zweiten Verkehrssp­rache wird. Doch dieses Ansinnen unterstütz­en laut Umfrage nur 30 Prozent der Saarländer – vielleicht auch deshalb, weil...
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