Saarbruecker Zeitung

Vom Kampf gegen die Macht von oben

Der eigenwilli­ge Heimatfilm „Daheim sterben die Leut’“machte Regisseur Klaus Gietinger bekannt. Bücher, Dokus, „Tatort“und „Löwenzahn“folgten. Der Allgäuer lebt nun in Saarbrücke­n, heute läuft in der ARD eine Doku von ihm. HINTERGRUN­D

-

VON USCHI SCHMIDT-LENHARD

SAARBRÜCKE­N „Stur, widerspens­tig und recht gewitzt“– so charakteri­siert Klaus Gietinger den Menschensc­hlag seiner alten Heimat Westallgäu – und vielleicht damit auch sich selbst. Der Region fühlt sich der bärtige Hutträger zugehörig – auch wenn er der Liebe wegen seit 2016 in Saarbrücke­n lebt – und hat sie in einigen Spielfilme­n dargestell­t. Der erfolgreic­hste ist „Daheim sterben die Leut’“(1985). Es geht um die bodenständ­ige Verweigeru­ng gegenüber fortschrit­tlichen Projekten im Dorf. „Es ist der Kampf des Einzelnen gegen die Macht von oben“, sagt Gietinger, Jahrgang 1955, „es nannte den Film damals „vielleicht den letzten Höhepunkt des neuen, kritischen und solidarisc­hen Heimatfilm­s“. Die staatliche Filmförder­ungsanstal­t (FFA) sah das ganz anders und weigerte sich, den Film zu unterstütz­en – denn er sei „in beleidigen­der Weise degoutant“. Bei der Berlinale 1985 uraufgefüh­rt, füllte er später die Kinos, in Tübingen lief er wochenlang. „Erst ‚Titanic’ hat den Besucher-Rekord dort eingestell­t“, sagt Gietinger stolz.

Der Film entstammte der „Westallgäu­er Filmproduk­tion“(WAF), die Gietinger, der Soziologie und Publizisti­k studierte, mit den Kollegen Leo Hiemer, Georg Veit und Fritz Günter gegründet hat. Bis 1990 drehten sie unabhängig­e kritische Filme aus ihrer Region. 1979 entstand auf Super-8 „Lond it Luck – Lasst nicht locker“über den Bauernkrie­g im Allgäu, Gietinger selbst spielte den erbarmungs­losen Truchseß von Waldburg (1488 bis 1531). 10 000 Menschen sahen den Film bei der Tournee durchs Land. Der letzte Film der WAF war „Schön war die Zeit“(1988), über die unverarbei­tete Nazi-Zeit in der Heimat und im deutschen Film.

Seit der Auflösung der WAF arbeitet Klaus Gietinger als Autor und Regisseur fürs Fernsehen, unter anderem für den hessischen „Tatort“, etwa mit dem Fliege tragenden Kommissar Brinkmann (Karl-Heinz von Hassel). Bildgewalt­ig war seine „Tatort“-Episode „Janus“mit Andrea Sawatzky und Jörg Schüttauf.

Daneben schrieb er Kinodrehbü­cher und Skripts für historisch­e Spielfilme, Sachbücher (etwa über Hüte, Autos, die Bahn) und einen Fußballrom­an. Bei seiner Arbeit, etwa seinem bislang letzten Kinofilm „Heinrich der Säger“, treibt ihn die Frage um, wie die Macht immer wieder bis in die „Welt der Beherrscht­en hinein funktionie­rt“. Im Sachbuch „Der Seelentrös­ter“(2017, mit Winfied Wolf) setzt er sich mit Christophe­r Am 2. Juni 1967 demonstrie­ren knapp 1000 Menschen in Berlin gegen den Besuch des Schahs und dessen Tyrannei im Iran. Einer von ihnen ist der 26-jährige Romanistik­student Benno Ohnesorg. Es kommt zum Gerangel zwischen den Demonstran­ten und der Polizei; in einem Hinterhof wird Ohnesorg von einer Polizeikug­el in den Kopf getroffen und stirbt auf dem Weg ins Krankenhau­s. Der Polizist Karl-Heinz Kurras sagt vor Gericht aus, er sei mit Messern angegriffe­n worden, dabei habe sich ein Schuss aus seiner Waffe gelöst. Kurras wird vom Vorwurf der fahrlässig­en Tötung freigespro­chen.

Clarks Buch „Die Schlafwand­ler“auseinande­r, das die Verantwort­ung des Deutschen Kaiserreic­hs für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Frage stellt.

Heute läuft die Dokumentat­ion „Wie starb Benno Ohnesorg?“von Gietinger und Margot Overath in der ARD. Hier, wie in seinem Buch über die Ermordung Rosa Luxemburgs, „Eine Leiche im Landwehrka­nal“(1993, 1995, 2009), recherchie­rte Gietinger investigat­iv. Ihm und Overath ist es gelungen, Benno Ohnesorgs Sohn dazu zu bewegen, bislang unbekannte Zeitzeugen zum ersten Mal zum Geschehen zu befragen. „Es ist zum ersten Mal, dass Lukas Ohnesorg vor die Kamera tritt. Er will endlich Aufklärung über den Mord an seinem Vater. Und die ist uns mit dem Film hoffentlic­h gelungen.“............................................. „Wie starb Benno Ohnesorg?“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany