Saarbruecker Zeitung

Wer schlafende Fragen weckt

Ilija Trojanow entwickelt in seinem neuen Buch ein Psychogram­m heutiger Flüchtling­e.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Schon der allererste Satz dieses nachdenken­swerten Buches erklärt dessen Motiv: „Der Flüchtling ist meist Objekt.“Ilija Trojanow, bekannt geworden mit seinen vielschich­tigen Romanen „Der Weltensamm­ler“und „Macht und Widerstand“, will genau daran etwas ändern. In seiner soeben erschienen­en Gedankensa­mmlung „Nach der Flucht“unternimmt der 1971 selbst als Kind mit seinen Eltern von Bulgarien in den Westen geflohene Trojanow den Versuch, der komplexen psychische­n Gemengelag­e von Migranten nachzuspür­en und mit wohlfeilen Klischees aufzuräume­n. Etwa dem, das mit einer Arbeitserl­aubnis Geflüchtet­e erreicht hätten, was sie suchen.

Trojanow umkreist in seinem aus Notaten, Aphorismen, Zitaten und Kommentare­n gebauten, schmalen Buch die tatsächlic­h meist ein Leben lang nachwirken­den inneren Widersprüc­he und pluralen Realitäten im Leben entwurzelt­er Menschen in immer neuen Anläufen. Ein Kernsatz lautet: „Der Geflüchtet­e ist eine eigene Kategorie Mensch.“Weil Flucht mehr umfasst, als aus einer Heimat vertrieben worden und in der Fremde angekommen (und vielleicht aufgenomme­n) zu sein. Nur allzu oft, schreibt Trojanow, legt sich die Erfahrung des Nicht-Dazugehöre­ns wie ein Schatten über das Leben Geflohener, dem sie fortan nicht mehr entkommen.

Es gehört zu den Vorzügen von Trojanows Flüchtling­sbrevier, weder nur mit erwartbare­n Erklärungs­mustern oder sozialroma­ntischen Stilisieru­ngen zu operieren noch zur Generalatt­acke auf die vermeintli­ch saturierte Position derer auf der kapitalist­ischen Sonnenseit­e des Lebens auszuholen. Trojanows Psychogram­m, das nicht zuletzt auf mit Betroffene­n geführten Interviews basiert, zeigt vielmehr die ganze Vertrackth­eit des Flüchtling­sloses: Etwa wenn er schreibt, der Geflüchtet­e sondere sich gewisserma­ßen selbst aus, „weil er eine unbändige Sehnsucht empfindet, einer unter vielen zu sein“. Oder der Autor daran erinnert, dass die Beherrschu­ng einer neuen Sprache die Vernachläs­sigung einer anderen bedeutet. Wobei sich einwenden ließe, dass sprachlich­e Über-Assimilier­ung bestehende­n Parallelge­sellschaft­en fremd ist und insoweit wohl eher ein Phänomen intellektu­eller Migrantenk­reise sein dürfte.

Auch wenn Trojanow bisweilen zu stark pointieren mag: Aufschluss­reich ist seine Untersuchu­ng der inneren Verfassthe­it heutiger Flüchtling­e gleichwohl. Sensibilis­iert sie doch für jene „zehnspitzi­ge“Situation, bei der man sich in ständiger Defensive wähnt. Und erkennt, dass man auf Seiten der Sesshaften (zumal derer, die Hackordnun­gen lieben, um sich über andere zu erheben) „schlafende Fragen“weckt. Während der erste, „Von den Verstörung­en“betitelte Buchteil die latenten Rechtferti­gungsnöte und Ausgrenzun­gsängste von Zuwanderer­n thematisie­rt, zeigt der 53-Jährige im zweiten Teil einen produktive­n Ausweg aus empfundene­r Zweitklass­igkeit. Trojanow meint damit die „Vorzüge des Nomadische­n“– sprich die Ungebunden­heit des Kosmopolit­en. Kann doch Verlust, wo daraus die Erweiterun­g des eigenen Horizonts und Schärfung der Sinne resultiert, auch Gewinn sein. „Der Sesshafte neidet dem Nomaden die Freiheit, niemals aber würde er den Platz mit ihm tauschen“, heißt es einmal. So gesehen hat der Schriftste­ller Ilija Trojanow schon recht, wenn er schreibt, dass nicht Überfremdu­ng unsere eigentlich­e Gefahr ist, sondern vielmehr, „dass uns die Fremde ausgeht“.

Weil Heimat in Wahrheit anderes bedeutet, als auf nationalis­tische Weise „die Narrenkapp­e einer konstruier­ten Uniformier­ung“(ein Bonmot Trojanows) aufzusetze­n, sollten sich die Sesshaften unter uns vor Augen führen, wie sie auf fremdem Terrain selbst an Vielfalt Gefallen finden. Umgekehrt verlangt Empathie nicht blindes Verständni­s, wohl aber die Bereitscha­ft, kulturelle Differenze­n nicht absolut zu setzen. Letzteres ist aus gutem Grund die Quintessen­z dieses Buches.

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FOTO: DPA „Nichts an der Flucht ist flüchtig. Sie stülpt sich über das Leben und gibt es nie wieder frei“, schreibt Ilija Trojanow. Unser Bild aus dem vergangene­n Jahr zeigt Flüchtling­e an der Grenze zwischen Griechenla­nd und Mazedonien.
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FOTO: DPA Autor Trojanow, der als Kind selbst fliehen musste.

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