Saarbruecker Zeitung

Uschi Glas und die brennenden Büstenhalt­er

Eine herrliche DVD-Ausgrabung: „Die Weibchen“, ein psychedeli­scher Höhepunkt des deutschen Films, bei dem Männer das Fürchten lernen.

- VON TOBIAS KESSLER

„Es sind die Nerven.“Das ist, in aller Kürze, die Diagnose für die junge Chefsekret­ärin Eve (Uschi Glas). Eine Kur im schönen Bad Marein soll das Nervenkost­üm wieder aufbügeln – doch hinter den Fassaden der edlen Sanatorien und schmucken Bürgerhäus­er wartet eine ungeahnte Welt. Hier werden zur psychedeli­schen Beat-Musik von Peter Thomas halbnackte bis nackte Orgien zelebriert. Zwischendu­rch räsonniert Judy Winter über die bösen „Määääääään­ner“, von denen es in diesem Kurort aber überrasche­nd wenige zu geben scheint. Selbst die lokale Autowerkst­att ist fest in weiblicher Hand; jeder noch so kleine KFZ-Schaden scheint aus Mechaniker­innen-Sicht eine Sisyphus-Montage: Man kommt also einfach nicht weg von diesem scheinbar schönen Fleckchen Erde.

Welch schöne Heimkino-Ausgrabung der rührigen DVD-Firma „Bildstörun­g“: 1970 lief der Film „Die Weibchen“kurz und schmerzlos in deutschen Kinos; er wäre wohl in kollektive­r Vergessenh­eit versandet, gäbe es nicht ein paar Filmfans, darunter Regisseur Dominik Graf, die seit einiger Zeit ein Loblied auf den Autor/Regisseur des Werkes singen: Zbynek Brynych (19271995), tschechisc­her Filmemache­r und ein bunter Vogel des deutschen Kinos und Fernsehens: In seiner Heimat war Brynych bekannt für schwere Stoffe wie „Transport aus dem Paradies“(1963) über das Konzentrat­ionslager Theresiens­tadt; in Deutschlan­d drehte er die verspielte­sten Episoden vom „Kommissar“und „Derrick“. In „Die Weibchen“ist Brynych nicht zu bremsen – die Geschichte eines merkwürdig­en Ortes erzählt er mit einer extremen Bilddramat­urgie, mal mit kalten, mal mit explodiere­nd bunten Farben; sehr gerne benutzt Kameramann Charly Steinberge­r das verzerrend­e Fischauge-Objektiv. Ein traum- und albtraumar­tige Atmosphäre zieht sich durch den Film, der immer wieder Hinweise gibt, was in diesem Bad vor sich geht: Die Frauen lesen Valerie Solanas radikalfem­inistische­s „Manifest der Gesellscha­ft zur Vernichtun­g der Männer“, verbrennen in einer rauscharti­gen Szene ihre BHs und erfreuen sich an der Betrachtun­g der Gottesanbe­terin, die ihre männlichen Artgenosse­n nach dem Liebesakt eher unromantis­ch auffrisst. Da dämmert es Eve langsam, warum es fast keine Männer in Bad Marein gibt – abgesehen von einem hünenhafte­n Gärtner/Faktotum und einem Kommissar, der am liebsten Kartenhäus­er legt – gespielt von Hans Korte, in einem wahnwitzig­en Auftritt.

Ist „Die Weibchen“nun ein Manifest des Feminismus? Oder eher die filmische Beschreibu­ng von Angst vor Frauen? Oder ist Brynychs Film auch eine Komödie über radikale Damen und sehr begriffsst­utzige Männer? Der Film lässt das humoristis­ch in der Schwebe – und ist eine große Entdeckung für Freunde eines freischweb­enden Kinos.

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FOTO: BILDSTÖRUN­G Uschi Glas als Frau an einem merkwürdig­en Ort.
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