„Wir wollen Brücken bauen und nicht Mauern“
Michael Heinz aus Düppenweiler leitet das katholische Hilfswerk Adveniat. Seine Aufgabe sieht er nicht nur geistlich, auch politisch.
SAARBRÜCKEN Er hat den Arbeitsplatz gewechselt, aber seine Mission bleibt gleich: Nach 17 Jahren unter der Sonne Südamerikas ist der Saarländer Pater Michael Heinz seit knapp drei Monaten Hauptgeschäftsführer von Adveniat, dem Lateinamerika-Hilfswerk der katholischen Kirche. Die Spenden aus Deutschland sind nach wie vor nötig, sagt der 55-jährige Ordensmann. Denn seine zweite Heimat sieht er bedroht wie lange nicht – und nicht nur durch Donald Trump. Herr Heinz, jahrelang waren Sie als „Padre Miguel“in Lateinamerika, wollten an der Basis helfen. Wie passt dazu jetzt ein Verwaltungsjob in Essen?
HEINZ Die deutschen Bischöfe haben meinen Orden, die Steyler Missionare, nach einem geeigneten Kandidaten für die Adveniat-Geschäftsführung in Essen gefragt und ich hatte wohl Vorteile, habe in drei Ländern Lateinamerikas gearbeitet und sechs Jahre in Rom. Da war ich wohl der Wunschkandidat. Jetzt kann ich meine Erfahrung in die deutsche Ortskirche einbringen. Aber ich werde Lateinamerika nicht nur vom Schreibtisch aus beobachten. Die Menschen und das warme Klima fehlen mir. Ein Vorteil ist aber, ich bin wieder näher am Saarland und bei meinen Eltern. 1961, in Ihrem Geburtsjahr, gab es die erste Weihnachtskollekte für Lateinamerika. Welche Bedeutung hat Adveniat heute?
HEINZ Niemand hätte vor 56 Jahren wohl geglaubt, dass diese Aktion so lange besteht. In Lateinamerika hat sich die Kirche seither auch so entwickelt dank Adveniat. Am Anfang hatten wir nur die Weihnachtsspende. Inzwischen haben wir gemerkt, dass es wichtig ist, kontinuierliche Spenden einzuwerben. Das Werben um Spenden ist ein hartes Geschäft, ein Markt. Spüren Sie die Konkurrenz?
HEINZ Ja, aber wir sind für Lateinamerika das Hilfswerk in Deutschland, ich würde sogar sagen, in Europa. Und die Leute sehen: Adveniat ist ein verlässlicher Partner, ist in Kontakt mit den Menschen vor Ort. Die Spenden kommen dort an. Das sind ja keine Projekte, die wir uns aus den Fingern saugen. In der Regel bekommen wir Anfragen von dort, Projekte zu unterstützen. Die Partner leisten einen Beitrag, oft durch Arbeitsstunden. Wir finanzieren mit – und erhalten eine Abrechnung. Wir sorgen auch bei den Weiterleitungsspenden dafür, dass das Geld ankommt, wenn etwa eine Jugendgruppe im Saarland ein Projekt in Bolivien hat. Und mit Verwaltungskosten von unter zehn Prozent stehen wir gut da. Wir sind sparsam.
Was tut Adveniat konkret?
HEINZ Im vergangenen Jahr hat Adveniat rund 2500 Projekte unterstützt mit rund 40 Millionen Euro. Aus der Kollekte kommen 25 Millionen, die anderen Gelder kommen als gezielte Spenden – etwa nach den Schlammlawinen in Kolumbien und in Peru. Jedes Jahr haben wir eine Weihnachtsaktion: Diesmal heißt sie „Faire Arbeit. Würde. Helfen.“Es geht uns darum, dass es in Lateinamerika immer noch Länder gibt, wo Arbeiter ausgebeutet werden, keine Rechte haben. Etwa in den Maquilas, Kleiderfabriken, wo Menschen für einen Hungerlohn arbeiten. Gibt es ein Projekt, auf das Sie besonders stolz sind?
HEINZ Das Projekt von Repam – das Netzwerk panamazonischer Länder, das das Thema Umweltschutz und den Schutz der indigenen Bevölkerung vereint. Das sind ja die Wächter unseres gemeinsamen Erbes. Der Amazonas ist die Lunge der Welt. Da ist der lateinamerikanische Bischofsrat CELAM Partner. Und wir geben nicht nur Geld, wir sind auch Partner als Teil des Netzwerks. Trotz der 40 Millionen – die Kollekten gehen zurück, die Kirchenbesuche sinken. Hat Adveniat da Zukunft?
HEINZ Die Weihnachtskollekte geht jedes Jahr zurück, weil es auch weniger Gottesdienste gibt. Wir fangen das durch Einzelspenden und Erbschaften auf. Sodass wir hoffen, das Niveau von 40 Millionen Euro zu halten. Hat Adveniat durch den Limburger Skandal einen Spenden-Knick erlebt?
Heinz Das hat bei allen Werken Spuren hinterlassen in dem Jahr. Umso wichtiger ist aber, dass die Menschen nicht das Vertrauen in die Hilfswerke verlieren. Die Gefahr ist, dass man das Verhalten einer Person, die gefehlt hat, auf alle überträgt. Deswegen legen wir sehr viel Wert auf Transparenz. Die Kirche verfügt über ein riesiges Vermögen. Warum braucht es da ein zusätzliches Hilfswerk und Spenden?
HEINZ Wir sind ja alle Kirche. Adveniat spricht die Menschen in Deutschland an, die sehen, dass die Not groß ist. Und die sehen, da gibt es mit Adveniat jemanden, der den Menschen in Lateinamerika die nötige Hilfe bringen kann. Es ist sicher richtig, dass die deutsche Kirche sehr reich ist, noch. Die Kirchensteuereinnahmen liegen sehr hoch. Aber das wird sich ändern. In erster Linie hat die deutsche Ortskirche Verantwortung für ihre Einrichtungen – die Kindergärten, die Caritas. Schließlich ist die Kirche nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber. Da muss sie Spielraum haben. Adveniat investiert in die Ausbildung von Seelsorgern, oder auch in die in Lateinamerika tätigen Orden. Da geht es im Grunde doch um Mission?
HEINZ Was ist denn für Sie Mission? Der Versuch, den christlichen Glauben zu verbreiten, oder? Warum sollen die Menschen für die Mission spenden statt etwa die Welthungerhilfe?
HEINZ Wir haben in Deutschland ein gewisses Missionsbild: Die Missionare gehen in den Busch und bekehren die Menschen mit viel Weihwasser und dem Kreuz in der Hand. Das war sicher mal so. Aber ich bin 1992 nicht mit dieser Idee nach Nicaragua gegangen. Mission kommt vom Lateinischen „mittere“– senden. Ich bin gesandt von einer Ortskirche zur anderen, um Brücken zu bauen. Ich teile ein Stück von meinem Leben und empfange auch etwas. Adveniats „Corporate Design“ist „Für die Menschen in Lateinamerika“. Wir sagen nicht „für die Katholiken“. Die Brücke ist ein schönes Symbol: Wir wollen Brücken bauen und nicht Mauern, wie das andere etwa in den USA tun. Das Fundament Ihrer Brücke sind aber katholische Dogmen, wie die Ablehnung von Verhütungsmitteln. Also eine Mission zu ihren Bedingungen?
HEINZ Ein Großteil unserer Projekte sind Bildungsprojekte – vom Kindergarten bis zur Universität. Da helfe ich den Menschen, weil ich ihnen die Möglichkeiten gebe, sich ein Bild zu machen und dann selbst eine Entscheidung zu treffen. Es geht mir nicht darum, ihnen zu sagen, ob sie Verhütungsmittel nehmen sollen oder nicht. Es geht darum, dass sie Kriterien haben, dass sie die Freiheit haben, zu entscheiden. Gegründet wurde Adveniat von konservativen deutschen Bischöfen – aus Sorge vor dem Sozialismus von Fidel Castro in Kuba. Die heutigen politischen Äußerungen, zum Beispiel die Kritik an Trump oder an der Beschneidung von Arbeiterrechten, sind aber schon fast links. Ein enormer Wandel.
HEINZ Das ist die Antwort auf die Lage heute. Adveniat hatte früher andere Ziele. Aber in 50 Jahren haben nicht nur wir uns geändert, sondern auch Lateinamerika. Dort sagt die Kirche eher, wir können nicht predigen und währenddessen werden Arbeiter ausgebeutet – man nennt das ganzheitliche Pastoral. Deswegen fördern wir Projekte in allen Bereichen. Wir helfen dem Pfarrer, der einen neuen Jeep braucht, um seine Gemeinden zu erreichen. Aber wir unterstützen auch die Weiterbildung, Menschenrechte, Friedensprozesse wie jetzt in Kolumbien. Das ist politisch. Wir sind ja Teil einer Gesellschaft, wir können uns nicht isolieren. In welcher Lage sehen Sie Lateinamerika?
HEINZ Lateinamerika ist politisch wieder geteilt. Die Gruppe der Linksregierungen wird schwächer. Der Druck der USA wird größer. Was Trump macht, ist nichts anderes, als Lateinamerika wieder zum Hinterhof der USA zu erklären. Mit Mauerbau oder Abschottung verdammt er Millionen zur Armut. Und das in einer Lage, in der sich über 15 Jahre die wirtschaftliche Situation verbessert hatte, etwa in Bolivien: Präsident Evo Morales hat dort viel Positives erreicht, dafür gesorgt, dass die indigene Bevölkerung ein größeres Selbstbewusstsein entwickelt. Aber in Bolivien und in ganz Lateinamerika ist die Korruption ein Riesen-Problem. Und weil sich die wirtschaftliche Situation verschlechtert, besteht die Gefahr, dass Verbesserungen wie die Sozialversicherung wieder zurückgenommen werden – wie in Brasilien. Papst Franziskus, der Lateinamerikaner ist, müsste Ihr Wunschpapst sein.
HEINZ Ja. Er fliegt im September nach Kolumbien, da würde ich gerne persönlich mit ihm reden. Er ist nicht nur Lateinamerikaner, er ist für die Menschen dort auch eine starke Figur, bringt sich sehr ein. Da haben wir von Adveniat einen sehr starken Mitstreiter. Mit Franziskus ziehen wir an einem Strang. Auch wegen seines sozialen Impulses schätze ich ihn sehr. Fühlt man sich nicht wie Sisyphos, wenn die sozialen und politischen Umstände in den südamerikanischen Ländern sich gegegenwärtig wieder eher zum Schlechten entwickeln?
HEINZ Sie sehen in der konkreten Arbeit immer den konkreten Menschen, was er erreichen kann. Wenn Menschen vom Land kommen und ihre Ausbildung erhalten. Wenn die dann Abitur haben, dann werde ich eingeladen. Das sind ganz konkrete Dinge, an denen man sieht, es lohnt sich. Man schaut da nicht so sehr auf das Globale. Da überwiegen die positiven Erfahrungen. Und es ist erstaunlich, was man in diesen Ländern mit 10- oder 20.000 Euro machen kann. Mussten Sie erst lernen, dass es in kleinen Schritten geht?
HEINZ Das ist ein Teil der Ausbildung. Schon als Student ist bei mir der Satz des brasilianischen Bischofs Helder Camara hängen geblieben: „Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, werden das Gesicht der Welt verändern.“Das ist meine Vorstellung als Missionar. Du arbeitest mit einer kleinen Gruppe, und wenn es gut geht, zieht es Kreise. Du brauchst immer erst den Sauerteig, der dann aufgeht. Jetzt sind Sie wieder in Deutschland, das gerade verstärkt über soziale Gerechtigkeit debattiert. Jammern wir auf hohem Niveau?
HEINZ Wir haben ein Niveau erreicht, das man mit Lateinamerika gar nicht vergleichen kann. Die Menschen dort sind in Teilen nicht mal auf der halben Strecke. Wenn wir als Kirche und Gesellschaft nicht nur uns im Blick haben wollen, dann wäre der nächste Schritt: Wir müssen uns auch in anderen Ländern engagieren. Deswegen darf ich Lateinamerika nicht vergessen. Das Interview führten Frauke Scholl und Ulrich Brenner