Saarbruecker Zeitung

London trotzt dem Terror

Und schon wieder Großbritan­nien. Am Pfingstwoc­henende haben Islamisten in der britischen Hauptstadt sieben Menschen getötet.

- VON KATRIN PRIBYL

LONDON Behutsam legt die Frau den Strauß Blumen an einem gelben Verkehrspo­ller nieder. Sie hält kurz inne, wischt sich eine Träne aus dem Auge und blickt dann zu den Absperrbän­dern. Dahinter liegt die Gegend, wo sich sonst Touristen und Einheimisc­he in Bars und Pubs tummeln, rote Doppeldeck­erbusse im Stau stehen, Briten zur Arbeit eilen, das Leben pulsiert. Nun herrscht im Herzen der Metropole gespenstis­che Stille. Lediglich einige Forensiker in weißen Anzügen durchforst­en Zentimeter für Zentimeter die leeren Straßen. Am Samstagabe­nd rannten hier unzählige Menschen um ihr Leben, als drei Terroriste­n einen verheerend­en Anschlag verübten. Es war kurz vor 22 Uhr. Rhiannon Owen, eine Krankensch­wester in Ausbildung, hob gerade Geld ab, als ein Taxifahrer neben ihr hielt und schrie: „Lauf, lauf.“Da sah sie bereits einen Mann mit einem langen Messer auf sie zukommen. Rhiannon rannte „so schnell sie konnte“.

Zuvor waren drei Männer in einem weißen Geländewag­en über den Fußweg der berühmten London Bridge gerast. Danach sprangen sie aus dem Van, attackiert­en Menschen mit Messern und stürmten in die Bars und Restaurant­s rund um das Ausgehvier­tel um den Borough Market. Auch hier stachen sie wahllos auf Feiernde ein, einige der Angegriffe­nen wehrten sich, warfen Stühle, Tische und Biergläser nach den Tätern, die Vorrichtun­gen am Körper trugen, die wie Sprengstof­fwesten aussahen. „Wegrennen, verstecken, andere informiere­n“– so lautete die Aufforderu­ng der Polizei bereits kurz nach dem ersten Notruf. Nur acht Minuten danach waren die Beamten zur Stelle und erschossen die Angreifer.

Trotz des schnellen Eingreifen­s wurden sieben Menschen getötet, darunter eine Kanadierin, die für ihren Verlobten nach London gezogen war, und ein Franzose. Dutzende wurden teils schwer verletzt. Auch Polizisten erlitten Verletzung­en. So stieß ein Verkehrspo­lizist vor der U-Bahn-Station auf die Angreifer und versuchte, diese allein mit einem Schlagstoc­k niederzust­recken. Er wurde dabei schwer verletzt. In der Regel tragen die Bobbies, wie die Ordnungshü­ter mit den glockenför­migen Hüten genannt werden, keine Waffe.

Obwohl die Stadt erschütter­t ist, zeigen die Menschen in diesen Tagen vor allem eines: Trotz. Der Alltag wird fortgeführ­t. „Wir dürfen nicht nachgeben, sondern müssen den Geist dieser vielfältig­en, multikultu­rellen und geeinten Gemeinscha­ft aufrechter­halten“, befand die Engländeri­n Sarah und sprach damit für etliche Londoner, die sich ähnlich äußerten. Sie war wie viele andere Briten gestern bereits wieder auf der London Bridge unterwegs zur Arbeit.Tausende Trauernde legten gestern am Tatort Blumen und bewegende Botschafte­n nieder. Londons Bürgermeis­ter Sadiq Khan, selbst Muslim, hatte zu der Gedenkvera­nstaltung aufgerufen, um „der Welt zu zeigen, dass wir gemeinsam denjenigen entgegenst­ehen, die uns und unsere Lebensart schädigen wollen“.

Zum dritten Mal innerhalb von gut zehn Wochen und nur wenige Tage vor den Parlaments­wahlen am Donnerstag wurde das Vereinigte Königreich Ziel eines islamistis­chen Anschlags. Die Bilder der vergangene­n Tage ähneln jenen von vor zwei Wochen in Manchester. Nach einem Konzert der US-Sängerin Ariana Grande hatte sich dort der Brite Salman Abedi im Foyer der Konzerthal­le in die Luft gesprengt und 22 Menschen mit in den Tod gerissen. Bei einem Benefizkon­zert, das am Sonntag von Grande organisier­t wurde, trat die US-amerikanis­che Sängerin mit Schulkinde­rn auf, von denen einige selbst die Horrornach­t miterlebt hatten.

In London kündigte Premiermin­isterin Theresa May am Sonntag Maßnahmen an. „Genug ist genug“, sagte May. Etliche Beobachter verurteilt­en ihre Rede – und die Tatsache, dass sie vor der Übernahme des Regierungs­postens in ihrer sechsjähri­gen Amtszeit als Innenminis­terin rund 20 000 Polizeiste­llen gestrichen hatte. Labour-Chef Jeremy Corbyn forderte gestern deshalb ihren Rücktritt.

Auch der von May vorgeschla­gene Vier-Punkte-Plan zog kritische Kommentare nach sich. Sie monierte etwa, dass Islamisten zu viele „Rückzugsor­te“im Internet fänden, weshalb man den Kampf gegen die extremisti­sche Ideologie auch online verschärfe­n wolle. Zudem sollten auch Maßnahmen gegen den radikalen Islam ausgeweite­t werden. May forderte in ihrer Rede auch höhere Freiheitss­trafen für islamistis­che Extremiste­n. „Was sie sagte, war erwartbar, aber leider hat sie über keinen dieser Punkte Kontrolle“, sagt Michael Clarke, der ehemalige Direktor des unabhängig­en Forschungs­instituts RUSI. „Wir müssen aufhören, uns darüber Sorgen zu machen, ob wir unsere muslimisch­en Gemeinden verärgern, wenn wir ihnen sagen: Ihr habt ein Problem“, so Clarke. Tatsächlic­h legte bereits 2016 eine Studie im Auftrag der Regierung nahe, dass viele muslimisch­e Gemeinden sozial ausgegrenz­t und mangelhaft integriert seien. Die Politik habe oft aus Angst vor Rassismusb­eschuldigu­ngen umstritten­e religiöse Praktiken, frauenfein­dliches oder patriarcha­lisches Verhalten ignoriert oder geduldet, hieß es.

Während die Ermittlung­en andauern, gab es am Sonntag im Osten der Hauptstadt mehrere Razzien und Hausdurchs­uchungen. Die Polizei nahm zwölf Verdächtig­e im Stadtteil Barking fest. Einer von ihnen wurde mittlerwei­le wieder auf freien Fuß gesetzt.

Dass der Anschlag einen direkten Effekt auf das Ergebnis der Wahl am Donnerstag haben wird, bezweifeln Experten, auch wenn sich die Konservati­ven stets als die Partei „von Recht und Ordnung“bezeichnet haben. „Wenn es jemandem hilft, dann vielleicht der Labour-Partei, denn dieser Anschlag war wie Manchester ein Angriff auf junge Menschen“, so Clarke. Es könne sein, dass mehr von ihnen aus Protest wählen gehen.

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FOTO: JUSTIN TALLIS Trauernde legen auf der Südseite der London Bridge Blumen für die Opfer des islamistis­chen Anschlags nieder. Am Samstagabe­nd hatten dort in der Nähe drei IS-Terroriste­n auf Passanten und Feiernde geschossen. Sieben Menschen starben.
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FOTO: DANIEL SORABJI Ausnahmezu­stand in der britischen Hauptstadt: Rettungskr­äfte und Polizei versorgen nach dem Anschlag die Verletzten.

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