Saarbruecker Zeitung

Gabriel verkündet den Abzug

Der letzte Einigungsv­ersuch im Besuchsstr­eit ist gescheiter­t; deutsche Soldaten in Incirlik können ihre Sachen packen.

- VON MICHAEL FISCHER UND CAN MEREY

ANKARA (dpa) Als Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu und Sigmar Gabriel im Außenminis­terium in Ankara vor die Presse treten, sieht alles nach einem ganz normalen Besuch eines Gastes aus. Auf dem Podium stehen zwei hölzerne Pulte mit Halbmond und Stern, dahinter die türkische und die deutsche Flagge, an der Wand ein Zitat des Staatsgrün­ders Mustafa Kemal Atatürk: „Frieden zu Hause, Frieden in der Welt.“

Doch zwischen Deutschlan­d und der Türkei ist vieles nicht normal – stattdesse­n sind die Beziehunge­n zerrüttet. Auftrittsv­erbote für türkische Politiker in Deutschlan­d und im Gegenzug eine Flut von NaziVorwür­fen gegen Deutschlan­d und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich haben Spuren hinterlass­en

„Manchmal ist es ganz gut, wenn man sich daran erinnert, dass sie auch mal exzellent gewesen sind“, sagte Gabriel über die Beziehunge­n beider Länder. Auch Cavusoglu nennt Felder, in denen es zwischen beiden Ländern mehr oder weniger rund läuft: Der Handel, zum Beispiel, und irgendwann vielleicht auch wieder der Tourismus.

Beim Hauptstrei­tthema beider Länder scheitert aber ein letzter Einigungsv­ersuch. Cavusoglu weigert sich weiter, deutschen Abgeordnet­en das uneingesch­ränkte Besuchsrec­ht bei den deutschen Soldaten auf der Luftwaffen­basis Incirlik zu gewähren. Gabriel hat damit gerechnet. Er hat sich keine Illusionen gemacht, dass es einen Durchbruch geben könnte. Zu viele Gespräche sind diesem in Ankara vorausgega­ngen, sogar auf höchster Ebene.

Vor Gabriel war schon Merkel mit einem Einigungsv­ersuch bei Erdogan auf Granit gestoßen. Jetzt gibt es nur noch einen Ausweg aus dem Dilemma: Raus aus Incirlik. In der Nato ist das ein ziemlich beispiello­ser Vorgang: Weil sich zwei Bündnispar­tner nicht verstehen, werden Soldaten außerhalb des Nato-Gebiets stationier­t, wo sie dann auch noch schlechter­e militärisc­he Bedingunge­n vorfinden. Künftig werden sich deutsche „Tornado“-Aufklärung­sflugzeuge und ein Tankflugze­ug von Jordanien aus am Kampf gegen die Terrororga­nisation Islamische­r Staat (IS) beteiligen.

Wie schlecht es schon seit langem um das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara steht, dafür ist die regierungs­nahe türkische Presse ein guter Indikator. Im März – als die NaziVorwür­fe Erdogans, aber auch Cavusoglus, Hochkonjun­ktur hatten – hatte die Zeitung „Günes“Kanzlerin Merkel in SS-Uniform gezeigt. Gestern erschien „Günes“anlässlich des Gabriel-Besuchs wieder mit Merkel auf der Titelseite. Diesmal war die Kanzlerin in Bittstelle­rpose abgebildet.

„Merkels Bluff (...) ist nicht aufgegange­n“, schrieb die Boulevardz­eitung zur Drohung, die Bundeswehr aus Incirlik abzuziehen. Das Blatt lag falsch. Merkel hatte nicht geblufft, und der Abzug der deutschen Soldaten steht nun doch bevor.

Letztlich lagen die Seiten zu weit auseinande­r: Die Bundesregi­erung hatte eine Blanko-Besuchserl­aubnis für alle deutschen Abgeordnet­en auf dem Stützpunkt in Incirlik gefordert, Erdogan-Sprecher Ibrahim Kalin hatte kurz vor Gabriels Visite gesagt, wenn Besuche deutscher Parlamenta­rier in Incirlik überhaupt stattfände­n, müsse die Türkei das letzte Wort darüber haben, wer Zutritt zu der Basis erhalte.

Das dürfte besonders auf jene Abgeordnet­en der Linken gemünzt gewesen sein, die Sympathien für die verbotene kurdische Arbeiterpa­rtei PKK erkennen lassen. Die von Gabriel geforderte pauschale Besuchserl­aubnis hätte bedeutet, dass die Türkei auch ihr hochgradig suspekte Abgeordnet­e auf die Basis hätte lassen müssen.

So sehr sich Gabriel und Cavusoglu gestern auch bemühen, die verblieben­en positiven Aspekte in den Beziehunge­n zu betonen: Wie weit die Positionen auseinande­rliegen, zeigt nicht zuletzt der Fall des „Welt“-Korrespond­enten Deniz Yücel. Nachdem Yücel im Februar in der Türkei inhaftiert worden war, hatte Gabriel das bilaterale Verhältnis „vor einer der größten Belastungs­proben in der Gegenwart“gesehen. Deutschlan­d hält die gegen Yücel vorgebrach­ten Terrorvorw­ürfe für an den Haaren herbeigezo­gen.

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FOTO: AFP Die Bundeswehr-Flieger in der Türkei sollen bald nach Jordanien verlegt werden.
 ?? FOTO: AFP ?? Sigmar Gabriel (links, SPD) und Mevlüt Cavusoglu: Ihre Positionen zu Incirlik waren unvereinba­r.
FOTO: AFP Sigmar Gabriel (links, SPD) und Mevlüt Cavusoglu: Ihre Positionen zu Incirlik waren unvereinba­r.

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