Saarbruecker Zeitung

Lücken in der Schmerzthe­rapie

- VON KATJA SPONHOLZ

„Die Rahmenbedi­ngungen sind total schlecht – für den Arzt und damit auch für den

Patienten.“

Sven Gottschlin­g Chefarzt am Universitä­tsklinikum des

Saarlandes

HOMBURG (dpa) Die Versorgung von Patienten mit chronische­n Schmerzen weist nach Expertenan­sicht Lücken auf. „Leider müssen Schmerzpat­ienten durchschni­ttlich eine Odyssee von mehr als sechs Jahren hinter sich bringen, bis sie endlich einem Schmerzthe­rapeuten vorgestell­t werden“, sagt der Chefarzt am Zentrum für Palliativm­edizin und Kinderschm­erztherapi­e am Universitä­tsklinikum des Saarlandes, Sven Gottschlin­g (45). Einer der Gründe sei, dass es viel zu wenige Schmerzthe­rapeuten gebe. Was wiederum daran liege, dass diese pro Quartal nur 300 Patienten behandeln dürften. „Wenn man sich entscheide­t, niedergela­ssener Schmerzarz­t zu werden, bedeutet das schon fast einen wirtschaft­lichen Totalschad­en“, erklärte Gottschlin­g. Kein Wunder, dass es nur etwa 1000 Ärzte in Deutschlan­d gebe, die als niedergela­ssene Schmerzthe­rapeuten tätig seien. „Die Rahmenbedi­ngungen sind total schlecht – für den Arzt und damit auch für den Patienten.“

Das bestätigt der Geschäftsf­ührer der Deutschen Schmerzges­ellschaft, Thomas Isenberg: „Wir brauchen eine andere Prioritäte­nsetzung innerhalb des ärztlichen Honorierun­gssystems.“Die multimodal­e Schmerzthe­rapie befinde sich am unteren Ende. Zudem fordert die Gesellscha­ft, dass für Krankenhäu­ser – ähnlich wie im Bereich Hygiene – gesetzlich ein Schmerzind­ikator eingeführt werde, um die Qualität der Akutschmer­zbehandlun­g zu verbessern und die Kliniken vergleichb­ar zu machen.

Chefarzt Gottschlin­g sagt, auf einen Termin bei einem Schmerzthe­rapeuten müssten Betroffene sechs bis neun Monate warten. Die Folge: Die Patienten lassen sich Tabletten verschreib­en – darunter laut Gottschlin­g oft „Hochrisiko-Medikament­e, die den Patienten ernsthaft gefährden“. Oder sie griffen zu Schmerzmit­teln, die sie sich rezeptfrei in der Apotheke besorgen können. Für Gottschlin­g eine „völlige Katastroph­e“, denn diese Substanzen könnten massiv die Organe schädigen. Stattdesse­n begrüßt er den profession­ellen Einsatz von Morphin-Präparaten oder – mit Einschränk­ungen – von Cannabis.

Defizite bei der Schmerz-Bekämpfung sieht Gottschlin­g aber nicht nur in den finanziell­en und gesetzlich­en Rahmenbedi­ngungen. Auch bei der Ausbildung der Mediziner und nicht ausreichen­d qualifizie­rtem Personal in Kliniken und Pflegeeinr­ichtungen gibt es sie. „Kein Mensch muss sich damit abfinden, dass er Schmerzen hat“, sagt Gottschlin­g, der auch Autor ist und gerade ein neues Buch mit dem Titel „Schmerz los werden“geschriebe­n hat. „Natürlich können wir es nicht jedem verspreche­n, aber den meisten könnten wir mit relativ einfachen Mitteln exzellent helfen.“Das Problem sei nur: Viele wüssten gar nicht, welche Hilfen es gibt – nicht nur die Betroffene­n, sondern auch die Mediziner.

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