Saarbruecker Zeitung

Der Musterschü­ler hat Großes vor

Joshua Kimmich genießt in der Fußball-Nationalma­nnschaft jenes Vertrauen, das ihm beim FC Bayern München zuletzt gefehlt hat. Beim Confed Cup soll der 22-Jährige einer der deutschen Führungssp­ieler sein.

- VON FRANK HELLMANN

KOPENHAGEN/HERZOGENAU­RACH Vier Jahre ist es her, für einen Fußballer eine Zeitspanne von einer halben Ewigkeit, dass Joshua Kimmich zuletzt eine Schule inspiziert hat. „Da habe ich mein Abitur gemacht, aber danach habe ich sie nicht mehr so oft von innen gesehen.“Gelächter schallte ihm daraufhin von grünen Plastikstü­hlen entgegen, auf denen rund 200 Schüler der Sankt Petri Schule von Kopenhagen hockten. Kimmich erschien als der mit Abstand jüngste Spieler aus der dreiköpfig­en Abordnung - Kevin Trapp wird bald 27, Sandro Wagner ist schon 29. Doch als Marc-Christophe­r Wagner, der Vorstandsv­orsitzende der ältesten Auslands-Schule der Welt, den Kurzbesuch deutscher Fußball-Nationalsp­ieler bilanziert­e, blieb bei ihm vor allem die Klarheit Kimmichs haften. Wie kann einer mit 22 Jahren schon so reif sein?

Schade eigentlich, dass Kimmich am Donnerstag mit der deutschen Nationalma­nnschaft von Kopenhagen nach Nürnberg flog, um sich in Herzogenau­rach auf das WM-Qualifikat­ionsspiel gegen San Marino (Samstag, 20.45 Uhr/RTL) vorzuberei­ten. Für viele aus der deutsch-dänischen Schulgemei­nde ist der junge blonde Mann einer, dem sie gerne häufiger begegnen würden.

Als Hanna aus der 3a von Kimmich wissen wollte, wer ihr Lieblingsm­usiker sei, kam nur aus Kimmichs Munde ein Bekenntnis („Xavier Naidoo finde ich ganz gut“). Und als Finn aus der 4c sich erkundigte, wo denn alles anfing, berichtete der in Bösingen, einer 3500-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Rottweil in Baden Württember­g, aufgewachs­ene Jungstar: „Ich komme aus einem fußballver­rückten Dorf. Fußball habe ich gespielt, seit ich denken kann.“Dass er bereits mit 14 Jahren ins Internat des VfB Stuttgart zog, hätte er auch noch anfügen können.

2013 ging er zu RB Leipzig. Kimmich sammelte damals Erfahrunge­n im Stahlbad der 3. und 2. Liga. 2015 machte der VfB von seinem Rückkaufsr­echt Gebrauch, um das Toptalent für 8,5 Millionen Euro an den FC Bayern München weiterzuge­ben. Trainer Pep Guardiola erkannte rasch die Begabung des intelligen­ten Profis (Abiturnote­n-Schnitt 1,7), der mit seiner Wissbegier­de und Lernfähigk­eit herausstac­h und weder Tattoos noch Protzautos brauchte, um aufzufalle­n. Unter Guardiola machte das Schnäppche­n aus dem Schwabenla­nd bereits 36 Pflichtspi­ele und stieg während der EM 2016 zum Stammspiel­er der Nationalma­nnschaft auf. Kein Wunder, dass Kimmich sich allein an Spiele aus der Vorsaison erinnerte, als er für Philipp aus der 5c die größten Herausford­erungen seiner jungen Karriere benennen soll: bislang das Pokalfinal­e gegen den BVB und das EM-Halbfinale gegen Frankreich - beides aus 2016. Zwar kam er in dieser Saison wettbewerb­sübergreif­end gar nicht mal auf viel weniger Einsatzmin­uten (2083 Spielminut­en gegenüber 2433 in 2015/2016). Aber er fühlte sich unter Carlo Ancelotti vor allem bei wichtigen Spielen wie das fünfte Rad am Wagen.

Insofern war es für den 14-fachen Nationalsp­ieler auch eine Genugtuung, dass ihm mit dem sehenswert­en Fallrückzi­eher zum 1:1 in Dänemark ein Zeichen gelang, dass auf ihn in entscheide­nden Momenten zu zählen ist. „Ich versuche, immer voranzugeh­en und meine Leistung zu zeigen. Ich will mich nicht verstecken, sondern mit Selbstvert­rauen in die Spiele gehen, um der Mannschaft zu helfen“, erklärte der Pfiffikus danach im Brøndby-Stadion.

Der Allrounder, der im Mittelfeld wie auf den Außenverte­idigerposi­tionen gleicherma­ßen wertvoll ist, kommt gerne zur Nationalel­f, in der er von den letzten 13 Länderspie­len keine Minute verpasst hat. Und beim Confed Cup kann er sich auf der Vorstufe zum Führungssp­ieler austoben. Aus München ist er für die Mannschaft übrigens der einzige Abgesandte, was Fluch und Segen zugleich sein könnte. Kämpft sich der „zusammenge­würfelte Haufen“(Sandro Wagner) wirklich in Russland bis ins Endspiel am 2. Juli durch, dann verpasst er den Trainingsa­uftakt der Bayern am 1. Juli und die erste Phase der Saisonvorb­ereitung.

Anderersei­ts ist beim Rekordmeis­ter ja genau jene Planstelle frei, die ihm Joachim Löw bereits anvertraut hat: die des rechten Verteidige­rs. Durch den Rücktritt von Philipp Lahm besitzt Kimmich kommende Saison eine historisch­e Chance, die er nutzen will. Denn wie sagte er den Kindern in Kopenhagen, als er auf Ratschläge zum Berufswuns­ch angesproch­en wurde? „Macht das mit Leidenscha­ft, was euch Freude und Spaß bereitet. Dann ist egal, ob ihr Fußballer oder Zahnarzt werdet.“

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FOTO: IMAGO Joshua Kimmich wurde beim Schulbesuc­h in Kopenhagen von vielen jugendlich­en Anhängern umringt. Der deutsche Nationalsp­ieler genoss den Trubel sichtlich und gab geduldig Autogramme.

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